Nach Schiffsunglück

Nicht auf der Brücke: Kapitän der “Sewol” in Haft

Ausland
19.04.2014 08:16
Nach dem Fährunglück vor Südkorea schwindet die Hoffnung, Überlebende zu finden. Die Angehörigen sind verzweifelt und fordern, wenigstens die Gesichter ihrer toten Kinder sehen zu dürfen. Rund 270 Menschen gelten immer noch als vermisst. Der Kapitän der Fähre, Lee Joon Seok, wurde laut südkoreanischen Medien mittlerweile verhaftet. Nach den ersten Ermittlungen war die Fähre zum Unglückszeitpunkt nicht vom Kapitän, sondern vom dritten Offizier gesteuert worden.

Die Fähre "Sewol" war am Mittwoch auf dem Weg zur südlichen Insel Jeju gekentert und gesunken. An Bord waren 475 Passagiere, die meisten von ihnen Schüler. 179 Insassen wurden gerettet, 28 wurden bis Freitag tot geborgen. Der Kapitän und die meisten der 28 Besatzungsmitglieder hatten sich retten können. Von Hinterbliebenen wurde Kritik laut, dass die Besatzung das sinkende Schiff verlassen habe, während viele Passagiere noch an Bord waren.

Kapitän während Unglück "hinten" im Schiff
Wie sich am Freitag herausstellte, wurde die Fähre zum Unglückszeitpunkt nicht vom Kapitän, sondern vom dritten Offizier gesteuert. Der Kapitän habe nicht das Kommando geführt, als das Schiff verunglückte, sagte Staatsanwalt Park Jae Eok unter Berufung auf erste Ermittlungen. Kapitän Lee Joon Seok habe sich zu diesem Zeitpunkt möglicherweise nicht auf der Brücke aufgehalten, sondern "hinten" im Schiff, sagte der Ermittler, ohne weitere Erklärungen abzugeben.

Nach Angaben der Besatzung ist es jedoch übliche Praxis, dass sich die Steuerleute bei der rund 13-stündigen Überfahrt ablösen. Ein Steuermann sagte, der 69-jährige Kapitän sei zurückgeeilt, um das Kommando zu übernehmen und das Schiff zu stabilisieren. Dies habe jedoch nichts mehr genützt. Zeugen zufolge war der Kapitän einer der ersten, die vom sinkenden Schiff gerettet wurden.

Der Kapitän, gegen ihn und zwei weitere Crewmitglieder war ein Haftbefehl erlassen worden, wurde laut einem Medienbericht mittlerweile verhaftet worden. Gegen Lee Joon Seok werde wegen Vernachlässigung seiner Dienstpflicht und Verstoßes gegen Seerecht ermittelt, meldete die Nachrichtenagentur Yonhap am Freitag.

Scharfe Kurve oder Fels könnten Unglück ausgelöst haben
Die Ursache des Unglücks ist immer noch unklar. Experten vermuten, dass das Schiff auf einen Felsen lief oder eine scharfe Kurve fuhr, wodurch die Ladung - darunter mehr als 150 Autos - verrutschte und das Schiff zum Kentern brachte. Es werde noch untersucht, ob es eine scharfe Kurve oder einen anderen Manövrierfehler gegeben habe, sagte Chef-Staatsanwalt Lee Seoung Yoon.

"Alleine der Gedanke, meine Tochter könnte tot sein, ist furchtbar", erklärte unterdessen eine verzweifelte Mutter gegenüber der "Bild"-Zeitung. Insgeheim hoffen die Angehörigen der vermissten Passagiere immer noch darauf, dass ihre Liebsten vielleicht überlebt haben könnten. Doch wenn man sich die Bilder des Fährschiffes anschaut, scheint dies eher unwahrscheinlich – denn das Wrack ist gesunken, nur ein kleines Stück des Bugs schaut noch aus dem Wasser.

Einige der Passagiere könnten Experten zufolge den Untergang zunächst in einer Luftblase überlebt haben. Allerdings sei es angesichts der niedrigen Wassertemperatur und des schwindenden Sauerstoffs schwierig, darin mehr als zwei Tage zu überleben.

Großaufgebot an Rettungskräften im Einsatz
Mit Flutlicht suchten Boote der Marine und der Küstenwache in der Nacht auf Freitag nach Überlebenden. Schlechtes Wetter, starke Strömungen und eingeschränkte Sicht erschwerten jedoch die Arbeiten. Neben mehr als 500 Tauchern waren auch rund 170 Schiffe und 30 Flugzeuge beteiligt. Ein Sprecher der Küstenwache sagte, die Chancen, Überlebende zu bergen, lägen bei "fast null". Die Rettungskräfte rechneten mit einem dramatischen Anstieg der Opferzahl. Am Samstag wurden erstmals Leichen in einer Kabine der Fähre entdeckt. Den Tauchern sei es aber nicht gelungen, die Scheibe zu zerschlagen und die drei Opfer zu bergen, erklärte die Küstenwache.

Am Freitag war es Tauchern erstmals gelungen, bis ins Innere des Wracks vorzudringen, berichtete der südkoreanische Rundfunksender KBS unter Berufung auf einen Krisenstab der Regierung. Es sei damit begonnen worden, Luft ins Innere der Fähre zu pumpen. Mehrere Versuche, die Bereiche zu erreichen, in denen sich Passagiere aufhielten, seien jedoch gescheitert. Starke Strömungen behinderten die Rettungsbemühungen.

Allerdings wurden zwei riesige Schwimmkräne in die Nähe der Unglücksstelle gebracht. Experten diskutierten noch darüber, wie das Wrack am besten gehoben werden könnte, berichtete der staatliche Sender Arirang. Auch ein Schwimmdock könnte zur Unglücksstelle gebracht werden.

Lehrer nach Rettung erhängt aufgefunden
Indes soll sich ein Lehrer nach seiner Rettung aus der havarierten Fähre erhängt haben. Der 52-Jährige sei an einem Baum auf der Insel Chindo in der Nähe des Orts der Schiffskatastrophe entdeckt worden, berichtete die nationale Nachrichtenagentur Yonhap am Freitag. Die Polizei geht von Selbstmord aus. Offensichtlich habe er Schuldgefühle gehabt, weil er gerettet wurde, während viele unter seiner Obhut mitreisende Schüler noch vermisst werden, hieß es. Der Mann war stellvertretender Direktor einer Oberschule nahe Seoul.

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