Wegen hoher Preise

Wiener Grüne erwägen Enteignung von Grundstücken

Österreich
11.11.2014 17:12
Angesichts der Knappheit von Baugründen für günstige neue Wohnbauten speziell in Großstädten wie Wien werden Rufe nach Zwangsmaßnahmen - von Wertsteigerungsabgaben bis hin zu Enteignungen - laut. Laut einem Medienbericht erwägen auch die Grünen, diese Forderung bei einer eventuellen Regierungsbeteiligung nach der Wahl 2015 zum Thema zu machen. Planungssprecher Christoph Chorherr erklärte gegenüber dem "Falter": "Als Ultima Ratio kann das - gegen Kostenerstattung - bis zur Enteigung gehen."

Auf Basis des Bodenbeschaffungsgesetzes sollen der Stadt Wien Vorverkaufsrechte für Grundstücke eingeräumt werden, erklärte Chorherr gegenüber der Stadtzeitung. Natürlich solle die Stadt aber "nicht gezwungen werden, jeden noch so horrenden Preis für Stadtflächen zu bezahlen". Als letztes Mittel könne daher auch eine Enteignung überlegt werden. Zudem plädieren die Grünen laut Chorherr auch für die Wiedereinführung des Gemeindebaus, der in Wien seit dem Jahr 2004 "unverständlicherweise" nicht mehr errichtet wird.

Experten fordern grundsätzliche Debatte
Wegen der rasant steigenden Grundstückspreise - in Wien um 160 Prozent von 1987 bis 2010 - und der tendenziell rückläufigen Liegenschaftsreserven sollte eine grundsätzliche Debatte über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums geführt werden, erklärte auch der Obmann der Gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV), Karl Wurm.

Speziell der gefördert Wohnbau leide unter einem Preis- und Mengenproblem. "Gelingt es nicht, die Grundpreis-Situation in den Ballungsräumen in den Griff zu bekommen, ist der geförderte Mietwohnungsbau nicht mehr möglich", warnte Wurm, "außer die öffentliche Hand subventioniert das wieder unten, damit es doch wieder leistbar ist."

Preis für Eigentumswohnungen stark angezogen
Innerhalb nur eines Jahrzehnts, von 2003 bis 2013, sei die Wiener Bevölkerung um ein Zehntel gewachsen, samt Umgebung sogar um 13 Prozent. Es boome aber nur der frei finanzierte Wohnbau, nicht der geförderte, kritisierte der GBV-Obmann und bezifferte den Fehlbestand mit 3.500 Einheiten im Jahr. Daher hätten die Preise für Eigentumswohnungen von 2010 bis 2013 um 9,4 Prozent jährlich angezogen, obwohl sich die Gründe "nur" um 5,4 Prozent pro Jahr verteuert hätten.

Nötig sei neben einer forcierten Anwendung der Vertragsraumordnung eine eigene Widmungskategorie "förderbarer Wohnbau" mit klaren Preisobergrenzen: "Wir brauchen hier eine klare Determination des Preises und eine Rückwidmung nach zehn Jahren, wenn nicht gebaut wird."

Raumplaner: Bodenpreisdämpfung nötig
Auch aus Sicht von Christof Schremmer vom Österreichischen Institut für Raumplanung ist "eine Bodenpreisdämpfung für den geförderten Wohnbau erforderlich", sonst könnte womöglich "ein Kippen am Baulandmarkt gar nicht mehr zu stoppen" sein. Vom Bodensektor erfolge ein zusätzlicher Druck auf den geförderten Wohnbau und auf die Subjektförderung, also finanzielle Hilfe für Menschen durch Mietzuschüsse. Für junge Menschen sei eine Haushaltsgründung nur mehr schwer möglich und die Überbelagsquote in Wohnungen wachse.

Der konstante Bevölkerungszuwachs, mit dem noch vor einigen Jahren in dieser Form kaum jemand gerechnet habe - speziell Zuzügler aus dem EU-Raum und vom Balken -, erfordere für Wien eigentlich eine Neubauleistung von 9.000 bis 11.000 Einheiten jährlich, sagt Schremmer. Zuletzt habe es hier 2013 aber nur 8.000 Förderzusagen gegeben, 30.000 in ganz Österreich. Die Stadt Wien gehe davon aus, dass die Bevölkerung von heute 1,77 Millionen bis 2041 auf 2,1 Millionen klettert, mehr sogar als die Statistik Austria annimmt.

Vorbilder "beileibe nicht kommunistisch"
Wie im Ausland - etwa in Köln oder in Schweizer Städten - sollte auch bei uns eine Wertsteigerungsabgabe überlegt werden, regte der Experte an, um die für Kommunen teure Infrastruktur rund um Wohngebiete mitfinanzieren zu lassen. In Köln etwa würden bei Umwidmungen zwei Drittel des Wertzuwachses zu diesem Zweck abgeschöpft, nur ein Drittel verbleibe dem Begünstigten. "Auch in Basel und Bern kann man sich das ansehen, das ist beileibe kein kommunistisches Ausland", so Schremmer.

Enteignung als "Denkmodell"
"Leistbares Wohnen kommt in den Raumordnungen in Österreich nicht vor", kritisierte der Rechtsexperte Arthur Kanonier von der TU Wien. "Bodenpolitische Maßnahmen", auch Enteignungen hält der Raumordnungsfachmann daher durchaus für ein mögliches Mittel der Politik. Wenn der Druck sehr hoch sei, könne man auf der Eskalations-Pyramide schon nach oben gehen - ganz oben steht die Enteignung. Dieser will der TU-Experte zwar ausdrücklich nicht das Wort reden, "aber als Denkmodell" sei das schon in Erwägung zu ziehen.

Gegen eine Abschöpfung von Widmungsgewinnen sperrt sich Kanonier nicht, obwohl das wenig mit Baulandmobilisierung zu tun habe. Neuwidmungen von Bauland könnten durchaus befristet erfolgen, sagt er - mit der Drohung einer entschädigungslosen Rückwidmung, sollte nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums ein Bau erfolgen; und das sollte nicht nur bei Neuwidmungen, sondern auch bei Planüberarbeitungen möglich sein.

Eigentum als Grundrecht
Eine Enteignung sei immer die "Ultima Ratio" und es gebe natürlich eine Entschädigungspflicht, betont der Verfassungsjurist Michael Holoubek vom Institut für Österreichisches und Europäisches Recht an der WU Wien. Die Europäische Menschenrechtskonvention lasse dem öffentlichen Interesse bzw. dem Gesetzgeber aber doch einiges an Gestaltungsmöglichkeit.

Eigentum sei ein Grundrecht, das sei klar, so Holoubek. Ob hier der Vertrauensschutz ewig gültig sei, wird der Rechtsprofessor gefragt. Er meint dazu: Lasse sich ein eminentes öffentliches Interesse nachweisen, könne man wohl über moderate Mittel nachdenken - wenn man sich vor Augen halte, welche Einschnitte trotz Vertrauensschutz etwa beim Pensionssystem toleriert würden.

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