Schwarze Listen?

Türkei: Druck auf ausländische Reporter steigt

Medien
27.04.2016 09:49

"Wir sind abhängig von Ankara", sagt ein britischer Journalist. "Ich habe Angst, dass ich wegen eines Artikels angeklagt werde", so eine Niederländerin. "Immer, wenn ich in die Türkei zurückkehre, fürchte ich, dass ich nicht mehr ins Land gelassen werde", so ein deutscher Journalist. Alle drei berichten aus Istanbul, alle drei wollen weg - denn mit der Pressefreiheit geht es hier stetig bergab.

(Bild: kmm)

Ausgewiesene und inhaftierte Journalisten, Überfälle von Anhängern der Regierungspartei AKP auf Redaktionen, Nachrichtensperren, politisch motivierte Steuerfahndungen oder die Unterstellung von regierungskritischen Medien an einen Zwangsverwalter: Für kritische Journalisten in der Türkei wird es immer schwerer - in den vergangenen Tagen spüren immer mehr Auslandskorrespondenten den Druck, den bisher eher ihre türkischen Kollegen aushalten mussten.

Denn sie fühlen sich immer stärker von der islamisch-konservativen AKP-Regierung und dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan unter Druck gesetzt. Deswegen wollen die drei Journalisten auch anonym bleiben. "Ich lebe hier mit meiner Familie, und will ihnen ersparen, dass wir wegen meiner Arbeit über Nacht abgeschoben werden", sagt der Brite. "Ich habe meine wichtigsten Sachen bereits außer Landes geschafft", erzählt der Deutsche. "Falls ich irgendwann nicht über die Grenze gelassen werde."

Türkei verweigert Journalisten oft die Einreise
Erst am Montag wurde dem US-Journalisten David Lepeska am Istanbuler Atatürk-Flughafen die Einreise verweigert. Nach eigenen Angaben musste er ein Flugzeug nach Chicago besteigen. Lepeska arbeitete seit Jahren in Istanbul als freier Journalist, unter anderem für den britischen "Guardian", den arabischen Nachrichtensender "Al-Jazeera" und die US-Zeitschrift "Foreign Affairs". Der Grund für seine Ausweisung war zunächst nicht bekannt.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte am Dienstag die Türkei vor Schwarzen Listen mit Namen unerwünschter Journalisten. "Listen mit Journalistennamen haben in Demokratien nichts zu suchen", sagte er.

Türkei dementiert Schwarze Listen
In der Türkei dementiert man die Existenz solcher Schwarzen Listen. Ein türkischer Regierungsvertreter sagte zu den Fällen mit Einreisesperre, einige dieser Journalisten hätten in der Vergangenheit etwa durch illegale Grenzübertritte nach Syrien gegen türkisches Recht verstoßen. Andere hätten sich bei früheren Aufenthalten verdächtig verhalten, indem sie beispielsweise als Touristen eingereist seien und dann Extremisten interviewt hätten, ohne sich bei der Regierung zu akkreditieren. Die Regierung habe "keinen Politikwechsel" in der Hinsicht vollzogen.

Dennoch häufen sich Probleme ausländischer Reporter. Letzte Woche hatten die türkischen Behörden einem Fotografen der Bild -Zeitung sowie einem ARD-Korrespondenten die Einreise verweigert. Die niederländische Journalistin Ebru Umar wurde am Wochenende nach kritischen Äußerungen über Erdogan vorübergehend festgenommen. Im vergangenen Jahr war eine niederländische Reporterin aus der Türkei abgeschoben worden. Der Korrespondent des "Spiegel" hatte im März die Türkei verlassen, nachdem er sich vergeblich um eine neue Akkreditierung beim türkischen Presseamt bemüht hatte. Denn wer keinen Presseausweis bekommt, dem fehlt die Arbeitserlaubnis, und der bekommt auch keine Aufenthaltsgenehmigung.

"Das ist nicht mehr zum Aushalten"
"Jedes Jahr diese Lotterie, ob ich einen Presseausweis bekomme, das ist nicht mehr zum Aushalten", sagt der britische Journalist. "Unsere Heimatredaktion kann sich überhaupt nicht vorstellen, unter welchen schwierigen Umständen wir hier arbeiten", beschwert sich die Niederländerin. "Ich habe keine Lust mehr, mir nach jedem Artikel Sorgen machen zu müssen, dass die Polizei vor meiner Tür stehen könnte", so der deutsche Korrespondent.

Erst letzte Woche veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) ihre jährliche Rangliste der Pressefreiheit. Die Türkei ist binnen Jahresfrist weiter abgestiegen, von Platz 149 auf Platz 151, von insgesamt 180 Ländern. Die Türkei landete damit zwischen Tadschikistan (Platz 150) und der Demokratischen Republik Kongo (Platz 152).

Währenddessen laufen gegen mehr als 1800 Personen Anzeigen, die der Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich wegen mutmaßlicher Präsidentenbeleidigung gestellt hat. Der Artikel 299 des türkischen Strafgesetzbuches sieht für die Beleidigung des Präsidenten mehrjährige Gefängnisstrafen vor. Im Jahre 2003, als Erdogan damals erstmals das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, befand sich die Türkei noch auf Platz 116 von insgesamt 166 Staaten des ROG-Rankings.

Davutoglu sieht Pressefreiheit nicht bedroht
Das aktuelle Ranking wurde nur wenige Tage vor dem Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, des polnischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk und des niederländischen Vize-EU-Kommissionspräsident Frans Timmermans in der Türkei vorgestellt.

Bei einer Pressekonferenz mit Merkel wies der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu die Mahnungen der EU zur Einhaltung der Pressefreiheit zurück, und erwiderte: "Wir können nicht akzeptieren, dass wir von oben und außen beurteilt werden." Im selben Atemzug drohte er, dass solle die von Ankara geforderte Visafreiheit für türkische Bürger von der EU bis Ende Juni nicht zugestanden werden, dann trete auch das Rückführungsabkommen für die Flüchtlinge nicht in Kraft.

Die Repressalien gegen Reporter gehen weiter
Kurze Zeit später, am Samstagabend, setze die Kolumnistin Umar einen Tweet ab: "Ok. Polizei vor der Tür. Kein Witz." Am Sonntag gab ihre Redaktion bekannt, Umar sei wegen eines "Tweets über Erdogan in Gewahrsam. Die Journalistin ist mittlerweile wieder freigekommen, allerdings darf sie die Türkei nach eigener Aussage nicht verlassen.

Am Dienstag kritisierte Davutoglu in einer vom Nachrichtensender NTV ausgestrahlten Rede die britische BBC, weil diese den PKK-Chef Cemal Bayik geführt hatte. Mit Journalismus habe dies nichts zu tun, sagte Davutoglu. Das Interview sei respektlos.

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