Zeltlager-Debatte

“So ein Flüchtlingsstrom war nicht vorhersehbar”

Österreich
16.05.2015 19:41
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner steht weiter im Kreuzfeuer der Kritik. Nach der Errichtung der umstrittenen Zeltlager für Flüchtlinge haben sich Opposition, Hilfsorganisationen und auch Länder sowie Gemeinden auf die Ministerin eingeschossen. Im "Krone"-Interview holt Mikl-Leitner nun zum Gegenschlag aus, sie verteidigt ihre Maßnahme und attackiert ihre Gegner.

"Krone": Frau Minister, Sie werden derzeit von allen Seiten scharf kritisiert. Hat es denn tatsächlich keine Alternative zu den Zeltstädten gegeben?
Johanna Mikl-Leitner: Ich möchte Schuldzuweisungen vermeiden, aber bei einigen Aussagen, die nun kommen, muss schon klar gesagt werden: Wir erledigen die Aufgabe der Bundesländer. Ohne Zelte würden die Flüchtlinge auf der Straße stehen, und Obdachlosigkeit ist für mich keine Alternative.

"Krone": Die Hilfsorganisationen betonen aber, dass es durchaus genügend Plätze für Flüchtlinge gibt und keine Notwendigkeit für die Zelte besteht.
Mikl-Leitner: Das höre ich auch permanent. Aber das sind nur Sprüche und Ankündigungen. Fakt ist: Nach dem Asylgipfel am Freitag haben wir alles, was gesagt wurde, geprüft, und es konnte kein einziges Quartier bezogen werden. Weil es am Widerstand der Länder oder Bürgermeister gescheitert ist. Viele Hilfsorganisationen haben außerdem Vorstellungen, die nicht machbar sind.

"Krone": Sie nennen ihre Kritiker nun "Sprücheklopfer".
Mikl-Leitner: Jeder, der negiert, dass wir ein Unterbringungsproblem haben, ist ein Realitätsverweigerer und lebt auf einem anderen Stern. Dass manche nun ein "Armutszeugnis" ausstellen, ist unfassbar. Diesen Leuten sei ins Stammbuch geschrieben: Mit Sprüchen ist uns nicht gedient.

"Krone": Man hat den Eindruck, dass die Regierung von dem Flüchtlingsstrom überrascht ist. Aber der Bürgerkrieg in Syrien und anderen Ländern, aus denen die Menschen fliehen, herrscht ja nicht erst seit gestern. Hätte man da nicht besser vorbereitet sein müssen?
Mikl-Leitner: Wir wissen seit Langem, dass es diese Flüchtlingsströme gibt, aber so ein eklatanter Anstieg wie in der vergangenen Woche war nicht vorhersehbar. Von Montag bis Mittwoch gingen insgesamt 900 Asylanträge ein, am Freitag waren es 224. Für das gesamte heurige Jahr erwarten wir 50.000 Flüchtlinge in Österreich.

"Krone": Österreich hat aber schon wesentlich größere Flüchtlingskrisen bewältigt, etwa während des Jugoslawienkriegs in den 1990er-Jahren. Damals wurden keine Zelte benötigt. Wieso also jetzt?
Mikl-Leitner: Damals wurden viele Flüchtlinge in Kasernen untergebracht. Jetzt ist die Situation so, wie sie ist. Sobald die Bundesländer wieder handlungsfähig sind und die Menschen selbstständig vor Obdachlosigkeit schützen können, sind die Zelte sofort wieder weg, das ist gar keine Frage.

"Krone": Wann rechnen Sie damit, dass die Zelte wieder abgebaut werden können?
Mikl-Leitner: Ich bin keine Prophetin. Aber je schneller die Zelte wieder weg sind, desto lieber ist es mir.

"Krone": Sie drängen vehement auf eine Quote für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Bemerken Sie nun eine Bewegung in der Diskussion?
Mikl-Leitner: Es gibt zahlreiche Länder, die sich dagegen wehren, aber ich werde alle Kraftanstrengungen dafür unternehmen. Ich erwarte von Europa eine gelebte Solidarität, und das heißt Quote. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass die Lösung der Flüchtlingsproblematik zur Überlebensfrage Europas wird.

Asylwerber füllen nun die Zeltlager
Indes füllen sich die drei umstrittenen Zeltlager in Salzburg Stadt, Linz und im oberösterreichischen Thalham bereits mit Asylwerbern. Mikl-Leitner, die bereits am Freitag mit ungewöhnlich harschen Worten auf die Vorwürfe von allen Seiten reagiert hatte, besuchte am Samstagnachmittag den Standort Linz. Den Bürgermeistern rund um Thalham sagte die Ministerin zu, dass dort keine zusätzlichen Zelte mehr aufgestellt werden. Zudem sollen, sobald weitere Quartiere zur Verfügung stehen, die bestehenden Zelte noch vor jenen auf den Polizeiliegenschaften in Linz und Salzburg abgebaut werden.

Am kommenden Freitag planen die Attergau-Gemeinden eine "friedliche Informationsveranstaltung, weit weg von Ausländerhass" für die Bevölkerung, kündigte Thalhams Bürgermeister Ferdinand Aigner an. Mikl-Leitner äußerte Verständnis für die Bedenken der Gemeinden, aber "hätten wir die Zelte nicht aufgestellt, wären die Flüchtlinge auf der Straße".

Im Laufe des Wochenendes sollten dann alle Lager ausgelastet sein. Es wurden jeweils Acht-Mann-Zelte nach UNHCR-Standards aufgestellt, pro Standort sollen maximal 96 Flüchtlinge für einige Tage Platz finden, bis fixe Quartiere gefunden sind.

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