WikiLeaks-Enthüllung

Sarkozy als “Kaiser ohne Kleider”, Putin ein “Alpha-Rüde”

Web
29.11.2010 13:54
"Paranoia" beim afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, Sarkozy als "Kaiser ohne Kleider", Putin ein "Alpha-Rüde": Die Internetplattform WikiLeaks hat am Sonntag gut 250.000 geheime Dokumente der US-Diplomatie veröffentlicht. In den kompromittierenden Dokumenten steht, dass die USA neben Diplomaten auch die UNO ausspionieren. Insgesamt 1.722 der Depeschen wurden von der US-Botschaft in Wien verfasst.

Wie "Der Spiegel" in seiner am Montag erschienenen Ausgabe berichtet, werde der afghanische Präsident Hamid Karzai als "schwache Persönlichkeit" beschrieben, die von "Paranoia" und "Verschwörungsvorstellungen" getrieben wird.

Putin als "Alpha-Rüde"
Aus dem US-Außenministerium seien Informationen angefordert worden, ob der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi tatsächlich Privatgeschäfte mit dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin getätigt habe. Putin werde dabei als "Alpha-Rüde" bezeichnet, der russische Präsident Dmitri Medwedew als "blass" und "zögerlich". In den Akten finden sich aber auch viel Klatsch und Berichte vom Hörensagen.

Der deutschen Kanzlerin Angela Merkel bescheinigen die Amerikaner, "selten kreativ" zu sein und das Risiko zu meiden. Außenminister Guido Westerwelle wird als "aggressiv", CSU-Chef Horst Seehofer als "unberechenbar" charakterisiert. Den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy bezeichnen die US-Diplomaten als "Kaiser ohne Kleider".

"Araber-Allianz", "islamistische Tendenzen" bei Erdogan
Außerdem steht in dem Bericht, dass amerikanische Diplomaten im Auftrag von Außenministerin Hillary Clinton die Diplomaten anderer Länder bei den Vereinten Nationen ausspionieren, dass die USA in Vorbereitung des Kriegsfalles eine geheime "Araber-Allianz" gegen den Iran geschmiedet haben und dass die USA über "islamistische Tendenzen" in der Regierung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan besorgt seien.

1.722 der Depeschen wurden aus Wien gesendet
Auch Österreich kommt immer wieder in den Dokumenten vor. 1.722 der Depeschen beschäftigen sich mit unserer Politik. Vier der Mitteilungen unterliegen der höchsten von sechs Geheimhaltungskategorien, weitere 103 immerhin noch der zweithöchsten. Über den genauen Inhalt ist noch nichts bekannt. Die über Österreich verfassten Dokumente sind derzeit noch nicht auf WikiLeaks verfügbar. Sobald sie zugänglich sind, wird krone.at darüber berichten.

Ebenfalls reichlich Sprengstoff birgt der von Clinton abgezeichnete "Nationale Beschaffungsplan unter Einsatz menschlicher Quellen", der das Ausspionieren bei der UNO vorsieht, auch in der Wiener Dependance. Zu den zu sammelnden Informationen zählen demnach persönliche Kreditkartendaten, Vielflieger-Kundennummern sowie E-Mail- und Telefonverzeichnisse. In vielen Fällen fordere das US-Außenministerium sogar "biometrische Daten", zum Beispiel Fingerabdrücke, Porträtfotos oder Scans der Augeniris, und "Passwörter für Verschlüsselungen" an.

UNO ausspioniert?
Auch Auskünfte über die Pläne und Absichten von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und seinem Sekretariat zu Themen wie dem Iran sind Teil der ausführlichen Wunschliste aus dem US-Außenministerium. Der "Beschaffungsplan" mit seinen Anweisungen sei an 30 US-Botschaften weltweit gegangen. Das umfangreiche Dokument zeigt laut dem "Spiegel" auch, welche UNO-Themen die US-Regierung besonders interessieren. Dazu gehören Darfur/Sudan, Afghanistan/Pakistan, Somalia, Iran und Nordkorea.

Ähnliche Ausspäh-Direktiven fänden sich auch für Paraguay und Palästina, für acht westafrikanische Staaten wie Burkina Faso, Mauretanien und den Senegal sowie für diverse Staaten Osteuropas. Als Begründung für die Spitzelaufträge gibt Clinton laut "Spiegel" an, dass ein Großteil der Informationen, mit denen die amerikanischen Geheimdienste arbeiten, aus den weltweit zusammengetragenen Berichten von Außenamtsmitarbeitern stamme.

Laut den neuen WikiLeaks-Dokumenten haben US-Diplomaten eine geheime Allianz arabischer Staaten gegen den Iran und sein Atomprogramm geschmiedet. Die internen Dokumente des US-Außenministeriums würden zeigen, dass arabische Machthaber auch intensivere Beziehungen zu Israel pflegen als bisher angenommen und dass sich einige mit US-Hilfe auf eine bewaffnete Auseinandersetzung vorbereiten.

"Sie glauben, dass Israel zaubern kann"
Führende Politiker der Golfstaaten fürchten demnach den Iran und fordern die USA in vertraulichen Gesprächen zu harten Maßnahmen auf, obwohl sie sich öffentlich dazu nicht äußern. Ein Vizedirektor des israelischen Außenministeriums habe laut einer Depesche gesagt, die Golf-Staaten ließen ihre Botschaften an die USA gern von Israel überbringen: "Sie glauben, dass Israel zaubern kann."

An der Verlässlichkeit der Türkei haben Diplomaten der Vereinigten Staaten tiefe Zweifel, meldet "Der Spiegel" weiter. Geheime oder vertrauliche Depeschen der US-Botschaft in Ankara beschrieben islamistische Tendenzen in der Regierung des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Das Urteil der US-Diplomaten über den NATO-Partner mit der zweitgrößten Bündnis-Armee sei insgesamt verheerend.

"Für Niederlage bei Wien-Belagerung revanchieren"
Die türkische Führung sei zerstritten, Erdogans Berater sowie sein Außenminister Ahmet Davutoglu verstünden wenig von der Politik außerhalb Ankaras. Die Amerikaner sind besorgt über angebliche neoosmanische Visionen Davutoglus. Ein hochrangiger Regierungsbeamter warnte in Gesprächen, aus denen die US-Diplomaten zitieren, Davutoglu würde islamistischen Einfluss auf Erdogan ausüben: "Er ist besonders gefährlich." Ein Berater der Regierungspartei AKP überspitzte es wohl ironisch nach einem US-Dokument so: "Wir wollen Andalusien zurück und uns für die Niederlage bei der Belagerung Wiens 1683 revanchieren."

Viele Spitzenkräfte der Regierungspartei AKP seien Mitglieder einer muslimischen Bruderschaft, so die Amerikaner, Erdogan habe islamistische Banker in einflussreiche Positionen gehoben. Er informiere sich fast ausschließlich über Islamisten-nahe Zeitungen. Der Regierungschef, so die US-Depeschen weiter, habe sich mit einem "eisernen Ring von unterwürfigen (aber hochnäsigen) Beratern" umgeben und inszeniere sich als "Volkstribun von Anatolien", schreibt der "Spiegel".

USA verurteilen Enthüllungen "auf das Schärfste"
Die US-Regierung hat die Veröffentlichung von Dokumenten der US-Diplomatie "auf das Schärfste" verurteilt. Die Freigabe der Dokumente sei "unverantwortlich und gefährlich", erklärte das Weiße Haus am Sonntag in Washington. Die Enthüllungen gefährdeten Leben. Auch das britische Außenamt erklärte am Sonntagabend, die Enthüllungen könnten Menschenleben gefährden.

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