Überlebende erzählen

Geiselnahme in Algerien: “Es war ein Albtraum”

Ausland
19.01.2013 17:57
Während die Geiselnahme in einer Gasförderanlage in Algerien ein blutiges Ende gefunden hat (siehe Infobox), haben die ersten Überlebenden über ihre Erlebnisse der vergangenen Tage erzählt. "Es war ein Albtraum", sagte ein entkommener Algerier gegenüber der Zeitung "Le Monde". Andere Geiseln berichteten, dass sie sich bis zu 40 Stunden lang vor den Islamisten versteckt hatten, bevor sie entkommen konnten.

Der befreite Algerier sei am Mittwoch mit 60 anderen Mitarbeitern in der Kantine des Wohntrakts der Gasanlage gewesen, als die Terroristen angriffen. Zunächst habe sie niemand behelligt, erzählte er der französischen Zeitung "Le Monde". Offenbar griffen die Geiselnehmer zunächst einen Bus mit ausländischen Mitarbeitern der Anlage an. Als am frühen Morgen die Intervention des algerischen Militärs begann, seien rund 15 vermummte Angreifer in die Kantine eingedrungen. "Sie sagten uns: 'Algerische Brüder, habt keine Angst, geht in Frieden, kehrt nach Hause zurück, wir sind alle Brüder, wir sind alle Muslime.'"

Vom Dach gesprungen und entkommen
Die Mitarbeiter – unter ihnen zwei US-Amerikaner – seien zu diesem Zeitpunkt auf dem Dach der Kantine gewesen. Einer der beiden Amerikaner sei unbemerkt vom Gebäude gesprungen und konnte offenbar entkommen. Der zweite wurde von den Islamisten angeschossen. Er dürfte verblutet sein, sagte der Algerier. Er selbst sei gemeinsam mit seinen überlebenden Kollegen schließlich mit einem Bus in Sicherheit gebracht worden.

Der irische Außenminister Eamon Gilmore schilderte Details zur Flucht der Geisel Stephen McFaul aus Nordirland. Er konnte entkommen, nachdem einige Geiselnehmer eine Fahrzeugkolonne angegriffen hatten: "Die Entführer versuchten, ihre Gefangenen im Konvoi fortzubringen. Die algerischen Behörden wollten das Geschehen anscheinend stoppen. In dem Tumult konnte McFaul entkommen", sagte Gilmore nach einem Gespräch mit dessen Ehefrau.

Sprengstoff an Geiseln
Gilmore bestätigte auch Gerüchte, wonach die Terroristen Sprengsätze an einigen Geiseln angebracht hatten. "Mir wurde gesagt, dass an ihnen zur Zeit ihres Transports Sprengstoff befestigt war", sagte der Minister dem US-Nachrichtensender CNN. Es habe insgesamt fünf Fahrzeuge gegeben, McFaul sei im einzigen Wagen gewesen, der bei der Intervention der algerischen Streitkräfte nicht getroffen wurde.

40 Stunden unter Bett versteckt
Ein befreiter Franzose berichtete dem Sender Europe 1 von seinem Martyrium: "Ich habe mich fast 40 Stunden lang in meinem Zimmer versteckt, sagte Alexandre Berceaux, der örtliche Leiter einer Cateringfirma. Er habe die ganze Zeit mit ein wenig Essen und Trinken unter seinem Bett ausgeharrt. Während der Geiselnahme sei "viel geschossen" worden, es habe "tote Terroristen, Ausländer, Einheimische" gegeben.

Als der Alarm losging, habe er zunächst nicht gewusst, ob es sich um eine Übung handle. Schließlich habe niemand mit dem Angriff auf die Anlage gerechnet, sagte Berceaux. Der von dem algerischen Staatskonzern Sonatrach gemeinsam mit der britischen BP und der norwegischen Statoil betriebene Komplex sei gut geschützt gewesen.

Offenbar penibel geplant
Die Geiselnahme war allem Anschein nach keine spontane Aktion wenige Tage nach der französischen Militärintervention im Nachbarland Mali, sondern von langer Hand geplant. Ein Sprecher des Terrorkommandos "Die mit dem Blut unterschreiben", das sich zur Geiselnahme bekannte, sprach von monatelangen Vorbereitungen für den Fall, dass Algerien im Mali-Konflikt tatsächlich Frankreich unterstütze. Schon fast zwei Monate vor dem Angriff sei das Kommando einsatzbereit gewesen. Die Gruppe hatte eine genaue Kenntnis der Anlage und verfügte über Armeeuniformen, um ihre Opfer zu täuschen.

Der Angriff hatte laut Aussagen von Islamisten und befreiten Geiseln am Mittwoch mit dem Beschuss eines von Sicherheitskräften begleiteten Busses begonnen, der Reisende zum örtlichen Flughafen bringen sollte. Dabei soll es die ersten Toten gegeben haben. Durch die Schüsse wurden die Beschäftigten der Förderanlage alarmiert. Sie hatten die Anweisung, sich bei einem Angriff dort zu verstecken, wo sie sich befanden.

Terrorkommando übernahm rasch Kontrolle über Werk
Die Islamisten brachten das Werk schnell unter ihre Kontrolle. Sie schalteten die Förderung ab und durchsuchten systematisch alle Zimmer der Wohneinheit nach Ausländern. Eine kleine Gendarmerieeinheit vor Ort konnte nicht effektiv eingreifen.

Die algerischen Beschäftigten wurden im Freizeitgebäude der Anlage zusammengetrieben. Beim Angriff der Armeehubschrauber am Donnerstag gerieten sie in Panik und brachen aus. Die Terroristen wurden überrascht, Hunderte Geiseln konnten entkommen. Die algerischen Truppen befreiten die Wohngebäude und umstellten die Industrieanlagen.

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