Spione getauscht

“Agententanz” auf dem Flughafen Wien

Ausland
10.07.2010 09:03
Nur etwas mehr als eine Stunde hat der Agententausch zwischen den USA und Russland auf dem Flughafen Wien-Schwechat gedauert. Das amerikanische Flugzeug mit den zehn enttarnten russischen Spionen, das in der Nacht auf Freitag in New York abgeflogen war, landete am späten Vormittag in Wien. Wenige Meter daneben parkte sich kurz darauf der russische Jet ein, in dem sich drei CIA-Doppelagenten befanden. Russland bestätigte am Nachmittag den "Erhalt" seiner zehn Staatsbürger und damit den Austausch. Von den österreichischen Behörden heißt es statt "Wir wissen nichts" nun "Kein Kommentar".

"Die Flugzeuge sind hintereinander um zirka 11.15 Uhr gelandet", berichtete "Krone"-Fotograf Andi Schiel vom Wiener Flughafen. "Sie stehen Tür an Tür. Was dazwischen vorgeht, kann man von hier aus schwer erkennen. Die Personen dürften aber Zug um Zug mit Autos von einem Flugzeug in das andere gebracht worden sein." Währenddessen wurden die Charter-Maschinen, die vor dem noch in Bau befindlichen Skylink-Terminal parkten, aufgetankt. Neben den Flugzeugen standen mehrere Pkws und Kleinbusse, einmal blieb ein Transferbus des Airports kurz stehen.

Der "Agententanz" zwischen den beiden Flugzeugen, eine amerikanische Boeing der "Vision Airlines" mit der Kennung N766VA und eine russische Yak mit der Kennung RA52556 der "State Unitary Air Enterprise", dauerte nur rund eine Stunde. Um 12.30 Uhr hob dann die russische Maschine als Erste gen Moskau ab. Das US-Flugzeug bewegte sich um 12.45 Uhr aufs Rollfeld, amerikanische Medien gingen von London als Flugziel aus.

Ein russischer Regierungssprecher bestätigte am Freitag in Moskau gegenüber mehreren nationalen Nachrichtenagenturen, dass "die in den USA verhafteten russischen Staatsbürger an Bord einer russischen Maschine von Wien aus in ihre Heimat abgeflogen sind". Nur zwei Wochen nach der FBI-Aktion gegen den russischen Spionagering haben Washington und Moskau die diplomatisch doch recht heikle Situation damit erledigt. Die Vorarbeiten zu dem Flugfeld-Showdown waren jedoch enorm...

Express-Prozess in New York
Nur wenige Stunden vor ihrem Abflug Donnerstagnacht hatten die enttarnten Spione vor einer New Yorker Richterin zugegeben, für die russische Regierung gearbeitet zu haben. Für jeden Einzelnen stand ein Anwalt auf und antwortete auf die Frage, ob sie die Anklage akzeptieren, mit einem knappen "Ja".

Sodann bekannten sie sich der Verschwörung schuldig und wurden mit dem Zusatz "time served" (in etwa: Haft abgesessen) verurteilt. Die Ausweisungspapiere lagen quasi gleich parat, der Express-Prozess war in Rekordzeit abgewickelt.

Aus "Richard" wurde wieder Wladimir
Die meisten der Agenten hatten sich als Amerikaner getarnt. Vor Gericht hießen "Richard" und "Cynthia Murphy" wieder Wladimir und Lydia Guryew, "Donald" und "Tracey" wurden wieder zu Andrej und Elena. Die als "Femme fatale" bekannt gewordene Anna Chapman (li.) heißt allerdings wirklich so. Auch zwei weitere der zehn spionierten unter ihren tatsächlichen Namen.

Ob sie während ihrer teils ein Jahrzehnt dauernden Tätigkeit in den Vereinigten Staaten tatsächlich heikle Informationen auftaten und an Moskau weiterleiteten, bleibt fraglich. Die Spionage-Aufträge an die Agenten, die das FBI bekannt gab, waren fast alle politischer und wirtschaftlicher Natur. Es ging offenbar mehrheitlich darum, Policy-Trends der US-Politik zu erkennen und Insider-Informationen aus Wirtschaftskreisen zu erhalten. Statt "Geheimdienstler" wäre somit eher der Begriff "Nachrichtendienst" treffend. "Alle Informationen, die meine Mandantin übermittelt hat, bekommt man auch im Internet", meinte etwa Anna Chapmans Anwalt, Robert Baum, vor Gericht.

Medwedew begnadigte vier Doppelagenten
Parallel zur Gerichtsverhandlung in New York unterzeichnete Russlands Präsident Dmitri Medwedew in Moskau einen Ukas (Dekret des Präsidenten mit Gesetzeskraft, Anm.), mit dem der angebliche CIA-Agent und Nuklear-Experte Igor Sutjagin sowie drei weitere Spione des Westens begnadigt werden.

Sutjagin soll allerdings bereits am Donnerstag in Wien eingetroffen sein (siehe Infobox). Von Wien aus werde der West-Spion vom britischen Geheimdienst nach London gebracht, hieß es vonseiten des russischen Menschenrechtsaktivisten Ernst Tschorny. Nach Sutjagin sollten am Freitag die als Doppelagenten verurteilten Alexander Saporoschski und Alexander Sypatschow sowie Sergej Skripal, der ebenfalls für die CIA spioniert haben soll, freikommen.

Innenministerium nach Aktion: "Kein Kommentar"
An den österreichischen Behörden ging das Geplänkel um den größten Agententausch seit dem Zerfall der Sowjetunion offiziell spurlos vorüber. Der Sprecher des Innenministeriums, Rudolf Gollia, konnte offiziell stets "nichts zu der Angelegenheit sagen".

"Es ist nicht unsere Geschichte. Wir können das weder bestätigen noch dementieren, weil wir es nicht wissen", meinte der Sprecher auch noch am Freitagvormittag. Gollias Pendant vom Außenamt, Peter Launsky-Tieffenthal, stimmte darin ein - allerdings ohne den letzten Teil der Gollia-Aussage, wie er sagte. Nach der Aktion meinte Gollia auf krone.at-Nachfrage, es gebe nun "keinen Kommentar" vonseiten des Innenministeriums zu den beiden Landungen.

Auf die Frage, warum am Freitag keine uniformierten Polizeikräfte am Rollfeld zu sehen waren, obwohl dies ja ein recht kurzfristig angemeldeter Charter-Flug war, meinte Gollia, dass bei Transitflügen generell ja niemand ins Land einreise. "Wenn jemand von der WM aus Südafrika nach Spanien fliegt und in Wien zwischenlandet, ist das ja auch ohne Weiteres möglich und es gibt keine Passkontrolle."

Wien: Dorado für die James Bonds der Welt
In den Zeiten des Kalten Krieges - der Blütezeit der Spionage - wurden immer wieder Agenten zwischen der Sowjetunion und dem Westen bei teils spektakulären Aktionen ausgetauscht. Schauplatz war häufig das damals geteilte Berlin, aber auch Wien galt schon immer als Drehscheibe für die Geheimdienste.

Die Gründe: Geopolitisch zentrale Lage, Sitz zahlreicher internationaler Organisationen, gute Infrastruktur, geringes Risiko, niedrige Strafbestimmungen und kurze Verjährungsfristen machen die Alpenrepublik zum Dorado für die James Bonds der Welt. So heißt es auch im Verfassungsschutzbericht: "Österreich ist nach wie vor ein global bedeutender Einsatzraum für fremde Nachrichtendienste. Allein in den Jahren 1991 bis 2009 wurden ca. 250 nachrichtendienstliche Verdachtsfälle bekannt."

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