Experten besorgt

Irak: C-Waffenlager in Händen der Dschihadisten

Ausland
09.07.2014 17:29
Der Irak hat nach eigenen Angaben die Kontrolle über ein Chemiewaffenlager an die sunnitischen Milizen der Terrorgruppe ISIS verloren. Iraks UN-Botschafter erklärte in einem am Dienstag veröffentlichten Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, über das Videosystem der Anlage habe die Regierung dies beim Vormarsch der Rebellen bereits am 12. Juni sehen können. Während sich die USA gelassen geben, bereitet die Einnahme des C-Waffenlagers deutschen Experten Sorge.

Saddam Husseins größte Chemiewaffenfabrik war lange als Werk zur Herstellung von Insektenvernichtungsmitteln getarnt: In der Anlage al-Muthanna bei Samarra mit ihren mehr als 30 Bunkern ließ der irakische Staatschef die tödlichen Waffen nicht nur erforschen, hier wurden die hochgiftigen Kampfmittel auch produziert und gelagert. Teile des Lagers nördlich der Hauptstadt Bagdad seien nun laut dem irakischen UN-Botschafter von den Extremisten der ISIS geplündert worden. Kurz darauf sei die Videoleitung von den Aufständischen zerstört worden.

Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums reagierte allerdings gelassen auf die Nachricht. Man betrachte den Vorfall gegenwärtig nicht als besonders schwerwiegend, sagte er. Die US-Regierung gehe davon aus, dass das in der Anlage aufbewahrte Material alt und nicht gebrauchsfähig sei.

Experte: Tonnen hochgiftiger Chemikalien noch in Bunkern
Dass die Überreste der C-Waffenfabrik nun den ISIS-Terroristen in die Hände gefallen sind, löst hingegen unter deutschen Experten Sorge aus. Abschussbereite Raketen mit chemischen Kampfstoffen gebe es dort zwar nicht mehr, sagte ein Fachmann, der nicht namentlich genannt werden wollte, der Nachrichtenagentur Reuters. In den Bunkern von al-Muthanna lagerten aber noch immer Tonnen hochgiftiger Chemikalien wie Cyanid, im Volksmund Zyankali genannt.

"Die Gefahr, dass so etwas bei Anschlägen mit eingesetzt wird, ist nicht von der Hand zu weisen", warnte der Chemiewaffen-Experte. Dabei ist bis heute unklar, was genau in den beiden verbliebenen C-Waffen-Bunkern von al-Muthanna lagert. Weite Teile der Anlage wurden im Golfkrieg 1991 durch US-Bomben beschädigt.

Zerstörung des Materials war selbst Fachleuten zu gefährlich
C-Waffenexperten der Vereinten Nationen erledigten später den Rest: Nach Angaben des US-Geheimdienstes CIA verbrannten sie in al-Muthanna in den Jahren nach dem Krieg fast 500.000 Liter chemische Kampfstoffe und mehr als zwei Millionen Liter unverarbeitete Chemikalien. Zwei kreuzförmige Bunker jedoch wurden versiegelt - sie enthielten Material, dessen Zerstörung selbst den Fachleuten zu gefährlich erschien. Auf diese beiden Bunker mit den Nummern 13 und 41 blicken Experten nun mit Sorge.

Allein im Bunker 13 lagern nach Angaben des deutschen Fachmanns Tonnen von Cyanid. Das weiße Salz dient als Ausgangsprodukt zur Herstellung des Nervenkampfstoffs Tabun, der beim Kontakt mit der Haut oder beim Einatmen tödlich wirkt. Es lässt sich nicht einfach in großen Mengen verbrennen und blieb deshalb zurück. Außerdem soll sich in dem Bunker eine große Zahl ehemals mit Tabun gefüllter Fässer befinden. Ob der Kampfstoff darin inzwischen unschädlich gemacht wurde, ist unklar. "Selbst die Iraker wissen nicht, was da noch drin ist", sagt der deutsche Fachmann. "Es hieß einmal, da sei Natronlauge zur Neutralisation draufgefüllt worden - aber das kann funktioniert haben oder auch nicht."

Produktion von Chemiewaffen nicht auszuschließen
Eine unmittelbare Gefahr, dass die Islamisten als neue Herren von al-Muthanna nun Chemiewaffen einsetzen, sieht der deutsche Experte allerdings nicht. "Sie müssten dafür Chemikalien weiter umwandeln, und das ist nicht ohne", erklärt er. Ausschließen lasse sich die Produktion von Chemiewaffen durch die Dschihadisten aber nicht, weil über das Internet viel Wissen dazu verfügbar sei. Die Gefahr, dass die Ausgangschemikalien in Anschlägen verwendet würden, lasse sich jedenfalls nicht von der Hand weisen. Zudem bestehe das Risiko, dass die gefährlichen Stoffe an radikale Islamisten anderswo weitergegeben werden.

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