Druck aus Ankara

Merkel stimmt Strafverfolgung von Böhmermann zu

Ausland
15.04.2016 16:39

Paukenschlag in der Böhmermann-Affäre: Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt dem Druck aus Ankara nach und stimmt strafrechtlichen Ermittlungen gegen den deutschen TV-Moderator Jan Böhmermann zu. Das hatte die türkische Regierung nach der Veröffentlichung eines Schmähgedichts gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vehement gefordert.

Merkel sagte in einer Stellungnahme am Freitag, im Rechtsstaat habe nicht eine Regierung die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und der Meinungs- und Kunstfreiheit zu treffen, sondern Staatsanwaltschaft und Gerichte. Die Ermächtigung der Regierung bedeute keine Vorverurteilung.

Differenzen innerhalb der Koalition
Die Entscheidung ist innerhalb der Regierung in Berlin umstritten. Merkel verwies auf "unterschiedliche Auffassungen" zwischen den Koalitionspartnern aus Christdemokraten und Sozialdemokraten. Unmittelbar nach dem Statement der Regierungschefin äußerte sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann auch schon kritisch: "Ich halte die Entscheidung für falsch. Strafverfolgung von Satire wegen 'Majestätsbeleidigung' passt nicht in moderne Demokratie", teilte er auf Twitter mit.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein SPD-Parteikollege und Justizminister Heiko Maas distanzierten sich ebenfalls von der Entscheidung. Steinmeier sagte bei einer gemeinsamen Erklärung mit Maas, die SPD-geführten Ressorts hätten nach sorgfältiger Überlegung gegen die Erteilung der Ermittlungsermächtigung gestimmt: "Wir sind der Auffassung, dass die Ermächtigung nicht hätte erteilt werden sollen." Wegen der Stimmengleichheit habe die Stimme der Bundeskanzlerin entschieden.

"Gerichte hätten sowieso zu entscheiden gehabt"
Maas sagte, es handle sich um eine Ermessensentscheidung der Regierung. Im vorliegenden Fall bestehe die Besonderheit darin, dass Erdogan auch als Privatperson Anzeige wegen Beleidigung erstattet habe. Deshalb werde die Frage, ob es sich um Satire oder um eine strafbare Beleidigung handle, "ohnehin von den Gerichten entschieden". "Und zwar unabhängig davon, ob eine Strafverfolgungsermächtigung erteilt wird oder nicht."

Gedicht sorgte in der Türkei für große Empörung
Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show "Neo Magazin Royale" ein Gedicht vorgetragen, in dem er Erdogan beleidigte. Das sorgte in der Türkei für große Empörung. Die deutsche Regierung hatte Erdogans Wunsch nach einem gesonderten Strafverfahren tagelang geprüft. An der Entscheidung waren neben Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) auch das Auswärtige Amt sowie das Innen- und das Justizministerium beteiligt.

Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs. Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach in Deutschland mit einer Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Haft rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

"Majestätsbeleidigungsparagraf" soll abgeschafft werden
Merkel kündigte an, dass der Paragraf abgeschafft werden soll. Er sei nach Auffassung der Bundesregierung "für die Zukunft entbehrlich", sagte die Bundeskanzlerin. Noch in dieser Wahlperiode werde ein entsprechender Gesetzentwurf verabschiedet, der 2018 in Kraft treten solle.

Hier eine kurze Zusammenfassung, was bisher in der Affäre geschehen ist:

17. März: Im NDR macht sich die Satiresendung "extra 3" in einem Lied über Erdogan lustig.

22. März: Die Türkei lädt den deutschen Botschafter Martin Erdmann vor, um gegen den zweiminütigen Film zu protestieren.

29. März: Die deutsche Bundesregierung weist den Protest in einem Telefonat mit der türkischen Seite zurück: Die Presse- und Meinungsfreiheit sei "nicht verhandelbar".

31. März: Satiriker Böhmermann liest in der ZDF-Sendung "Neo Magazin Royale" ein Gedicht über Erdogan vor, das unter die Gürtellinie geht. Böhmermann will damit nach eigener Aussage die Unterschiede zwischen erlaubter und verbotener Satire aufzeigen.

1. April: Das ZDF gibt bekannt, dass der Beitrag aus der Mediathek gelöscht und nicht wie vorgesehen wiederholt wird.

3. April: Merkel kritisiert Böhmermanns Gedicht in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu als "bewusst verletzend". Gleichzeitig bekräftigt sie den hohen Wert der Presse- und Meinungsfreiheit.

6. April: Die Staatsanwaltschaft Mainz teilt mit, dass sie wegen des Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten ermittelt. Zuvor seien rund 20 Strafanzeigen eingegangen.

10. April: Aus Berliner Regierungskreisen wird bekannt, dass die Türkei in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt eine Bestrafung von Böhmermann verlangt.

11. April: Die deutsche Bundesregierung kündigt an, die Forderung zu prüfen. Die Freiheit der Kunst und die Pressefreiheit seien für Merkel nicht verhandelbar, heißt es. Die Staatsanwaltschaft Mainz bestätigt einen Strafantrag Erdogans gegen Böhmermann wegen Beleidigung.

12. April: Wegen der öffentlichen Diskussion sagt Böhmermann die nächste Ausgabe seiner Sendung "Neo Magazin Royale" ab.

14. April: ZDF-Redakteure wollen das gelöschte Schmähgedicht von Böhmermann über den türkischen Präsidenten in die Mediathek des Senders zurückholen. Doch das ZDF bleibt bei seiner Entscheidung. Böhmermann wird nach Angaben seines Anwalts keine Unterlassungserklärung abgeben.

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