"Direkter Draht"

Putin ringt in TV-Show mit Russlands Tragödien

Ausland
17.04.2015 06:21
Es war der schwerste Auftritt seit Langem für den russischen Präsidenten Wladimir Putin: Ernst, bisweilen mit gezwungenem Lächeln stellte sich der 62-Jährige am Donnerstag in seiner großen Bürgersprechstunde den Fragen der Nation. Zum 13. Mal. Mehr als drei Millionen Fragen gingen ein, nur auf 90 Fragen gab es Antworten. Das Staatsfernsehen strahlte die fast vierstündige Show "Direkter Draht" aus. Und Putin machte dabei nicht immer den sonst so souveränen Eindruck. Vor allem auch, weil er mit den zahlreichen alltäglichen Tragödien des Landes konfrontiert wurde.

Zwar gab es wie so oft bei dieser landesweit mit Spannung erwarteten Traditionssendung die üblichen aufmunternden Worte: Die Talsohle der Krise sei wohl überwunden. Der Rubel werde stärker. Der Ölpreis steige. Zwei Jahre könne es noch dauern, bis die Wirtschaft wieder auferstehe, meinte Putin. Aber die Leute in dem zum TV-Studio umfunktionierten Moskauer Handelshof Gostiny Dwor quittierten die schönen Reden mit betretenem Schweigen. Sogar die Moderatoren gaben sich diesmal so bissig, dass der Präsident manche Fragen fast lehrerhaft als "nicht korrekt" zurückwies.

Ex-Finanzminister widersprach Putin
Offen widersprach auch Ex-Finanzminister Alexej Kudrin als Studiogast Putin. Russland laufe Gefahr, für immer hinter den Rest der Welt zurückzufallen. Es seien eigene strukturellen Schwächen, die das Land zum Scheitern verurteilten - und nicht die westlichen Sanktionen oder die Weltwirtschaft. Kurz darauf fragte ein Landwirt Putin, ob er überhaupt noch merke, was im Land passiere. Oder glaube der Präsident womöglich geschönten Statistiken oder um ihre Jobs besorgten Beratern?

Der Präsident lächelte diese und andere Angriffe weg, bat um Geduld für seine Regierung: Der Anti-Krisen-Plan stehe jetzt erst richtig, brauche aber seine Zeit, um in die Tat umgesetzt zu werden. Die innenpolitisch brisanteste Frage für viele Russen an diesem Tag: Kommt eine Erhöhung des Pensionsalters? Putin zeigte sich bei dieser Frage als Zauderer. Aber es wird wohl am Ende dazu kommen.

Alltägliche Tragödien prasseln auf Präsident ein
Die TV-Show ist vor allem als Ventil für die Russen angelegt. Sie sollen ihren Frust abladen. Eine Frau in Sibirien, wo seit Tagen Steppen- und Waldbrände Hunderte Häuser in Flammen aufgehen lassen, weinte bei dieser Ausgabe der TV-Show laut vor Hilfslosigkeit. Dutzende Menschen seien bereits gestorben. Putin versprach Hilfe. Ein krankes Mädchen beklagte mangelnde medizinische Versorgung. Auch hier versprach der Präsident Hilfe.

Und ausgerechnet vor dem am 9. Mai mit viel Pomp geplanten 70. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland fragte ein Veteran, wann die Regierung die seit Jahrzehnten versprochenen Wohnungen übergebe. Selten waren die alltäglichen russischen Tragödien in solch geballter Form auf Putin niedergeprasselt wie diesmal. Alles, was Putin bieten konnte, war seine Zusicherung, dass am Ende alles gut werde. Es sei leicht für die Opposition, zu schimpfen und zu kritisieren. Aber einer müsse auch die Verantwortung übernehmen. Und das ist Putin, zeigte sich zumindest der Präsident überzeugt.

Dankbar für Fragen zum Konflikt mit der Ukraine
Da wirkte der mächtigste Mann Russlands fast schon erleichtert, als es einmal mehr um den Ukraine-Konflikt, das zerrüttete Verhältnis zum Westen und andere außenpolitische Themen ging. Erst da teilte er in gewohnt schlagfertiger Manier aus, warf der prowestlichen ukrainischen Führung viele schwere Fehler vor. Dankbar saugte er die vielen Fragen zum Konflikt zwischen Moskau und Kiew auf. In einer Sequenz zeigte das Staatsfernsehen, wie Russland trotz eigener wirtschaftlicher Probleme den Flüchtlingen aus dem Nachbarland hilft.

Wenig später musste der Moderator des Staatsfernsehens mit düsterer Miene den Redefluss Putins unterbrechen. Es kam die Nachricht von einem brisanten Mordfall in der Ukraine herein: Der in Russland geschätzte ukrainische Publizist und Regierungsgegner Oles Buzina wurde in Kiew erschossen. Endlich eine Steilvorlage für Putin - es ist nicht der erste politische Mord an prorussischen Ukrainern in Kiew. Scharf warf Putin der Ukraine vor, nichts für die Aufklärung der vielen Verbrechen zu tun. Auch der Westen schaue hinweg über die Gewalt. Da war Putin dann gegen Ende der Sendung doch wieder in seinem Element...

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