Schwarze frustriert

“Michael Brown wurde umgebracht wie ein Tier”

Ausland
19.08.2014 07:27
Es ist Jahrzehnte her seit den letzten schweren Rassenunruhen in den USA. Als Barack Obama 2009 als erster Schwarzer der Geschichte ins Weiße Haus einzog, kannte der Jubel der Afroamerikaner keine Grenzen. Utopische Hoffnungen schossen in den Himmel, viele Menschen glaubten, eine neue Zeit breche an. Doch daraus wurde nichts. Ist die vorherrschende Frustration der Nährboden für die Unruhen in der Kleinstadt Ferguson, wo am 9. August ein unbewaffneter schwarzer Teenager von einem weißen Polizisten erschossen wurde?

Nacht für Nacht das gleiche Bild in Ferguson im US-Bundesstaat Missouri: Schwarze Jugendliche mit nackten Oberkörpern auf der einen Seite, schwer bewaffnete weiße Polizisten auf der anderen. Zuerst läuft alles friedlich ab, doch irgendwann im Lauf der Nacht schlägt die Lage um, gerät außer Kontrolle. Jugendliche dringen in Geschäfte ein, es kommt zu Plünderungen. Die Polizei rückt mit Panzerwagen vor, setzt Gummigeschosse und Tränengas ein. Schüsse fallen.

Alte Wunden reißen auf
Es ist mehr als eine Woche her, dass der unbewaffnete Teenager Michael Brown durch die Schüsse eines weißen Polizisten starb. Doch längst geht es nicht mehr nur um den Tod des 18-Jährigen. Es scheint, als sei in der abgelegenen Kleinstadt mit ihren rund 21.000 Einwohnern eine Wunde aufgerissen, die nie ganz verheilt war - eine Wunde, an der die gesamten Vereinigten Staaten leiden.

Immer neue Enthüllungen heizen die Emotionen an. Ein privater Obduktionsbericht ergab, dass Brown von sechs Schüssen getroffen wurde. Zwei davon trafen ihn in den Kopf, die Schüsse wurden nicht aus nächster Nähe abgegeben. Die Darstellungen der Polizei, wonach Brown den Polizisten angegriffen und versucht habe, ihm die Pistole zu entreißen, wird damit immer unglaubwürdiger. Noch immer ist völlig unklar, warum der 18-Jährige sterben musste.

Auch die Beschuldigungen gegen die Behörden werden immer härter, immer hässlicher. "Michael war ein menschliches Wesen", sagte etwa Ty Pruitt, ein Cousin des Toten. Pruitt trägt einen schwarzen Anzug, von der Kanzel einer Kirche herab klagt er die Polizei an: "Er war kein Tier, aber er wurde umgebracht wie ein Tier." Zudem bemängeln Kritiker, dass die Einsatzkräfte in vielen Städten immer stärker aufgerüstet werden und mit gepanzerten Fahrzeugen oder Tarnuniformen zu martialisch auftreten.

"Black Town, White Power"
Der "Fall Michael Brown" zieht immer weitere Kreise. Die Stimmen mehren sich, dass in Ferguson die Frustration, die Wut und die Enttäuschung von Millionen Afroamerikanern zum Ausbruch kommen, die lange überdeckt waren. "Black Town, White Power" - Schwarze Stadt, weiße Macht, überschreibt Jeff Smith, der frühere Senator von St. Louis, eine Klageschrift, die das ganze Übel der "Rassenbeziehungen" in den USA beschreibt.

Ferguson, eine Vorstadt von St. Louis im Mittleren Westen der USA, hat in den vergangenen Jahrzehnten einen tief greifenden Wandel erlebt. Noch 1990 waren 74 Prozent der Bevölkerung weiß, nur ein Viertel schwarz. Heute hat sich das Verhältnis gedreht: 67 Prozent sind schwarz, 29 Prozent weiß. Mit der Entwicklung ging eine dramatische wirtschaftliche Veränderung einher: Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich, die Einkommen sanken um ein Drittel, die Armut stieg sprunghaft an. 2012 lebte bereits ein Viertel der Einwohner unter der Armutsgrenze.

Eliten weiß, Mehrheit schwarz
Hinzu kommt: Trotz des Bevölkerungswandels blieb die politische und staatliche Führung in Ferguson weiter fest in der Hand der Weißen. Der Bürgermeister ist weiß, im Stadtrat sitzt nur ein einziger Schwarzer, lediglich drei der 53 Polizisten sind schwarz.

In den gesamten USA ist die Hochstimmung, die bei Obamas Amtseinführung unter den Afroamerikanern herrschte, verflogen. Die Enttäuschung unter Schwarzen und Bürgerrechtlern ist in Frustration umgeschlagen. Nach wie vor sind es vor allem die Schwarzen, die auf der Schattenseite der USA leben, die unter der Krise leiden, die Gefängnisse bevölkern, die immer wieder von Polizisten misshandelt werden.

Erneut Zusammenstöße: Schüsse, Tränengas, Molotowcocktails
In Ferguson entlädt sich dieser Frust nun Tag für Tag. Auch in der Nacht auf Dienstag kam es zu vereinzelten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Nachdem einige Protestierende mit Glas- und Plastikflaschen geworfen hatten und versuchten, eine Straße zu blockieren, setzte die Polizei laut CNN Tränengas ein. Augenzeugen berichteten von Schüssen, Demonstranten sollen auch wieder Molotowcocktails geworfen haben.

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