"Krone"-Analyse

Warum die Wiederwahl auch etwas Gutes hat

Österreich
03.07.2016 08:28

Die Wahl des Bundespräsidenten wird wiederholt, weil man es in Österreich nicht so genau nimmt. Die Schattenwirtschaft vulgo Pfusch macht Rechnungen und Steuern von einer Verbindlichkeit zur Zirka-Zahlung. Nun haben Beisitzer aller Parteifarben und Beamte die Wahlordnung als ungefähre Richtlinie anstatt als gesetzliche Pflicht empfunden. Was nun? Eine Analyse von Politikwissenschaftler Peter Filzmaier.

1. Formal gesehen ist die Wahlwiederholung als Urteil des Verfassungsgerichtshofes der Beleg des funktionierenden Rechtsstaates. Wenn es Unregelmäßigkeiten gibt, kann jeder Betroffene unabhängige Gerichte anrufen. Deren Entscheidungen werden akzeptiert. Ganz egal, ob es um Streitigkeiten in der Nachbarschaft oder die Aufhebung der Präsidentschaftswahl geht. Die von Regierung und Parlament ernannten Höchstrichter lassen sich nicht parteipolitisch vereinnahmen. So weit, so gut.

2. Doch sind wir eine Gesellschaft des demokratischen Augenzwinkerns. Österreich hat eine traurige Tradition schlampig durchgeführter Wahlen. Glaubt jemand, dass heuer erstmals so fahrlässig herumgefuhrwerkt wurde? Erst vor wenigen Wochen wurde die Bezirksvertretungswahl in der Wiener Leopoldstadt aufgehoben. Weil man ungültige Briefwahlstimmen mitgezählt hatte. Vom Burgenland bis nach Vorarlberg gab es in den Jahren davor auf Gemeindeebene eine Wahlkartenausgabe mit der Lockerheit von Essenszetteln für die Kantine. 1995 hatte bei der Nationalratswahlen ausgerechnet die Familienministerin im falschen Ort abgestimmt.

3. Im Wissen der Schlampigkeiten bei Wahlen und generell in der Politik fehlt das Demokratiebewusstsein. Jeder rechtsextreme und angesichts der Nazi-Geschichte unseres Landes vertrottelte Möchtegern-Faschist oder genauso linksextreme Idiot ist sowieso ein Schwachdenker zu viel. Jene drei bis fünf Prozent der Wahlberechtigten, die Demokratie grundsätzlich ablehnen, sind in absoluten Zahlen weit über 300.000 Österreicher. Stellt man sich diese Gruppe grölend in bis zu zehn vollen Praterstadien vor, so macht das mächtig Angst. Durch die Wahlaufhebung fühlen sich dumpfbackige Polit-Hooligans bestärkt, dass Demokratie nicht funktionieren würde.

Hinzu kommen Millionen, welche als Diktaturgegner dennoch mit den Abläufen in der österreichischen Demokratie unzufrieden sind. Unter Umständen sind sie genauso für undemokratische Rattenfänger gewinnbar. Das Institutionenvertrauen ist erschütternd gering. Eine Minderheit von kaum mehr als einem Fünftel vertraut den Parteien. Bei Parlament und Regierung ist es ebenfalls kaum ein Drittel.

4. Die banale Lösung des Demokratiedilemmas ist ein hohes Verantwortungsbewusstsein von allen Beteiligten. Lippenbekenntnisse für betonte Ruhe und Sachlichkeit gab es von Noch-Präsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Christian Kern, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und den Kandidaten. Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer sowie ihre Parteien sind einem sachlichen Wahlkampf voller Respekt verpflichtet.

Zudem werden (Wahl-)Behörden jetzt hoffentlich mit größtmöglicher Genauigkeit arbeiten. Langfristig kann das Parlament die Wahlordnung reformieren. Medien können nochmals die inhaltliche Bedeutung des Präsidentschaftsamts darstellen. Bitte lasst nicht, wie im ersten Wahlgang, die Kandidaten Eierspeise kochen und Volkslieder singen! Wir Wähler müssen ohne Schaum vor dem Mund emotionslos für jene Person stimmen, die wir als Bundespräsident für besser geeignet halten.

5. Vielleicht hat die Wahlaufhebung ein Gutes: Wer meint, dass es wo und wie auch immer in Wahlen und Politik weitere Fehler gibt, soll exakt diesen Weg beschreiten: seine Argumente sammeln, sie zu Gericht bringen und allenfalls sachbezogen beweisen. So geht das in einer Demokratie, und nicht mittels Behauptungen, Gerüchten und Sudelkampagnen. Verschwörungstheoretiker, welche bloß Unterstellungen sagen und schreiben oder persönlich beleidigend werden, behandelt die Wählermehrheit am besten mit mildem Kopfschütteln. Das wäre das gute Ende der "Irgendwas ist da immer gedreht!"-Kultur unseres Landes.

6. Das Problem ist, dass Van der Bellen und Hofer nicht einmal ihre Parteien und noch weniger die selbst ernannten Aktivisten im Griff haben. Hier wird als bewusste Doppelstrategie gezündelt, meistens im Internet. Im September startet ein neuer Intensivwahlkampf, und Zündler werden Hochsaison haben. Eine Wahl mehr, das kann in Demokratien nichts Schlimmes sein. Ein Funke genügt leider, dass daraus eine politische Schlammschlacht wird.

PS: Ach ja, und wer wird gewinnen? Da sind jene, die das angeblich schon wissen, lustige Kerlchen. Es gibt keine Umfragen, aber wir hatten im Mai den letzten Wahlversuch als eine Art Totalerhebung. Das aufgehobene Ergebnis lautete 50,3 zu 49,7 Prozent und war "arschknapp". Wer etwas fix voraussagen will, ist entweder ein (partei-)politischer Überzeugungstäter oder ein krankhafter Glücksspieler. Seriöse Prognosen sind unmöglich.

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