"Krone"-Interview

Ehrenhauser: “Bin kein Spinner, eher ein Underdog”

Österreich
19.04.2014 16:31
Seit einer Woche campiert ein einsamer EU-Mandatar vor dem Bundeskanzleramt auf dem Wiener Ballhausplatz. Mit Conny Bischofberger spricht Martin Ehrenhauser (35) über seinen Auszug aus der ORF-"Pressestunde" am vergangenen Sonntag, das politische Kalkül dahinter und Ostern auf dem Feldbett.

In der ersten Nacht lag er noch wie ein Sandler auf dem Gehsteig - im Schlafsack auf einer Matratze aus Kartons. Dann brachten Passanten dem schrägen Aktionisten Isomatten und ein Feldbett vorbei. Beim "Krone"-Interview am Gründonnerstag sitzt Martin Ehrenhauser, vier Tage nach seinem spektakulären Abgang aus der ORF-"Pressestunde", bereits in einem recht komfortablen Zelt mit Blick auf das Bundeskanzleramt. Ab und zu trabt ein Fiaker vorbei.

Eine alte Dame hat die Stützen seiner Behausung mit Palmkätzchen und bemalten Ostereiern geschmückt. Immer wieder machen Interessierte - und verwirrte Touristen - vor dem Mann Halt, den man im Fernsehen und in der Zeitung gesehen hat. Eine Besucherin drückt dem Hypo-Rebellen eine CD in die Hand: "Diesen Rap hat mein Sohn komponiert, vielleicht könnt ihr ihn zu einem Hypo-Flashmob spielen?" - "Danke", sagt Ehrenhauser, "ich hör' mir das gleich an."

Burger, Schokohasen und Familienmenüs
Von links werden ihm Burger gereicht, von rechts Schokohasen. Der Arme soll ja nicht verhungern. "Gestern war sogar jemand da, der mir einen Menüplan seiner Familie überreicht hat. Ich könnte mir bei denen jeden Tag was zum Essen bestellen..."

Martin Ehrenhauser trägt einen dunkelblauen Hoodie, dazu einen Burberry-Fake-Schal, den ihm eine Passantin geschenkt hat, als es kalt war. Am Revers hängen zwei Buttons: Europa anders! Haftungsboykott! Seine blauen Augen blicken sehr entschlossen. Ostern 2014 verbringt er auf dem Ballhausplatz - "obwohl sich meine Kinder natürlich freuen würden, wenn ich Osternester versteckt hätte und wir sie jetzt gemeinsam suchen könnten". Seine Frau hätte ein Vetorecht gegen die Aktion gehabt, betont er. "Alexandra hat es aber nicht in Anspruch genommen, weil sie großes Verständnis für mein Anliegen hat."

"Krone": Herr Ehrenhauser, Sie harren nun seit sieben Tagen vor dem Bundeskanzleramt aus. Was soll das bringen, außer dass es Ihren Bekanntheitsgrad pusht?
Martin Ehrenhauser: Es bringt sehr viel. Ich überzeuge damit die Leute, dass es ein großes Verbrechen ist, wie wir Banken retten, wie wir jetzt Sparpolitik betreiben. Wir müssen in den Ministerien 500 Millionen Euro einsparen und gleichzeitig retten wir die Hypo um 18 Milliarden. Irgendwann muss Schluss sein. Und ich setze dieses Zeichen.

"Krone": Warum vor dem Bundeskanzleramt? Glauben Sie wirklich, dass Faymann und Spindelegger das kratzt, wenn Sie hier sitzen und protestieren?
Ehrenhauser: Ich bin mir sogar ganz sicher, dass die das kratzt. Selbstverständlich ist der Ballhausplatz auch ein Symbol. Immerhin haben Faymann-SPÖ und Spindelegger-ÖVP für diese Bankenrettung gestimmt.

"Krone": Sie geben vor, gegen die Bankenhaftung zu kämpfen. Wenn Sie ganz ehrlich sind, ist das alles in Wahrheit nicht nur ein ziemlich schlauer PR-Gag?
Ehrenhauser: Es ist kein Geheimnis, dass wir im Wahlkampf sind. Ich gebe gerne zu, dass das hier Aktionismus ist. Aktionismus hat die Aufgabe, Aufmerksamkeit zu erregen. Das macht auch Greenpeace. Da wir von "Europa anders" eine kleinere Gruppierung sind, ist es legitim, auch einmal auffallen zu wollen und den Leuten einen kleinen Denkanstoß mitzugeben.

"Krone": Das heißt, Sie wussten schon vor der "Pressestunde", dass Sie das Studio scheinbar entrüstet verlassen würden?
Ehrenhauser: Die Idee hatte ich im Zug von Innsbruck nach Wien. Aber, und das ist mir schon sehr wichtig, das Anliegen, das dahinter steckt, ist dieses große Verbrechen.

"Krone": Bezahlt werden Sie aber für die Arbeit im EU-Parlament - immerhin mit 7.956,87 Euro pro Monat. Haben Sie wenigstens ein schlechtes Gewissen, dass Sie am Dienstag die Abstimmung über die Bankenunion versäumt haben?
Ehrenhauser: Nein und ich sage Ihnen warum: Erstens hatte ich bis zu diesem Moment eine nahezu hundertprozentige Anwesenheit. Ich kann von mir behaupten, dass ich ein sehr, sehr fleißiger Abgeordneter bin. Ich habe die Sitzung also nicht aus Faulheit geschwänzt. Zweitens ist diese Bankenunion natürlich ein riesengroßer Schmäh. Da wird den Bürgern vorgegaukelt, sie seien künftig aus dem Schneider. Der Fonds, der dafür eingerichtet wird, ist aber viel zu klein. Und der Zeitraum, in dem der Fonds gefüllt wird, nämlich bis Ende 2023, ist viel zu lang. Und drittens nehme ich für mich das Recht in Anspruch, meinem Unmut und Protest auch Ausdruck zu verleihen. Ich habe ein Recht zu demonstrieren und zu streiken.

"Krone": "Verbrechen" klingt ja sehr plakativ, aber welche Lösung hätten denn Sie für die marode Hypo gehabt außer die Notverstaatlichung?
Ehrenhauser: Jedes kleine Unternehmen geht, wenn es so wirtschaftet, in Konkurs. Wieso sollte das für Banken plötzlich nicht mehr gelten? Das verstärkt bei mir den Eindruck, dass es eine politische Entscheidung war, die Hypo zu verstaatlichen, eine Entscheidung, die wirtschaftlich überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Eine Entscheidung, die jenen Gläubigern nützt, die in den vergangenen Jahren permanent spekuliert haben. Und natürlich den Politikern, die das mitgetragen haben.

"Krone": Aber Sie wissen genau, dass man ein Bundesland und seine rund 560.000 Einwohner nicht einfach im Regen stehen lassen kann.
Ehrenhauser: Wir sind ja auch dafür, dass man diese Haftungen verbietet. Was hier eingegangen wurde, ist absolut unverantwortlich und maßlos. Deshalb haben wir unser Volksbegehren "Haftungsboykott! Wir zahlen eure Schulden nicht!" gestartet, mit dem Ziel einer Volksabstimmung.

"Krone": Gehören Sie auch zu denen, die die ganze Schuld Jörg Haider in die Schuhe schieben?
Ehrenhauser: Es ist nicht zu leugnen, dass der Herr Haider einen großen Anteil an dieser Katastrophe hat. Das ist ganz klar. Aber die Notverstaatlichung haben andere zu verantworten. Hier sollte ein Untersuchungsausschuss die Vorgänge konsequent aufarbeiten.

"Krone": War Roland Düringer eigentlich schon da?
Ehrenhauser: Nein, der war noch nicht hier.

"Krone": Sehen Sie sich auch als Wutbürger? Oder sind Sie vielleicht ein Spinner?
Ehrenhauser: Spinner? Ich denke nicht, dass ich ein Spinner bin. Eher ein Underdog. Auch kein Wutbürger. Ich bin jemand, der von Hoffnung lebt, der Dinge verändern will und auch weiß, wie man Dinge verändern kann. Ich bin ein sehr positiver Mensch. Ich sitze hier, weil ich Wut und Unmut in Zuversicht umwandeln will. Die Rechten machen genau das Gegenteil: Die wandeln den Unmut der Menschen in Hass um.

"Krone": Stimmt der Eindruck, dass Sie das Scheinwerferlicht genießen?
Ehrenhauser: Es ist ein Privileg, Aufmerksamkeit zu haben. Wir von "Europa anders" wollen darauf aufmerksam machen, dass wir Banken retten und gleichzeitig Sozialleistungen kürzen und Einsparungen bei der Bildung beschließen.

"Krone": Wieviel Prozent erhoffen Sie sich für die Europawahl am 25. Mai?
Ehrenhauser: Wenn wir eine intensive Debatte zustande bringen, könnten es schon 150.000 Stimmen werden, das sind so 4,5 Prozent. Mein Wunsch wäre es, dass wir der FPÖ viele Stimmen wegnehmen.

"Krone": Herr Ehrenhauser, ist es korrekt, dass Sie politisch vom EU-Politiker Hans-Peter Martin sozialisiert worden sind, für den Sie zwei Jahre lang gearbeitet haben?
Ehrenhauser: Meine politische Sozialisation fand schon in meiner Kindheit statt, ich bin aufgewachsen in einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie. Hans-Peter Martin kommt ja auch aus der Sozialdemokratie. Ich habe von ihm sicherlich viel gelernt, vor allem aus den Fehlern, die er zuletzt gemacht hat.

"Krone": Sie sollen sich fürchterlich gestritten haben.
Ehrenhauser: Ich konnte mir nicht erklären, was mit dem ganzen Gess hier etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Das war eine große Enttäuschung für mich. Für mich gab es deshalb nur eine Möglichkeit und das war die Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft.

"Krone": Hat HPM auch gute Eigenschaften?
Ehrenhauser:(denkt ziemlich lange nach) Er ist sicher kein ängstlicher Mensch, sondern einer, der Mut besitzt.

"Krone": Wann haben Sie das erste Mal nicht mehr sozialdemokratisch gewählt?
Ehrenhauser: Das war schon zur Uni-Zeit. Ab da war ich Wechselwähler. Aber FPÖ, ÖVP und BZÖ habe ich noch nie gewählt.

"Krone": In den ersten Nächten war es hier sehr kalt. Gab es da nicht Momente, wo Sie dachten: Verdammt, ich möchte in mein warmes Bett?
Ehrenhauser: Kein einziges Mal. Ich finde es gut, dass es kalt war und dass es geregnet hat, so konnte ich den Menschen beweisen, dass ich es ernst meine. Und dass ich durchhalte. Mittlerweile verbringen ja schon viele Mitstreiter die Nächte mit mir. Zweimal habe ich auch im Auto geschlafen.

"Krone": Haben Sie Angst, dass Sie bald aussehen wie ein Sandler?
Ehrenhauser: Nein. (streicht sich über die Haare) Ich gehe jeden Tag duschen. Es wurde mir eine Wohnung in der Nähe angeboten, wo ich das machen kann.

"Krone": Winkt ab und zu jemand vom Bundeskanzleramt oder von der Hofburg herüber?
Ehrenhauser: Nein, nicht einmal einen Dienstmercedes hab' ich vorbeifahren gesehen. Hier ist Totenstille. Ich glaube, die ganze Regierung ist schon seit Anfang der Woche auf Osterurlaub.

"Krone": Wie lange wollen Sie hier noch die Stellung halten?
Ehrenhauser: Ich hab' keinen Zeitplan. Ich weiß nur eins: Ich gehe erst weg von hier, wenn wir das Gefühl haben, dass unsere Aufklärungsarbeit über diese falsche Bankenrettung und Sparpolitik in Europa woanders nachhaltiger geführt werden kann.

Seine Geschichte
Geboren am 18.9.1978 in Linz, der Vater ist gelernter Elektriker und in Pension, die Mutter Altenpflegerin. Eine ältere Schwester, Manuela. Nach einer Kochlehre studiert Ehrenhauser BWL in Linz und Politikwissenschaft in Innsbruck und England. Ab 2007 arbeitet er für Hans-Peter Martin in Brüssel; die beiden zerkrachen sich. Fraktionsloser Mandatar seit 2009. Privat ist der EU-Politiker mit Alexandra verheiratet. Das Paar hat drei Töchter (Flora ist 5, Hanna 3, Alma 2 Jahre alt).

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