Im Stich gelassen

Kurden: Eingekesselt zwischen den Fronten

Ausland
31.07.2015 07:40
Es ist nicht lange her, da fühlten sich die Kurden geschätzt von der internationalen Gemeinschaft, verehrt für ihren Kampf gegen die Dschihadisten des Islamischen Staats in Syrien. Heute, etwa ein Jahr später, hat sich bei vielen Verbitterung breitgemacht. Die Kurden im türkischen Nusaybin ganz nah an der Grenze zu Syrien fühlen sich bedroht - vom IS auf der einen und der türkischen Armee auf der anderen Seite. Und sie fühlen sich von der internationalen Gemeinschaft wieder einmal im Stich gelassen.

"Was ist innerhalb eines Jahres passiert, dass uns die ganze Welt vergisst?" Das fragt sich der 45-jährige Vedat, der im kurdisch geprägten Nusaybin Verwandte besucht. Er ist sich sicher, dass der Westen bereit ist, für den Kampf gegen den IS die Kurden zu "opfern". "Sind wir denn solche Untermenschen?", sagt der 70-jährige Ismet Alp, Bürgermeister eines Bezirks von Nusaybin.

Die Türkei hat wegen des Anschlags im türkischen Suruc mit 32 Toten Anfang vergangener Woche und Angriffen der PKK auf Sicherheitskräfte einen doppelten Krieg gegen den Terrorismus ausgerufen, der sich gegen die Kurdenpartei und den IS richten soll. Beide Gegner sind als "Terrororganisationen" eingestuft, die Türkei wird in ihrem Vorgehen unter anderem von den USA unterstützt. Die NATO sicherte Solidarität zu, erwähnte die Angriffe auf PKK-Stellungen aber nicht.

"Leben der Kurden ist nichts wert"
Staubige Straßen und kaputte Gehwege schlängeln sich durch Nusaybin, die Hitze zwingt die Menschen in die Häuser, die ungewisse Zukunft lässt sie kaum noch schlafen. Ismet Alp erinnert sich noch sehr genau an die 90er-Jahre, an die "Entführungen, Folter und willkürlichen Verhaftungen" zu Hochzeiten des bewaffneten Kampfes zwischen Ankara und der kurdischen Guerilla. Nun fürchtet sich der 70-Jährige vor einer Rückkehr in diese dunkle Zeit. Das Leben der Kurden sei "nichts wert, weder für die Türkei noch für den Westen".

Auch Idris Sarikaya kann nachts kaum noch schlafen. "Zusammenstöße zwischen jungen Kurden und Sicherheitskräften auf den Straßen" halten ihn wach, erzählt der 32-Jährige. Die Jungen seien "empört" und entschlossen, ihre Waffen gegen die Polizei einzusetzen. Ismet Alps 26-jähriger Sohn Mehmet sagt prompt: "Wenn nötig, müssen wir unsere Sicherheit selbst organisieren." Das werde dann zwangsläufig mit Waffen geschehen.

"Für uns ist der Tod vielleicht besser als das Leben hier"
Überhaupt seien die Kurden überall der Gefahr ausgesetzt, sagt der junge Familienvater Sarikaya. "In 25 Kilometern Entfernung stehen unzählige IS-Kämpfer und gleich neben uns auf türkischem Boden kesselt uns die türkische Armee ein." Für ihn sei es das Wichtigste, einen Anschlag wie in Suruc zu verhindern. Und wenn die Polizei die Kontrolle nicht behalte, müssten das eben die Jungen übernehmen, "auf allen Straßen, in allen Bezirken" - möglichst ohne Waffen.

Ismet Alp hat jedoch die Hoffnung auf eine ruhige Zukunft aufgegeben, die vielen Jahre ohne Aussicht auf einen anhaltenden Frieden haben den 70-Jährigen mürbe gemacht. "Für uns Kurden ist der Tod vielleicht besser als das Leben, das wir hier führen."

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