"Schlacht ums Heer"

Kein Herz schlägt stärker als das eines Freiwilligen

Österreich
08.01.2013 16:55
"Ohne Zivildiener kommt die Rettung um 20 Minuten später oder gleich gar nicht." Kaum ein anderes "Argument" ist in der Wehrpflicht-Debatte so emotional besetzt wie dieses - und so widerlegbar. Es genügt ein kurzer Blick über die Grenze: Im Juli 2011 hat Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt, über Nacht fielen damit 90.000 "Zivis" weg, und "Bufdis" kamen. Für Teil 4 der Serie "Schlacht ums Heer" besuchte die "Krone" zwei Freiwillige in Bayern.

"Plötzlich ist er umgefallen, einfach so. Hat sich gekrümmt, die Augen verdreht. Und ich habe einfach nur dagestanden und zugeschaut. Ich war machtlos." Jakob Günther (Bild 1), 19 Jahre alt, erzählt vom epileptischen Anfall seines "Spezis". Es sei der Schock seines Lebens gewesen. "Von diesem Moment an war für mich klar: Ich muss lernen, was in einem Notfall zu tun ist."

Heute ist Günther einer von 35.000 "Bufdis", 50.000 weitere Deutsche absolvieren unterdessen ein freiwilliges Sozialjahr. "Bufdi" steht bei unseren nördlichen Nachbarn für eine neue Form der Solidarität, des Miteinanders. Beim Bundesfreiwilligendienst lautet die Devise jetzt: Berufung statt Einberufung.

"Es ist freiwillig, nicht erzwungen"
Der junge Mann hat sich dem Deutschen Roten Kreuz verschrieben, fährt in seiner Heimatgemeinde Bad Aibling den Rettungswagen, lässt sich als Sanitäter ausbilden. "Das hätte ich wohl auch als Zivildiener getan", so Günther im Gespräch mit der "Krone". Als "Bufdi" fühle es sich trotzdem anders an: "Es ist freiwillig, nicht erzwungen."

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der Bundesfreiwilligendienst ein wahres Erfolgsmodell. "Wir sind ein Stück weit reicher geworden, menschlicher in unserer Gesellschaft", erklärte die Regierungschefin kurz vor Weihnachten in Berlin. Dort hätte die "Krone" auch gerne mehr über den Bundesfreiwilligendienst erfahren. Doch das dafür zuständige Familienministerium winkte ab. Man wolle sich nicht in innerösterreichische Angelegenheiten einmischen, auf keinen Fall Stimmung machen. Oder wollte das CDU-Ministerium der ÖVP nicht ins Kreuz fallen?

Horrorszenarien sind ausgeblieben
Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht 2011 und damit des Zivildienstes setzen Rettungsorganisationen, soziale Einrichtungen oder Schulen auf Freiwillige. Auch wenn es in einigen Bereichen Lücken oder Engpässe gibt: "Horrorszenarien arbeitsunfähiger Einrichtungen, deren Betrieb ohne 'Zivis' nicht aufrechterhalten werden kann, erwiesen sich als weit übertrieben", bilanzierte die angesehene deutsche Tageszeitung "Die Welt". Im Gegenteil: Das Interesse ist da. Männer wie Frauen ab 16 ohne Altersbeschränkung nach oben können "Bufdis" werden - vom Tischler in Pension, der im Kindergarten hilft, bis zur pensionierten Lehrerin, die Kindern mit Migrationshintergrund bei den Aufgaben hilft. Und das für ein bescheidenes Taschengeld von bis zu 400 Euro pro Monat (in Österreich werden Freiwillige - Männer, Frauen, Alte, Junge - im Sozialen Jahr mit rund 1.400 Euro brutto 14-mal pro Jahr angestellt).

Jakob Günther macht es nicht des Geldes wegen. Er will Geschichte und Sport studieren, vorher (Lebens-)Erfahrung sammeln und seinen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Für den "Krone"-Fotografen posiert er sichtlich stolz vor "seinem" Rettungsauto des Bayrischen Roten Kreuzes.

Der Einstieg in einen Job mit Zukunft
Nur einen Steinwurf von der Rettungsstation Bad Aibling entfernt verabschiedet sich Veronica Reiser (Bild 2) gerade in den Feierabend. Die 18-jährige Bayerin arbeitet in der Raphael-Schule für und mit "ganz besonderen Kindern". Das heilpädagogische Zentrum befindet sich just auf einem aufgelassenen Kasernen-Areal. "Wenn ich den Freiwilligendienst abgeschlossen habe, mache ich die Ausbildung zur Heilerzieherin", erzählt die junge Frau, die eigentlich Schauspielerin werden wollte. Aufgrund einer Krankheit musste sie das Gymnasium abbrechen und engagiert sich seitdem für behinderte Kinder. Das Jahr in der Raphael-Schule wird ihr für ihre Ausbildung im Übrigen voll angerechnet.

Jakob Günther und Veronica Reiser sind "Bufdis" aus Leidenschaft. Sie sieht ihren "Bufdi"-Job als Einstieg ins Berufsleben, er hat versprochen, dem Roten Kreuz auch nach Ablauf des Freiwilligen-Jahres treu zu bleiben. Kein Herz schlägt eben stärker als das eines Freiwilligen...

Das Soziale Jahr: 8.000 Profis statt "Zivis"
Sollten sich nun die Österreicherinnen und Österreicher für ein Berufsheer entscheiden, würde als Ersatz für den Zivildienst das Soziale Jahr eingeführt. Minister Rudolf Hundstorfers Modell liegt fixfertig auf dem Tisch - hier die Eckpunkte:

  • Das Angebot richtet sich an Männer UND Frauen ab 18 Jahren. Nach oben hin gibt es keine Altersgrenze, ausgenommen sind lediglich Pensionsbezieher.
  • Das Gehalt beträgt einheitlich 1.386 Euro brutto pro Monat (14-mal).
  • Die Dienstzeit ist tatsächlich auf ein Jahr beschränkt (beim deutschen Bundesfreiwilligendienst besteht die Möglichkeit einer Verlängerung auf 18 Monate, in Ausnahmefällen auf zwei Jahre).
  • Wie auch beim Zivildienst werden die meisten der 8.000 Stellen in den Bereichen Rettungswesen, Alten- und Behindertenbetreuung sowie Sozialhilfe vergeben.
  • Abgewickelt wird der Sozialdienst über eine Agentur, die die Mitarbeiter auswählt.
  • Die Mitarbeiter werden fundiert ausgebildet und dann den Organisationen zugeteilt. Das Soziale Jahr kann in den meisten Fällen für weiterführende Ausbildungen oder als Vordienstzeit im öffentlichen Dienst angerechnet werden.

Teil 5: Warum der Wehrpflicht die Gerechtigkeit fehlt

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