Mord und Totschlag

Hexenverfolgung in Papua-Neuguinea an Tagesordnung

Ausland
23.11.2011 13:32
Als die Meute sie zum Sterben an einen Baum aufgehängt hatte, blieb Lisbeth Bulheg (Name geändert) nur noch Gottvertrauen. "Ich habe viel gebetet", erzählt die zierliche Frau. Das Grauen steht ihr noch immer ins Gesicht geschrieben: Es ist voller Narben - Relikte der tiefen Kerben, die ihr eigener Neffe mit dem Messer in ihre Haut ritzte. Die Familie ihres Mannes hatte Lisbeth als Hexe bezichtigt. Und diese werden in Papua-Neuguinea gefoltert und ermordet.

Der schreckliche Vorfall passierte zu Ostern 2011 - Hexenbezichtigungen und Morde sind in dem armen Land nördlich von Australien aber an der Tagesordnung. "Drei angebliche Hexenmeister nach Entführung und Folter getötet", berichtete etwa die Zeitung "Post-Courier" im Oktober. Platz dafür war nur auf den hinteren Seiten - solche Fälle kommen alle paar Tage vor. Sie häufen sich nach Angaben der Polizei. Mehrere Dutzend Menschen sterben nach Schätzungen von Menschenrechtlern jedes Jahr. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher sein.

Die als Hexe verleumdete Lisbeth lebte mit ihrem Mann im Hochland, in der Nähe von Goroka. Ihr Mann wurde krank, die Ärzte stellten Knochentuberkulose bei ihm fest. Die Familie hatte sofort Lisbeth im Verdacht. "Sanguma meri" - Hexenfrau - schleuderten sie ihr ins Gesicht. Sie nahmen den Kranken zu sich und verboten ihr jeden Umgang. Als er im Sterben lag, schlugen sie zu.

Vermeintliche Hexe mit Messern traktiert
"Es war Nacht, und ich konnte nicht schlafen", erzählt Lisbeth. "Ich schaute auf mein Handy, es war 4 Uhr." Da klopfte es. Vor ihrer Hütte stand ein Neffe mit einigen Kumpanen. Die jungen Männer packten sie. "Drei hielten mich fest und mein Neffe hackte mit dem Messer auf mich ein. Er zog die Klinge über meine Lippen, dass mein Mund offen hing. Ich hatte kaum etwas an. Sie schnitten in meinen Bauch und Rücken, immer wieder. Ich wurde ohnmächtig vor Schmerzen. Dann legten sie mir einen Strick um den Hals und schleiften mich zu einem Mangobaum."

Die Tortur zog sich ihrer Erinnerung nach über mehr als zwölf Stunden hin. Wie Lisbeth sich mit zwei gebrochenen Armen und verheerenden Wunden schließlich zur Kirche in einem Nachbardorf schleppte, weiß sie nicht mehr. Dort fanden Jugendliche sie und brachten sie ins Krankenhaus. Dicke Narben zeugen Monate danach noch von den grausamen Erlebnissen. Lisbeth schaffte es aber, den Neffen hinter Gitter zu bringen. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Selbst Polizeichefs und Priester glauben an böse Magie
In vielen Fällen unternimmt die lokale Polizei weitaus weniger. Auch die Kirche kämpft einen aussichtslosen, oft leider nur halbherzigen Kampf gegen Hexerei. Das Problem: Selbst Polizeichefs und Kirchenvertreter sind fest von der Existenz der schwarzen Kräfte überzeugt. Ermittlungen bei Hexerei seien schwierig, weil es ja keine Beweise für die Taten gebe, zitierte die "Post-Courier" kürzlich den Polizeichef des Südlichen Hochlands, Teddy Tei. Es geht ihm wohlgemerkt um die Hexerei, nicht etwa die Verfolgung der Mörder, die Angeschwärzte zu Tode quälen. "Wer fühlt, dass er von bösen Geistern besessen ist, sollte besser zur Kirche gehen, damit der Allmächtige ihn von den Geistern befreien kann", so der Polizeichef.

"Natürlich gibt es Hexerei", sagt ein gewählter Kirchenvorstand einer lutherischen Gemeinde in der Nähe von Goroka. Sogar Pfarrer bezichtigen sich gegenseitig der Hexerei. Glaube und Aberglaube gehören hier zum Alltag. "Wir sind Christen", sagt Bauer Gamauva Sagigi im Dorf Awame bei Madang. "Aber wir wissen auch, dass es Hexen und Zauberer gibt." Zwischen beiden wird strikt unterschieden. "Hexerei tötet, Zauberei heilt", sagt Paul Gamen, Touristenführer am Fluss Sepik. Zu Hexen geht, wer mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen hat. Zu Zauberern macht sich jemand auf, wer sich von einem Fluch befreien will, unglücklich verliebt oder krank ist.

Amnesty International: "Regierung tut zu wenig"
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die Regierung von Papua-Neuguinea bereits 2009 scharf kritisiert: "Wenn Dutzende Menschen bei regelrechten Hexenjagden getötet werden, ist klar, dass die Regierung zu wenig tun, um die Bürger zu beschützen", sagte damals der für die Pazifikregion zuständige Berichterstatter Apolosi Bose. "Polizei und Justiz müssen dringend etwas tun, damit niemand mehr solcher Brutalität ausgesetzt ist." Passiert ist nichts.

Rund 98 Prozent der Einwohner Papua-Neuguineas sind Christen. Dennoch ist der Hexenglauben auf dem Vormarsch. "Weil die Menschen immer frustrierter sind", sagt Hexen-Forscher Urame. Die Regierung tut wenig für die Armen. 85 Prozent der 6,5 Millionen Einwohner leben auf dem Land, von der Hand in den Mund, in Dörfern ohne Strom, ohne Schulen, ohne medizinische Hilfe. Manche sind mehrere Tagesmärsche vom nächsten Fluss entfernt. Es gibt kaum Straßen. Die meisten Menschen sind zu Fuß unterwegs, in der Regel barfuß. 40 Prozent der Menschen können weder lesen noch schreiben.

"Magische Kräfte für das Evangelium aufgegeben"
In den vergangenen Jahrzehnten sind enorme Bodenschätze entdeckt worden. Es gibt Gold-, Nickel- und Kupferbergwerke, gerade entsteht ein gigantisches Erdgasprojekt im Hochland. Davon profitiert jedoch nur eine kleine Elite. "Die Menschen sagen mir oft: 'Wir haben unsere magischen Kräfte im Gegenzug für das Evangelium aufgegeben'", sagt Urame. "Wir beten, aber unser Leben ist trotzdem mies. Jetzt besinnen wir uns wieder auf das, was unsere Vorfahren wussten."

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele