Folge des Sparkurses

Athen: Sterblichkeit bei Säuglingen steigt um 43%

Ausland
22.02.2014 11:05
Der drastische Sparkurs in Griechenland hat einer Studie zufolge verheerende Auswirkungen - besonders für das Gesundheitssystem. Das berichtet der "Spiegel". Mehr Totgeburten, HIV-Neuinfektionen, Tuberkulose- und Depressionsfälle sowie Suizide sind die Folge, schreiben britische Forscher. Besonders die Kleinsten trifft es: Die Säuglingssterblichkeit stieg in den letzten Jahren um 43 Prozent. Eine Hilfsorganisation spricht sogar von einer Verletzung der Menschenrechte.

"Griechenlands Gesundheitskrise: Von der Sparpolitik zur Realitätsverweigerung" haben die Forscher der britischen Universitäten Cambridge, Oxford und London ihre Studie betitelt, die im Medizinjournal "The Lancet" veröffentlicht wurde. Was sie durch die Auswertung offizieller Umfragen und Statistiken sowohl der griechischen Regierung als auch der EU-Kommission erheben konnten, zeichnet ein erschreckendes Bild der Zustände im krisengebeutelten Land.

Die drastische Sparpolitik während der seit sechs Jahren andauernden Krise hat nämlich verheerende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung. Der rigide Sparkurs der Regierung traf vor allem die Vorsorgeprogramme hart: So wurde die Ausgabe von Spritzen und Kondomen an Drogenabhängige gekürzt. Die Folge: Die Zahl der HIV-Neuinfektionen unter denen, die Drogen spritzen, stieg von 15 im Jahr 2009 auf 484 drei Jahre später. Den Krankenhäusern wurde das Budget um ein Viertel reduziert, die Ausgaben für Medikamente wurden auf die Hälfte zusammengestrichen.

Säuglingssterblichkeit um 43 Prozent gestiegen
Die Autoren der Studie heben besonders die Auswirkungen auf Kinder hervor: Die Zahl der Babys mit niedrigem Geburtsgewicht ist allein zwischen 2008 und 2010 um 19 Prozent gestiegen, die Zahl der Totgeburten um mehr als 20 Prozent. Als möglichen Grund führen die Wissenschaftler den - wegen hoher Kosten und geringem Einkommen - schwierigen Zugang zu Ärzten an. Auch die Säuglingssterblichkeit ist den Zahlen zufolge um 43 Prozent gestiegen.

Die griechische Regierung musste ihre Ausgaben "schnell und drastisch" kürzen, heißt es in der Studie. Bei der Gesundheit lag die Vorgabe der internationalen Kreditgeber bei sechs Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes. Ärzte und Kliniken reagierten daraufhin mit Gebühren, um Ambulanzen und Ordinationen weiter betreiben zu können. Doch viele Griechen können angesichts dramatisch sinkender Einkommen und Rekordarbeitslosigkeit diese Gebühren nicht bezahlen.

800.000 ohne Krankenversicherung
Zudem verliert, wer in Griechenland nach zwei Jahren arbeitslos ist, die Krankenversicherung. Der Studie zufolge stehen mittlerweile geschätzt 800.000 Griechen komplett ohne Versicherungsschutz da. Auch Auswirkungen der Krise auf die Psyche der Menschen kann das Gesundheitssystem immer schwerer auffangen, weil auch hier kräftig gekürzt wurde. Die Folge: Die Zahl der Suizide in Griechenland ist zwischen 2007 und 2011 um 45 Prozent gestiegen, schwere Depressionen haben sich sogar verdoppelt.

Die humanitäre Organisation Ärzte der Welt ist seit langem vor Ort, hauptsächlich um sich um Flüchtlinge in Griechenland zu kümmern. Doch im Zuge der Finanzkrise sei die Zahl der Programme verdoppelt worden, sagt Vizedirektorin Nathalie Simonnot gegenüber den britischen Forschern, weil immer mehr Griechen keine andere Möglichkeit hätten, an eine medizinische Grundversorgung zu kommen. "Hier sind Menschen in einem Zustand, wie ich es in meinem Leben noch nicht gesehen habe", sagt Simonnot. Immer mehr Schwangere könnten es sich nicht mehr leisten, ins Krankenhaus zu gehen, und viele Diabetiker müssten sich entscheiden, ob sie sich Insulin kaufen - oder etwas zu essen. "Hier werden Menschenrechte verletzt", so Simonnot.

Forscher werfen Regierung Realitätsverweigerung vor
Angesichts dieser Zustände werfen die Forscher den verschiedenen griechischen Regierungen seit Ausbruch der Krise regelrechte Realitätsverweigerung vor. Das Abstreiten ernsthafter Probleme und die Behauptung, Bedürftige würden kostenfrei und ausreichend versorgt, sei eine Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, schreiben die Wissenschaftler. Auch in krisengebeutelten Spanien orten sie bereits derartige Entwicklungen.

Als Gegenbeispiel für eine verantwortungsvolle Gesundheitspolitik während einer tiefen Wirtschaftskrise nennen die Soziologen des King's College Island. Das Land habe den Rat des Internationalen Währungsfonds nicht befolgt, die Gesundheits- und Sozialausgaben radikal zu kappen. Das Ergebnis: Trotz der massiven Krise habe es keine erkennbaren Auswirkungen auf die Gesundheit der Isländer gegeben.

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