Knappes Rennen

Hochspannung vor Schottland-Referendum

Ausland
12.09.2014 13:08
Eine Frage von historischer Tragweite müssen die Schotten am 18. September mit einem simplen Ja oder Nein beantworten. Soll Schottland nach mehr als 300 Jahren aus dem Vereinigten Königreich ausscheiden? Lange Zeit sah es nicht so aus, als könne der schottische Regierungschef Alex Salmond die Mehrheit seiner Landsleute für seine Idee eines von Großbritannien unabhängigen Schottlands begeistern. Inzwischen liegen aber Befürworter und Gegner in Umfragen nahezu gleichauf - und es wird deutlich: Dieses Referendum verändert Großbritannien auf jeden Fall - unabhängig von seinem konkreten Ausgang.

In einer am Donnerstagabend veröffentlichten Umfrage des Instituts YouGov sprachen sich 52 Prozent der Befragten für den Verbleib im Vereinigten Königreich aus, 48 Prozent waren dagegen. In einer etwas detaillierteren Version sah das Ergebnis noch knapper aus. Demnach waren 50 Prozent gegen die Unabhängigkeit, 45 dafür und fünf noch unentschlossen.

Die Kampagnen der "Yes"- und "No"-Lager lassen sich auf folgende Formeln vereinfachen: Die Befürworter des Referendums rund um Salmonds Schottische Nationalpartei (SNP) argumentieren, dass nur eine schottische Regierung die wahren Interessen der Schotten im Blick habe. Die Unabhängigkeitsgegner, darunter die britischen Regierungsparteien Tory und Liberaldemokraten sowie die oppositionelle Labour-Partei, tauften ihre Kampagne "Better together" (deutsch: "Besser zusammen"). Die Summe der Nationen England, Wales, Nordirland und Schottland sei stärker als ihre Einzelteile, argumentieren sie.

Streit um Wohlstand, Jobs und Währung
Die Wähler stehen vor einer schwierigen Entscheidung: Salmond lockt mit mehr Wohlstand, weil unabhängige Schotten die Einkünfte aus der Gas- und Ölförderung in der Nordsee nicht mehr mit dem Rest des Königreichs teilen müssten. Mit diesen Einkünften und einer auf Schottland ausgerichteten Wirtschaftspolitik will Salmond mehr Arbeitsplätze schaffen.

Ferner verspricht er einen Abzug der ungeliebten, weil mit Atomraketen bestückten, britischen U-Boot-Flotte. Auch wenn Brüssel auf ein komplett von vorne beginnendes Aufnahmeverfahren beharrt, verspricht Salmond zudem eine EU-Mitgliedschaft Schottlands. London will dagegen die Briten im Jahr 2017 über einen möglichen Austritt entscheiden lassen.

Das Lager der Unabhängigkeitsgegner wirft Salmond vor, die zu erwartenden Öl- und Gaseinkünfte künstlich großzurechnen. Sie warnen zudem vor dem Verlust von Arbeitsplätzen, sollte sich Schottland vom britischen Binnenmarkt verabschieden. Außerdem lehnen Tories, Labour und Liberaldemokraten eine Währungsunion mit einem unabhängigen Schottland geschlossen ab.

Salmond lockt die Wähler dennoch unbeirrt mit dem Beibehalt des britischen Pfunds. Beobachter mutmaßen, dass er im Fall eines Sieges beim Referendum im Währungsstreit auf seine Verhandlungsmacht in der Schuldenfrage setzt. London fordert von Edinburgh, es müsse im Fall der Unabhängigkeit auch einen Teil der britischen Staatsschulden übernehmen.

Schottland kann wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen
Ob mit oder ohne Pfund: Schottland kann wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Das Bruttoinlandsprodukt der 5,3 Millionen Schotten ist in etwa so groß wie dasjenige Irlands oder Finnlands, zweier Staaten mit ähnlicher Bevölkerungszahl.

Cameron versucht Schotten mit Versprechen zu locken
Gegner und Befürworter der Unabhängigkeit kämpfen nun mit allen Mittel um Stimmen. Regierungschef David Cameron stellte den Schotten zuletzt eine weitreichende Selbstbestimmung in inneren Angelegenheiten in Aussicht, wenn sie im Vereinigten Königreich bleiben. Cameron droht über die Schottland-Frage zu stürzen. Bei einem kurzfristig anberaumten Auftritt in Edinburgh versprach er den Schotten "das Beste aus beiden Welten".

Diese Ankündigung dürfte auch andernorts Begehrlichkeiten wecken, etwa in Wales und in jenen englischen Regionen, die nach mehr Autonomie von London streben. Die weitere Dezentralisierung Großbritanniens wird deshalb mutmaßlich bei den britischen Parlamentswahlen im Frühjahr 2015 ganz oben auf der Agenda stehen. So haben Salmond und seine SNP schon jetzt die politische Landschaft in Großbritannien verändert. Am Donnerstag kommender Woche entscheiden die Schotten, ob auch die geografischen Landkarten neu geschrieben werden müssen.

Unabhängigkeitswunsch ist kein Einzelfall
Doch auch andere Länder in Europa hätten gerne neue Landkarten, denn Unabhängigkeitsbestrebungen gibt es nicht nur in Schottland – hier ein kurzer Überblick:

  • Katalonien: In der nordostspanischen Region will der dortige Regierungschef Artur Mas die Bevölkerung ebenfalls über eine Unabhängigkeit von Spanien befinden lassen, wobei diese keine bindenden Auswirkungen hätte, weil die Regierung in Madrid dessen Abhaltung als verfassungswidrig ansieht und verbietet. Geplant ist die Volksbefragung für den 9. November.
  • Baskenland: Im Nordwesten Spaniens kämpfte die Untergrundorganisation ETA fast 50 Jahre lang für einen unabhängigen baskischen Staat. Bei rund 4.000 Terroranschlägen wurden mehr als 800 Menschen getötet. Im Jahr 2011 erklärte die ETA zwar einen Gewaltverzicht und verübte seither keine Anschläge mehr. Doch die Flamme ist nicht erloschen: Im Juni gingen mehr als 100.000 Basken auf die Straße und demonstrierten mit einer 123 Kilometer langen Menschenkette friedlich für die Unabhängigkeit ihrer Region.
  • Padanien: In Italien fordert die aus verschiedenen Autonomiebewegungen entstandene Lega Nord seit Jahren die Unabhängigkeit "Padaniens" von Rom. Der Name ist abgeleitet vom italienischen "pianura padana" für die Poebene. Zu Padanien zählt die Lega Nord die norditalienischen Regionen Lombardei, Aosta, Piemont, Ligurien, Venetien und die Emilia-Romagna mit insgesamt 25 Millionen Einwohnern. Im März stimmten bei einer Internet-Befragung, die ein privates Kollektiv in der Region Venetien organisiert hatte, 89 Prozent der Teilnehmer für eine Loslösung von Italien.
  • Südtirol: Auch in Südtirol wird der Ruf nach einer Volksabstimmung über eine Loslösung der traditionell deutschsprachigen Region von Rom lauter. Dafür treten drei Parteien ein, die zehn von 35 Mitgliedern des Landtags in Bozen stellen.
  • Flandern: In Belgien setzt sich die Neu-Flämische Allianz (NVA) unter Bart De Wever für die Unabhängigkeit Flanderns ein. Bei den jüngsten Parlamentswahlen wurde sie Wahlsieger. Ihr Ziel will die Partei auf lange Sicht und friedlich erreichen - von einer Revolution im Königreich, das neben Flandern auch die französischsprachige Wallonie und das zweisprachige Brüssel umfasst, hält die NVA nichts.
  • Korsika: Auf der Mittelmeerinsel Korsika kämpften militante Gruppen mehrere Jahrzehnte lang mit Gewalt für eine Unabhängigkeit von Frankreich. Ihre Attentate richteten sich oft gegen Vertreter des französischen Staates und Verwaltungsgebäude, aber auch gegen Ferienvillen von Festlandfranzosen. Erst im Juni dieses Jahres kündigte die Organisation FLNC an, sie werde künftig auf ihren bewaffneten Kampf verzichten.
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