"Krone"-Interview

Shimon Peres: “Habe gute Freunde in Österreich”

Österreich
30.03.2014 08:31
Israels Präsident Shimon Peres absolviert einen dreitägigen Staatsbesuch in Österreich. Die "Krone" hat ihn vorab in Jerusalem zu einem Interview getroffen. In diesem verriet der 91-Jährige unter anderem, welche guten Freunde er in Österreich hat und wie sein Verhältnis zu Bruno Kreisky war.

Auf krone.at können Sie ab 15.55 h die Kranzniederlegung auf dem Judenplatz und am Montag ab 10.50 h die Pressekonferenz in der Präsidentschaftskanzlei live mitverfolgen.

"Krone": Herr Präsident, Sie sind nur noch vier Monate im Amt. Einer Ihrer letzten Staatsbesuche führt Sie nach Österreich. Warum gerade dieses kleine Land?
Shimon Peres: Die Größe eines Landes bemisst sich heute nicht mehr nach seiner flächenmäßigen Ausdehnung, sondern nach der Intelligenz seiner Menschen und dem Wissen, das sie produzieren. In dieser Beziehung ist Österreich ein sehr interessantes Land. Und ich habe gute Freunde in Österreich.

"Krone": Wer sind Ihre Freunde?
Peres: Präsident Fischer zum Beispiel. Wir waren viele Jahre gemeinsam in der Sozialistischen Internationalen. Und Heinz Fischer war in seiner Jugend ja auch in einem Kibbuz. Er hat mich zu diesem Besuch eingeladen. Und Österreich ist ein wichtiges Land in der EU, mit eigenen Erfahrungen und Ansichten. Natürlich sollten wir nie vergessen, was die Nazis den Juden in Österreich angetan haben. Aber man muss sich auch an 800 Jahre jüdische Geschichte in Österreich erinnern, die große Künstler und Wissenschaftler hervorgebracht hat. Außerdem war Österreich unter Bundeskanzler Kreisky das einzige Land, über das jüdische Flüchtlinge aus Russland nach Israel auswandern durften. Andere lehnten das ab.

"Krone": Wie war Ihr Verhältnis zu Bruno Kreisky?
Peres: Kompliziert. Wir waren Freunde. Ich hatte lange Gespräche mit ihm. Unsere Ansichten waren unterschiedlich, aber ich schätzte seine Motive. Einmal fragte ich ihn: "Bruno, warum sagst du so oft etwas gegen uns?" Und er antwortete: "Nur so kann ich euch helfen."

"Krone": Und hatte Kreisky recht?
Peres:(lacht) Ich hatte recht.

"Krone": Zu einem anderen Menschen aus ihrer Vergangenheit, zu Palästinenserchef Jassir Arafat: Waren Sie enttäuscht von ihm?
Peres: Kann man einen Menschen durchschauen? Ich kann es nicht. Ohne ihn hätte der Nahost-Friedensprozess nie begonnen, aber mit ihm konnte er auch nicht zu Ende gebracht werden. Arafat war ein vielschichtiger Mensch. Einerseits weise und schlau, andererseits beinahe kindisch. Er dachte, er sei ein Prophet oder ein König. In der Öffentlichkeit durfte man ihn nie beleidigen. Nie. Aber unter vier Augen, da habe ich ihn oft fast angeschrien.

"Krone": Sie und Arafat haben 1994 den Friedensnobelpreis erhalten. 20 Jahre später gibt es immer noch keinen Frieden zwischen Palästinensern und Israelis. War der Preis verfrüht?
Peres: Erstens habe ich den Preis nicht verliehen. Und zweitens habe ich nicht darum gebeten. Und außerdem: Heute gibt es zwei Lager unter den Palästinensern. Das eine setzt immer noch auf Terror, das andere tritt für Frieden ein. Das ist schon eine große Veränderung. Wir leben zusammen und wir sprechen miteinander.

"Krone": Haben Sie damals gedacht, dass die Situation 2014 noch so verfahren sein wird?
Peres: Ich habe gedacht, alles würde perfekt sein. Aber ich hatte im Leben so viele Enttäuschungen. Enttäuschungen sind Teil des Prozesses.

"Krone": Bei unserem letzten Treffen haben Sie gesagt: "Ich bin zu alt, um Pessimist zu sein." Gilt das immer noch?
Peres: Ich bin ein besorgter Optimist. Aber ich bin noch ein Optimist. Wir haben ja gar keine andere Wahl. Aber ich habe nicht vorhergesagt, was in der Welt passieren wird. Niemandem ist das gelungen. Doch heute sind Staaten nicht mehr von ihrer Größe abhängig, sondern von der Wissenschaft. Länder brauchen Grenzen, die Wissenschaft nicht. Länder benötigen Armeen, die Wissenschaft nicht. Wir leben mit einer alten Mentalität in einem neuen Zeitalter. Es ist schwer, sich von religiösen oder ideologischen Vorstellungen zu befreien.

"Krone": Der Arabische Frühling war ein Befreiungsversuch. War er erfolgreich?
Peres: In Ägypten und anderswo haben die Menschen sich von Diktatoren befreit. Aber dann haben sie die Wahlen verloren, weil sie darauf - anders als die gut organisierten Muslimbrüder - nicht vorbereitet waren. Doch die Muslimbrüder haben das Land verloren, weil sie keinen Plan hatten für die Zeit nach den Wahlen. Ich glaube nicht, dass diese Geschichte vorbei ist. Die Zukunft liegt an den Universitäten, bei den jungen Menschen. Die alte Garde ist sehr dogmatisch. Aber solange in diesen Ländern Frauen diskriminiert werden, haben sie keine Chance, der Armut zu entkommen. Dafür benötigen sie 100 Prozent ihres menschlichen Kapitals.

"Krone": Im Moment sieht es in Ägypten nach Wiederherstellung der Diktatur aus.
Peres: Ich glaube nicht. Es gibt keinen stabiles Land mehr.

"Krone": Erwarten Sie denn, dass in der Region neue Grenzen gezogen werden?
Peres: Sie werden ja schon neu gezogen. Staaten sind am Zerbrechen.

"Krone": Zu Israel: Was denken Sie darüber, dass die israelische Regierung die Palästinenser und den Rest der Welt ständig mit neuen jüdischen Siedlungen auf Palästinensergebiet provoziert?
Peres: Was glauben Sie, was ich darüber denke? Fragen Sie lieber die Regierung. Ich glaube, dass es keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung gibt. Es gibt Menschen, die denken anders, aber ich glaube, dass sie falsch liegen. Politiker verändern selten die Wirklichkeit, aber die Wirklichkeit verändert Politiker.

"Krone": Haben Sie nicht den Eindruck, dass Israel sich international zunehmend isoliert?
Peres: Ich sehe diese Tendenz, aber gleichzeitig verhandeln wir. Sollten die Verhandlungen scheitern, werden wir ein Problem haben.

"Krone": Zurzeit verhandelt die internationale Gemeinschaft in Wien mit dem Iran über dessen Atomprogramm. Die israelische Regierung kann den Verhandlungen nicht viel abgewinnen. Betrachten Sie die Gespräche als sinnvoll?
Peres: Die ganze Welt will nicht, dass der Iran Atomwaffen hat. Manche wollten sofort bombardieren, andere setzten auf Diplomatie und Sanktionen. Für die Verhandlungen gibt es nun eine Koalition, angeführt von den USA und der EU. Die Iraner loten jetzt aus, wie weit sie gehen können. Daher sollte der zivile Druck bis zum Ende der Sechs-Monate-Frist aufrechterhalten bleiben. Und es muss noch eine andere, eine stärkere und gefährlichere Option im Raum hängen. Sonst würde der Iran nicht auf die Welt hören.

"Krone": Wären Sie bereit, den iranischen Präsidenten Rohani zu treffen?
Peres: Selbstverständlich. Warum nicht? Aber er wird in absehbarer Zeit nicht bereit sein. Wenn man Feinde im Leben hat, sollte man versuchen, sie zu Freunden zu machen. Es hat keinen Sinn, eine Bombe zu bauen.

"Krone": Sie selbst haben dazu beigetragen, dass Israel die Atombombe hat.
Peres: Israels Position ist, dass es die Atombombe nicht in die Region gebracht hat. Israel wird aber bedroht, den Iran bedroht niemand. Der Iran droht, uns auszulöschen. Obendrein unterstützt er Terrorgruppen. Wir müssen den Iran an seinen Taten messen, nicht an seinen Worten.

"Krone": Halten Sie es für sinnvoll, wenn westliche Politiker, etwa der österreichische Außenminister, zu Gesprächen in den Iran reisen?
Peres: Besuche im Iran sind nur dann sinnvoll, wenn sie von ernsten Gesprächen begleitet werden und der klaren Botschaft, dass die Unterstützung von Terrorismus, der Bau von interkontinentalen Atomraketen und die Weiterführung des Nuklear-Programmes ernste Konsequenzen für den Iran haben werden.

"Krone": Eine letzte Frage: Wie wird man so alt und bleibt dabei gleichzeitig so jung?
Peres:(lacht) V

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