Front im Netz

Plagiatsvorwürfe: Internet überführt “Dr.” Guttenberg

Ausland
18.02.2011 07:28
Der Wirbel um die juristische Dissertation des deutschen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg nimmt kein Ende. Der Vorzeigepolitiker soll noch viel mehr Passagen abgeschrieben haben als bisher bekannt. Und nun sammeln auch noch Internetnutzer weitere Texte, die der heute 39-Jährige aus verschiedenen Quellen für seine Doktorarbeit kopiert haben soll - und stellen sie als "kollaborative Dokumentation der Plagiate" ins Netz.

Guttenberg habe in seiner Doktorarbeit einen ganzen Absatz von der Webseite der US-Botschaft ohne Fußnote verwendet, außerdem soll er sich aus einem Beitrag des CDU-Europaabgeordneten Andreas Schwab bedient sowie mehrere Absätze aus einer Rede des Jus-Professors Gerhard Casper ohne direkten Hinweis kopiert haben, schrieb "Spiegel Online" am Donnerstag. Schließlich findet sich in der Dissertation eine Textpassage aus einem Aufsatz des Staatsrechtlers und ehemaligen Verteidigungsministers Rupert Scholz (CDU) - also einem Vorgänger Guttenbergs.

Ins Rollen gebracht hatte den Fall am Mittwoch der Bremer Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano, der nach eigenen Angaben bei einer Routineprüfung nicht gekennzeichnete Zitate anderer Autoren in der Dissertation des Ministers entdeckt hatte. Fischer-Lescano ließ wissen, die Arbeit Guttenbergs sei an mehreren Stellen "ein dreistes Plagiat" und "eine Täuschung".

"Kollaborative Dokumentation der Plagiate" im Netz
Dem nicht genug, hat sich nun im Internet eine Schar selbst ernannter Plagiatsjäger zusammengetan, um weitere diesbezügliche Verfehlungen des Strahlemanns der deutschen Politik zu dokumentieren. Im Wiki GuttenPlag fühlen sich freiwillige Helfer nicht nur dazu berufen, gemeinsam die bisher bekannt gewordenen, angeblich abgekupferten Passagen in Guttenbergs 475-Seiten-Werk anzuführen. So werden in der "kollaborativen Dokumentation der Plagiate" sogar neue Verdachtsfälle angegeben, die durch Quellenangaben und Links belegt werden. Mehr als 80 Fundstellen sind dort inzwischen aufgelistet, die Zahl der Autoren, von denen der CSU-Politiker abgeschrieben haben soll, ist inzwischen auf 15 gestiegen.

Die Betreiber der Plattform geben zwar an, um größtmögliche Transparenz bemüht zu sein, schließen aber auch Fehler nicht aus: "Diese Zusammenstellung basiert in Teilen auf Berichten aus zweiter Hand. Es kann sein, dass Textstellen nicht korrekt wiedergegeben wurden", weisen sie Interessierte auf die mögliche missbräuchliche Verwendung des Forums hin. Dem Ansturm auf das Projekt tut dies jedoch keinen Abbruch: Am Donnerstag entschied man sich deshalb für eine leistungsfähigere Wiki-Plattform anstatt eines öffentlich zugänglichen Google-Dokuments.

Experte: Arbeit "wissenschaftlich gesehen mangelhaft"
Indes hat sich auch der bekannte deutsche Jurist und Universitätsprofessor Volker Rieble in der brisanten Causa zu Wort gemeldet: Dieser sieht in der Dissertation Guttenbergs eklatante Verstöße gegen grundlegende Standards in wissenschaftlichen Arbeiten. "Da sind eindeutige Fremdtexte wortwörtlich abgeschrieben, es sind keine Fußnoten, es sind teilweise keine Angaben im Literaturverzeichnis zu den Fremdtexten", sagte der an der Universität München lehrende Arbeitsrechts-Professor am Donnerstag. "Es fehlen vor allem auch die Anführungszeichen, die man beim wörtlichen Fremdzitat unbedingt braucht." Sein Fazit der mit summa cum laude (mit Auszeichnung) bewerteten Arbeit: "Ich finde das Buch wissenschaftlich gesehen mangelhaft."

Nach einem Vergleich der kritischen Textstellen in der Dissertation "Verfassung und Verfassungsvertrag: Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU" sei das Ergebnis für ihn eindeutig, sagte der Experte. "Der Leser wird darüber getäuscht, dass ein bestimmter Absatz, ein bestimmtes Textstück, ein bestimmter Gedanke nicht vom Doktoranden zu Guttenberg, sondern von einem anderen stammt. Und das ist mit wissenschaftlichen Standards schlechterdings nicht vereinbar." Ihm seien beim Sichten der Doktorarbeit zudem an einigen Stellen Stilbrüche aufgefallen. "Da merken Sie einfach, dass sich praktisch der Duktus ändert." Das könne zwar auch an Tagesformen des Doktoranden liegen, aber es mache stutzig.

Guttenberg weist Vorwürfe als "abstrus" zurück
Guttenberg ließ mögliche Fehler in seiner Dissertation offen. "Ich bin gerne bereit zu prüfen, ob bei über 1.200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten, und würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen", teilte der Minister mit. Er wehrte sich aber zugleich: "Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus." Guttenberg betonte, dass an der Dissertation keine Mitarbeiter mitgewirkt hätten. "Die Anfertigung dieser Arbeit war meine eigene Leistung."

Am späten Donnerstagabend war Guttenberg einem Fernsehbericht zufolge noch zu einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Berliner Kanzleramt gerufen worden. Merkel wollte Erklärungen zu den Plagiatsvorwürfen, berichtete das ZDF. Zuvor hatte Guttenberg eine Wahlkampfveranstaltung in Sachsen-Anhalt kurzfristig abgesagt.

Universität Bayreuth stellt Minister Ultimatum
Die Universität Bayreuth, an der Guttenberg seine Arbeit verfasst hat, forderte den Minister auf, innerhalb von zwei Wochen zu den Plagiatsvorwürfen ausführlich Stellung zu nehmen. Universitätspräsident Rüdiger Bormann erklärte, dass man "die Vorwürfe sehr ernst" nehme. Zwar gebe es keine Hinweise dafür, dass das Promotionsverfahren nicht ordnungsgemäß verlaufen sei. Doch die vierköpfige Kommission zur Selbstkontrolle der Wissenschaft an der Universität werde die Vorwürfe nach strengen Maßstäben prüfen. Die Konsequenzen reichen von der Aufforderung, die Doktorarbeit nachzubessern, bis hin zur Aberkennung des Doktortitels.

Inzwischen sind gegen Guttenberg auch zwei Strafanzeigen gestellt worden. Das bestätigte die Staatsanwaltschaft Bayreuth am Freitag. Bei der ersten Anzeige gehe es um mögliche Verstöße gegen das Urheberrecht. Sie sei an die für Wirtschaftsstrafsachen zuständige Staatsanwaltschaft in Hof weitergeleitet worden. Bei der zweiten Strafanzeige gehe es um den Vorwurf der falschen eidesstattlichen Versicherung. Die Promotionsordnung sieht eine ehrenamtliche Erklärung des Bewerbers darüber vor, dass er seine Dissertation selbstständig verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt hat. "Da die Promotionsordnung der rechtswissenschaftlichen Fakultät keine Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung vorsieht, ist das aber kein Grund für Ermittlungen", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Thomas Janovsky.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele