Auf LKH-Friedhof

Gräberfeld mit NS-Opfern im Tiroler Hall entdeckt

Österreich
03.01.2011 10:34
In Tirol ist ein Gräberfeld mit Überresten von etwa 220 Personen entdeckt worden, die dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sein dürften. Nach Angaben des Landeskrankenanstalten-Betreibers Tilak befindet sich das Gräberfeld im Bereich der Psychiatrie des Landeskrankenhauses in Hall (im Foto auf einem Archivbild). Ein dort geplantes Bauprojekt sei vorerst gestoppt worden. Eine Expertenkommission soll nun den Fund aufarbeiten.

Laut Tilak sollte für das Projekt eigentlich der alte Anstaltsfriedhof ausgegraben werden. Im Zuge der Vorbereitungen hätten Nachforschungen dann aber ergeben, dass die Verstorbenen zwischen 1942 und 1945 bestattet worden seien. Es bestehe der Verdacht, dass die Toten "zumindest teilweise" Opfer des NS-Euthanasieprogrammes seien.

Nach Angaben der Tilak habe es bisher keine Grabungsarbeiten gegeben. Eine Expertenkommission soll sich demnächst um die Identifizierung der Toten, die wissenschaftlich korrekte Bergung des Friedhofs, die geschichtliche Aufarbeitung und die Klärung rechtlicher Fragen kümmern.

Euthanasieprogramme streng geheim gehalten
Nach dem "Anschluss" Österreichs an das "Dritte Reich" wurden die Gesetze der Nationalsozialisten gegen körperliche und geistige Behinderte auch in Österreich umgesetzt. Die Aufarbeitung der NS-Vernichtungsaktionen an kranken, behinderten und anderen als "lebensunwert" klassifizierten Menschen ist für Historiker aber besonders schwierig. Denn die Euthanasieprogramme wurden streng geheim gehalten, die Spuren systematisch verwischt.

Zu trauriger Berühmtheit gelangte in diesem Zusammenhang vor allem das in Oberösterreich gelegene Schloss Hartheim. In diesem wurden zwischen 1940 und 1944 rund 30.000 Menschen auf grausamste Weise ermordet. Aus dem "Reichsgau Tirol-Vorarlberg" wurden laut Wissenschaftlern der Universität Innsbruck mindestens 706 Erwachsene und Kinder, meist ohne das Wissen ihrer Angehörigen, verschleppt. Im Zeitraum von 1940 bis 1945 wurden in beiden Bundesländern mindestens 400 Zwangssterilisationen durchgeführt.

"Erbgesundheitsgerichte" in Innsbruck und Feldkirch
In einer Arbeit zu dem Thema "Zwangssterilisation und 'NS-Euthanasie' in Tirol, Südtirol und Vorarlberg" erklären die Innsbrucker Historiker, dass bis 1945 mindestens 3.000 Vorarlberger, Nord- und Südtiroler wegen einer angeblich vererbbaren Krankheit angezeigt worden seien. Für den "Reichsgau Tirol-Vorarlberg" waren "Erbgesundheitsgerichte" in Innsbruck und Feldkirch zuständig. Die Ärzte und das Pflegepersonal waren gesetzlich verpflichtet, Behinderte diesen Ämtern zu melden. Überdurchschnittlich viele Anzeigen kamen aus den Landkreisen Kufstein, Schwaz und Bregenz.

Die Angezeigten seien entweder in eine Heil- und Pflegeanstalt gebracht oder gegen ihren Willen zeugungsunfähig gemacht worden. Die in die Anstalten Eingewiesenen seien häufig weiter nach Hartheim in Oberösterreich transportiert und dort umgebracht worden. Über ihr Schicksal habe eine Stelle in Berlin entschieden. Dafür hätten sie Meldebögen über die Insassen von den Anstalten gefordert.

Geplante Tötungsanstalt in Hall nie umgesetzt
Es habe zwei große Heil- und Pflegeanstalten in Hall in Tirol und Valduna in Vorarlberg und eine Reihe kleiner Alters- und Pflegeheime (St. Josefsinstitut in Mils, Mariathal bei Kramsach und andere) gegeben. Es sei auch eine Tötungsanstalt in Hall geplant gewesen, aber nicht umgesetzt worden. "Es hat Pläne für ein Euthanasie-Programm mit Giftspritzen für Hall gegeben, diese wurden aber damals von der NS-Führung abgelehnt", bestätigte auch der Historiker Horst Schreiber am Montag gegenüber dem ORF Tirol. Es bestehe aber seit einigen Jahren der Verdacht, dass man während der NS-Zeit Hunderte Menschen in Hall habe verhungern lassen. Die Klärung der Todesursache sei nun Aufgabe der Gerichtsmediziner, sagte Scheiber.

Der erste Transport von Hall nach Hartheim erfolgte am 10. Dezember 1940, der letzte ging am 31. August 1942 von Tirol ab, ein Jahr nach dem offiziellen Verbot der "NS-Euthanasie", erklärten die Historiker der Universität Innsbruck. Nach dem Krieg hätten sich auch Tiroler Ärzte für ihre Taten verantworten müssen, es sei aber nur der Leiter des "Amtes für Volkspflege", Hans Czermak, verurteilt worden.

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