Chef-Kommentar

Sowjet-Nostalgie vor dem Dom

Salzburg
20.08.2015 20:58
Pardon, aber es steht groß auf Dutzenden Dreieck-Ständern in der ganzen Stadt Salzburg, für Jedermann lesbar: "Leck mich an den Festspielen!" Damit will die mit Steuergeld hoch subventionierte alternative Kulturgesellschaft im Nonntal Reklame für eine Veranstaltungsreihe machen. Und das scheint ihr wohl gelungen, denn jeder schaut auch im Vorbeifahren hin.

Für die Vorstellungen des "Jedermann" vor dem Dom gab es in diesem hitzigen Festspiel-Sommer zum ersten Mal noch wenige Restkarten und einige dürften auch Heinz Christian Strache und seine Freunde ergattert haben. Schön für jeden, der sich das Mysterienspiel mit den tiefgründigen Texten ansieht und über die Unbarmherzigkeit der Hauptperson nachdenkt. Als eine Art Protest gegen den Besuch des FPÖ-Chefs spielten die Musikanten beim Einzug die "Internationale". Das halte ich für kein großes Problem, denn dank unseres verheerend niveaulosen Schulsystems weiß ja kaum wer, dass es sich bis zum Jahr 1943 um die offizielle Nationalhymne der untergegangenen Sowjetunion handelte.

Der glücklose ÖVP-Obmann Erhard Busek sang in seinem orgiastischen Rausch nach der "Ja zur EU"-Abstimmung den Refrain gemeinsam mit den Sozialisten im Zelt vorm Burgtheater. 1888 komponierte der belgische Arbeiter-Sänger Pierre Degeyer das Lied. Im Internet auf "youtube" können Sie die deutsche Version hören, eine flotte Marsch-Melodie - und zum Text weht im Hintergrund die rote Fahne mit den gezeichneten Porträts von Marx, Engels und Lenin. Nach dem gescheiterten Sozialtheoretiker Marx ("Das Kapital") ist ein berühmter Gemeindebau in Wien benannt, der Friedrich-Engels-Platz heißt noch immer so, und Wladimir Iljitsch Lenin gilt als Begründer der Sowjetunion, beim Bürgerkrieg zwischen den Weißen und den Roten kamen Millionen schuldloser Menschen ums Leben. Der Untergang der kommunistischen Völker-Kerker-Staaten (Stichwort: Fall der Berliner Mauer) darf als bekannt vorausgesetzt werden, denn da gab es ja schon den TV-Sender CNN. Die Freiheit der Kunst.

"Die Arbeit hoch!"
Man kann sich sein Publikum nicht aussuchen, das denke ich mir immer, wenn ich einen Juristen sehe, der südamerikanische Drogenbosse vertrat und - nun bekehrt - kirchliche Projekte sponsert. Eine schöne Wandlung. So richtig ein ausgewachsener Festspiel-Skandal, wie ihn die Öffentlichkeit jeden Sommer förmlich herbeisehnt, also etwa die urinierenden Kunstfiguren von Agnes Husslein, wird das "Internationale"-Intermezzo nicht werden, nur Strache kommt halt wieder einmal in die Schlagzeilen. Ob sich für die letzten Jedermann-Vorstellungen Mitglieder der Bundesregierung angesagt haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Angesichts von 400.000 Arbeitslosen in der Republik, 20.000 davon im einstigen Wirtschaftswunderland Salzburg, böte sich das Absingen des Liedes "Die Arbeit hoch!" an. Das verliefe problemlos, denn das wird immer am 1. Mai bei der Feier vorm Rathaus intoniert.

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