Festnahmen, Sperren

FIFA-Skandal: Druck auf Blatter wächst

Sport
28.05.2015 10:28
Die FIFA steht kurz vor ihrem Wahlkongress vor der größten Zerreißprobe ihrer skandalumtosten Geschichte, die sogar die Zukunft von FIFA-Chef Joseph Blatter plötzlich infrage stellen könnte. Wie die "Daily Mail" berichtet, darf der 79-jährige Präsident die Schweiz bis auf weiteres nicht verlassen. Zudem hat Blatter zu einer Sondersitzung in Zürich eingeladen. Nach einem dramatischen Tag in Zürich mit mehreren Festnahmen und Durchsuchungen in der Zentrale des Fußball-Weltverbandes wurden am Mittwoch elf aktuelle oder ehemalige Funktionäre provisorisch gesperrt.

Während die Blatter-Gegner der UEFA nach einer Sondersitzung in Warschau eine Verschiebung des FIFA-Kongresses forderten, verteidigte Blatter in einem schriftlichen Statement sein Krisenmanagement. Eine Absage der Präsidentschaftswahlen am Freitag, bei der er für eine fünfte Amtszeit gewählt werden will, sind für den 79-Jährigen keine Option. "Das ist eine schwierige Zeit für den Fußball, die Fans und für die FIFA als Organisation. Wir haben Verständnis für die Enttäuschung, die viele zum Ausdruck gebracht haben...", wird Blatter in einem schriftlichen Statement der FIFA zitiert. "Solch ein Fehlverhalten hat kein Platz im Fußball", sagte der Schweizer.

Doch für Blatter wird es immer enger. Laut der englischen Tageszeitung "Daily Mail" darf der 79-Jährige die Schweiz bis auf weiteres nicht verlassen. Er und alle anderen FIFA-Offiziellen sollen in den nächsten Tagen von der Schweizer Polizei verhört werden.

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Blatter sagt Eröffnungsrede ab
Zudem meidet der aktuelle FIFA-Präsident die Öffentlichkeit. Am Donnerstag hat Blatter nicht wie geplant den Medizin-Kongress des Fußball-Weltverbandes besucht. Ursprünglich hätte der 79-Jährige eine Begrüßungsansprache halten sollen. Er sagte den Termin jedoch kurzfristig ab. Einen Auftritt Blatters beim Treffen der europäischen Fußball-Verbände am frühen Nachmittag in einem Hotel in Zürich wird es nach dpa-Informationen ebenfalls nicht geben. Erster offizieller Termin des Schweizers sei die Kongresseröffnung um 17.00 Uhr in einem Theater in Zürich, hieß es.

Am Mittwoch hatte Blatter wegen der aktuellen Enthüllungen der US-Justiz um jahrelange Korruption im nord- und südamerikanischen Fußball unter Beteiligung von FIFA-Funktionären auch die Teilnahme an der Sitzung der südamerikanischen Konföderation CONMEBOL abgesagt.

UEFA probt den Aufstand
Seine europäischen Gegner haben die unverhoffte Gunst der Stunde offenbar erkannt und proben den Aufstand. Der Kongress samt Wahlen müsse um sechs Monate verschoben werden, hieß es in einem Statement unter der Überschrift "UEFA zeigt dieser FIFA die Rote Karte". "Die Vorfälle sind ein Desaster für die FIFA und beflecken das Image des Fußballs in seiner Ganzheit. Die Vorgänge zeigen, einmal mehr, dass Korruption in der FIFA-Kultur tief verwurzelt ist. Es ist notwendig, dass ein "Neustart" der kompletten FIFA erfolgt und eine echte Reform durchgeführt wird", hieß es im UEFA-Statement.

Es käme auch ein Boykott infrage. "Beim anstehenden FIFA-Kongress besteht die Gefahr einer Farce. Deshalb werden sich die europäischen Verbände genau überlegen müssen, ob sie überhaupt am Kongress teilnehmen sollen, um ein System zu verwarnen, welches - insofern es nicht gestoppt wird - den Fußball letztendlich töten wird", hieß es weiter.

Mehrheit für Blatter bröckelt
In Zürich laufen am Donnerstag die Gespräche der Fußball-Funktionäre auf Hochtouren. Bei mehreren Meetings stimmen die Kontinentalverbände des Fußball-Weltverbands (FIFA) ihr Verhalten nach den dramatischen Enthüllungen vom Mittwoch ab. Offenbar bröckelt die Mehrheit von FIFA-Chef Joseph Blatter, der sich am Freitag zum fünften Mal als FIFA-Präsident wählen lassen will.

Nach den Festnahmen und Suspendierungen am Mittwoch scheint eine Mehrheit von Blatter bei der Präsidentschaftswahl zumindest nicht mehr garantiert. Nach dpa-Informationen wollen die Vertreter der südamerikanischen Konföderation CONMEBOL bei internen Gesprächen ihr Wahlverhalten ernsthaft überdenken. Zudem sollen Gespräche mit Funktionären der europäischen Fußball-Union UEFA und der CONCACAF-Zone aus Nord- und Mittelamerika gesucht werden.

Die asiatische Konföderation AFC erneuerte hingegen am Donnerstag ihr Treuebekenntnis zu Blatter. In einem AFC-Statement hieß es: "Die Asiatische Fußball-Konföderation drückt ihre Enttäuschung und Trauer über die Ereignisse vom Mittwoch in Zürich aus, lehnt eine Verschiebung der Präsidentschaftswahlen am Freitag aber ab." Darüber hinaus stehe man zu der Entscheidung, "FIFA-Präsident Joseph S. Blatter zu unterstützen". Die AFC hat bei der Wahl 46 von 209 Stimmen.

Putin stellt sich hinter Blatter
Auch der russische Präsident Wladimir Putin hat FIFA-Präsident Joseph Blatter in der Korruptionsaffäre den Rücken gestärkt. Putin sagte am Donnerstag in Moskau, Blatter habe seine Unterstützung. Mit der Festnahme von sieben FIFA-Funktionären in Zürich überschritten die USA ihre rechtliche Zuständigkeit. "Das ist schon wieder ein offenkundiger Versuch der USA, ihr Rechtssystem auf andere Staaten auszuweiten", sagte Putin. Die Festnahmen seien ein Versuch, die Wiederwahl Blatters zu verhindern.

Beschuldigte aus dem Blatter-Zirkel
Am Mittwoch hatten Schweizer Sicherheitsbehörden unabhängig voneinander an zwei Orten in Zürich Ermittlungen wegen möglicher Vergehen innerhalb des FIFA-Apparats vorangetrieben. Und erneut kamen Beschuldigte aus dem engsten Machtzirkel um Blatter.

Im Hotel Baur au Lac wurden unter anderem die beiden FIFA-Vizepräsidenten Jeffrey Webb (Kaymaninseln) und Eugenio Figueredo (Uruguay) festgenommen, dazu die weiteren fünf Spitzenfunktionäre Jose Maria Marin (Brasilien), Eduardo Li (Costa Rica), Julio Rocha (Nicaragua), Rafael Esquivel (Venezuela) und Costas Takkas (Großbritannien). Gegen die drohende Abschiebung in die USA legten sechs der sieben Festgenommenen noch am Mittwoch Rechtsmittel ein, was zumindest aufschiebende Wirkung hat.

Organisiertes Verbrechen?
Ihnen werden organisiertes Verbrechen und Korruption vorgeworfen. Als Höchststrafe drohen in den USA 20 Jahre Haft. Insgesamt ermittelt das US-Justizministerium, das die Schweizer Behörden um Amtshilfe ersucht hatte, gegen 14 Personen. Sie sollen seit Anfang der 90er-Jahre Schmiergelder von mehr als 150 Millionen Dollar von Vermarktern für die Vergabe von Fußballturnieren erhalten haben. 110 Mio. Dollar sollen allein für Vermarktungsrechte für die Copa America 2016 in den USA geflossen sein. Bestechungsgelder sollen auch vor der WM-Vergabe an Südafrika 2010 gezahlt worden sein.

FBI-Chef: "Spiel wurde gekidnappt"
"Sie haben das weltweite Fußballgeschäft korrumpiert, um sich selbst zu bereichern", erklärte US-Justizministerin Loretta Lynch am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in New York. "Sie haben es immer und immer wieder gemacht. Jahr um Jahr, Turnier um Turnier." FBI-Direktor James Comey formulierte es drastisch: "Dieses so beliebte Spiel wurde gekidnappt." Er verspricht langwierige Ermittlungen.

Ex-FIFA-Vize Warner stellt sich der Polizei
Nach den Korruptionsvorwürfen hat sich der frühere FIFA-Vizepräsident Jack Warner der Polizei in seinem Heimatland Trinidad und Tobago gestellt. Er soll bald gegen die Zahlung einer Kaution in Höhe von 2,5 Millionen Dollar auf freien Fuß gesetzt werden, wie örtliche Medien am Mittwoch berichteten. Der ehemalige FIFA-Funktionär müsse auch seinen Pass abgeben und sich zweimal pro Woche bei der Polizei melden. Der nächste Gerichtstermin findet im Juli statt.

Unabhängig von den US-Ermittlungen stellten Schweizer Behörden in der FIFA-Zentrale elektronische Daten und Dokumente sicher. Die zuständige Bundesstaatsanwaltschaft eröffnete ein Strafverfahren im Zusammenhang mit den WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022. Nach Behördenangaben geht es um den Verdacht der Geldwäsche. Bis zu zehn an der WM-Vergabe beteiligte Mitglieder des Exekutivkomitees sollen noch verhört werden.

Russland sieht sich als Gastgeber 2018 nicht belastet. Die betroffenen Funktionäre hätten "keine Beziehung" zu dem Turnier, sagte Sportminister Witali Mutko laut Agentur Interfax. Russland sei zur Zusammenarbeit mit den Behörden bereit. "Wir haben nichts zu verbergen." Auch bei der FIFA gibt es keine WM-Zweifel.

Die WM-Ermittlungen gehen auf eine Strafanzeige der FIFA vom 18. November 2014 zurück. "Das Timing ist nicht das beste", räumte FIFA-Kommunikationschef Walter de Gregorio ein. Das Verfahren sei aber gut für die FIFA im Sinne der Transparenz. "Es ist gut, was heute passiert ist. Es tut weh, aber wir werden den Weg weiter gehen", meinte de Gregorio.

Rücktritt für Blatter kein Thema
Der Kongress des Dachverbandes und die Wahl seines Präsidenten mit Blatter und seinem einzigen noch verbliebenen Herausforderer Prinz Ali bin al-Hussein soll durchgeführt werden. Ein Rücktritt Blatters sei kein Thema. "Warum soll er zurücktreten? Er wird nicht verdächtigt", so De Gregorio.

Aus dem Hauptquartier berichteten FIFA-Mitarbeiter von einer "extrem angespannten Stimmung". Blatter sagte alle seine Termine des Tages ab. "Er tanzt natürlich nicht in seinem Büro", bekannte de Gregorio. Auch bei einer Sitzung des südamerikanischen Verbandes CONMEBOL - aus dem mehrere Beschuldigte stammen - soll es eisig zugegangen sein. In dem Blatter freundlich gesonnenen Gremium gab es kritische Stimmen.

Herausforderer Al-Hussein forderte natürlich auch aus eigenem Interesse einen generellen Wandel: "Wir können so nicht weitermachen. Die Krise dauert an und ist nicht nur an die heutigen Ereignisse geknüpft. Die FIFA braucht eine Führung, die regiert, führt und unsere Verbände schützt."

ÖFB-Boss Windtner: "Das ist ein Wahnsinn"
Erschüttert von den Vorfällen zeigte sich am Mittwoch auch ÖFB-Präsident Leo Windtner. "Es ist ein Wahnsinn, dass vom Exekutivkomitee der FIFA aus kriminellen Gründen nur noch ein Drittel übrig ist", stöhnt er im "Krone"-Interview.

Windtners Schlussfolgerung aus der Causa: "Wir sehen uns in unserem Abstimmungsverhalten bestätigt: Österreich wählt Sepp Blatter nicht." Zu den Festgenommenen gehören Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo - die beiden Stellvertreter von Blatter, der laut Weltverband wie auch Generalsekretär Jérôme Valcke nicht zu den Verdächtigen gehört, gelten als enge Vertraute des FIFA-Bosses. Die heikle Frage: Ist Blatter der Nächste?

Englischer Verbandschef fordert Blatter-Rücktritt
Der Präsident des englischen Fußballverbands, Greg Dyke, hat nach den Festnahmen mehrerer Topfunktionäre den Rücktritt von Verbandschef Blatter gefordert. Dyke sagte der britischen Nachrichtenagentur Press Association in der Nacht zum Donnerstag in Zürich: "Sepp Blatter muss als FIFA-Präsident gehen." Solange Blatter da sei, gebe es keinen Weg, das Vertrauen in die FIFA wiederherzustellen, betonte Dyke.

Romario bezeichnet FIFA-Funktionäre als "Ratten"
Brasiliens Fußball-Weltmeister und heutige Senator Romario hat die in Zürich festgenommenen FIFA-Funktionäre als "Ratten" bezeichnet. Der WM-Star von 1994 attackierte vor allem Brasiliens Ex-Fußballboss José Maria Marin (83). Er sei eine der "Ratten", die er schon oft beschuldigt habe. "Das ist die Person, die mit (Brasiliens) Präsidentin Dilma (Rousseff) während der Fußball-WM Staatschefs empfangen hat", kritisierte der 49-Jährige via Facebook.

"Diebe müssen ins Gefängnis"
Unglücklicherweise sei es nicht die brasilianische Polizei gewesen, die die Festnahmen umgesetzt habe, aber irgendjemand hätte es eines Tages tun müssen. "Diebe müssen ins Gefängnis. ... Glückwunsch ans FBI und die Schweizer Polizei", so Romário. Er hoffe, dass mit der Aktion eine Säuberung im Fußball beginne.

"Die Festnahme José Maria Marin ist, glaube ich, schon der Beginn einer großen Zukunft für unseren Fußball und besonders für die größte und korrupteste Instanz im Fußball (FIFA)", erklärte er in einem Video aus einer Senatssitzung. Marin war von 2012 bis April 2015 Präsident des brasilianischen Fußballverbandes - er wurde wiederholt mit Korruptions- und Veruntreuungsvorwürfen in Verbindung gebracht.

Sponsoren geschockt
Auch die Topsponsoren üben zunehmend Druck auf den Fußball-Weltverband aus. Das Kreditkartenunternehmen Visa mahnte "rasche und sofortige Maßnahmen" an, um die Probleme innerhalb der FIFA zu beheben. "Sollte die FIFA dies nicht tun, haben wir sie informiert, dass wir unser Sponsoring neu bewerten würden", teilte das Unternehmen in einer Stellungnahme mit.

Auch der südkoreanische Automobilhersteller Hyundai betonte in einer Mitteilung, dass man die Lage genau beobachten wolle. "Als Unternehmen, für das ethische Normen und Transparenz den höchsten Stellenwert besitzen, sind wir extrem besorgt über die eingeleiteten rechtlichen Schritte gegen bestimmte FIFA-Führungskräfte."

Coca Cola erklärte, dass die Anklagen "die Mission und Ideale der FIFA-Fußball-WM trüben und dass wir wiederholt unsere Bedenken betreffend dieser schweren Anschuldigungen ausgedrückt haben".

Südafrika weist Bestechungsvorwürfe zurück
Der südafrikanische Fußballverband (SAFA) hat Bestechungsvorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe der Weltmeisterschaft 2010 entschieden zurückgewiesen. Dem US-Justizministerium zufolge soll Südafrika den Weltverband FIFA mit zehn Mio. US-Dollar bestochen haben, um den Zuschlag für die Austragung des Turniers zu bekommen. SAFA betonte am Donnerstag, alles sei strikt nach den Regeln abgelaufen.

"Wir weisen die Vorwürfe zurück", sagte Sprecher Dominic Chimhavi. "Die Bewerbung wurde von Menschen höchster Integrität gemacht, darunter der verstorbene Nelson Mandela und (der frühere Präsident) Thabo Mbeki", sagte Chimhavi. Es sei eine ehrenhafte Bewerbung gewesen. US-Justizbehörden zufolge wurde das Bestechungsgeld aus Südafrika dem damaligen FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner übergeben. Der aus Trinidad und Tobago stammende Funktionär ist von den US-Behörden im Rahmen des FIFA-Bestechungsskandals als einer von insgesamt 14 Verdächtigen benannt worden. Warner beteuert seine Unschuld.

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(Bild: KMM)



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