Martin gegen Martin

EU-Abgeordnete zerkriegen sich um Untreue-Vorwürfe

Österreich
18.04.2011 14:14
"Krieg der weißen Westen" oder "Martin vs. Martin" heißt derzeit das Match bei den Outlaws der heimischen Europapolitik. Hauptdarsteller sind die EU-Aufdecker Hans-Peter Martin und Martin Ehrenhauser. Ehrenhauser (re.) behauptet, Unregelmäßigkeiten in Martins Abrechnungen entdeckt zu haben, zeigte den Mandatar bei der Staatsanwaltschaft Wien an und trat aus der Liste Martin aus. Hans-Peter Martin (li.) streitet alle Vorwürfe ab und droht seinem ehemaligen Protegé mit Klage.

Ehrenhauser, der mit diversen Aufdeckungen in Europaparlament und EU-Kommission zuletzt medial weitaus präsenter war als sein einstiger Mentor, hat Martin am Freitag bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt bzw. dort eine 290 Seiten starke Sachverhaltsdarstellung deponiert. Der Vorwurf: Martin soll private Ausgaben als Parteiaufwendungen abgerechnet und dafür auf beträchtliche (Steuergeld-)Summen der Wahlkampfkosten-Rückerstattung 2009 für die Liste Martin zurückgegriffen haben.

Um die Rückerstattungskosten wurde zwischen den Martin-Abgeordneten schon seit Monaten gestritten, auch öffentlich musste sich H.-P. Martin rechtfertigen, nachdem im Sommer 2010 die Listendritte Angelika Werthmann wegen mangelnder Transparenz bei der Abrechnung der Parteifinanzen aus der Liste austrat.

Martin überstand jedoch die Wirtschaftsprüfung durch das Finanzministerium und legte im September 2010 eine auf den Cent genaue Abrechnung der Wahlkampfkosten-Rückerstattung im Umfang von 2.332.617,96 Euro vor. Zeitgleich verlor Martin vor dem EuGH einen Prozess um die inkorrekte Abrechnung von Spesenzuschüssen und Bürokostenersätzen. Er musste rund 160.000 Euro an falsch abgerechneten Geldern zurückzahlen, eine betrügerische Absicht wurde ihm nicht nachgewiesen. Damit waren die Vorwürfe gegen Martin, der sich als selbst ernannter Aufdecker viele Feinde erworben hat, scheinbar aus der Welt geschafft.

Ehrenhauser sieht eine Million Euro ungeklärt
In Wahrheit brodelte es innerhalb der Liste aber heftig weiter. Ehrenhauser zweifelte Martins Wahlkampfkosten-Aufstellung vom September 2010 offenbar seit jeher an. Die seiner Meinung nach tatsächlich für den EU-Wahlkampf aufgewendeten Mittel schätzt er nämlich für deutlich geringer ein. Ehrenhauser behauptet nun, Martin könnte insgesamt eine Million Euro aus dem Rückerstattungstopf via Scheinbelege und eine eigene GmbH, in deren Buchhaltung nur der Chef selbst Einblick hatte, abgezweigt haben.

Mit dem Geld soll Martin u.a. sein Wohnhaus im deutschen Tübingen von einem Architekten umplanen haben lassen, die Rechnung sei dann als "Sachaufwand für Öffentlichkeitsarbeit" der Partei verbucht worden. Des Weiteren sollen sich Anwaltskosten für private Mietrechtsstreitigkeiten Martins in der Kontenaufstellung der Partei unter "Gerichtskosten" befinden.

Faksimile der Dokumente, die die Ungereimtheiten beweisen sollen, finden sich in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins "profil", an das sich Ehrenhauser ein halbes Jahr nach der Rückerstattungskosten-Abrechnung nun wandte. Die Daten aus Martins Buchhaltung, die er vor seinen Kollegen stets geheim hielt - neben Rechnungen und Konten sind dies Korrespondenzen mit Rechtsanwälten - seien Ehrenhauser "zugespielt" worden.

Martin: "Haltlos und rufschädigend"
Martin selbst streitet sämtliche Vorwürfe ab. Die Umpaupläne habe er privat bezahlt, mit dem Architekten habe er aber auch politisch zusammengearbeitet, die Belege in der Parteibuchhaltung seien daher "etwas völlig anderes". "Die angeführten Vorwürfe sind haltlos und rufschädigend. Alle Aufwendungen der Liste Martin wurden bereits von amtlich bestellten Wirtschaftsprüfern in Österreich genau geprüft." Martin forderte eine zweite amtliche Prüfung, "um Klarheit zu schaffen und weiteren Verleumdungen entgegentreten zu können".

Seinem ehemaligen Mitstreiter Ehrenhauser richtete er aus: "Martin Ehrenhauser stellt die Dinge auf den Kopf. Er war es, der für seine Projekte Geld wollte." Eine Anzeige wegen Verleumdung und sonstige rechtliche Ansprüche gegen Ehrenhauser würden bereits geprüft, ebenso wie eine Anzeige wegen des Einbruchs in seine private EDV.

Ehrenhauser spricht von Wählertäschung
Ehrenhauser bleibt aber bei seinen Vorwürfen und hielt am Montag eine Pressekonferenz in Wien: Er sei "zutiefst enttäuscht", sagte Ehrenhauser dort. Der Vorfall zeige eine "Metamorphose des Hans-Peter Martin", der nun "seine weiße Weste abgelegt" und sie "in den Dreck geworfen hat", sagte der EU-Abgeordnete in Anspielung auf die früheren Aussagen Martins. Ehrenhauser sieht es aufgrund der vorliegenden Dokumente als erwiesen an, dass es zu einer Wählertäuschung gekommen ist.

Als am 29. September 2010 H.-P. Martin den Rechenschaftsbericht zum Wahlkampf veröffentlichte, seien die Ausgaben für ihn jedoch in "keiner Weise" nachvollziehbar gewesen. Er sei regelrecht schockiert gewesen über "diese dreiste betriebswirtschaftliche 'Meisterleistung'", so Ehrenhauser. Er habe sich bei Martin seither vergeblich für die Aufklärung der Finanzen eingesetzt, versicherte Ehrenhauser. Gefragt, warum er erst jetzt - mehr als ein halbes Jahr nach Veröffentlichung des Rechenschaftsberichtes - aus der "Liste Martin" ausgetreten ist, antwortete der EU-Parlamentarier, dass es sich um eine "sehr persönliche Angelegenheit" gehandelt habe. Er wollte Martin Zeit geben, "die Dinge auf den Tisch legen zu können".

Die "Widersprüche und Ungereimtheiten" sollten nun durch die Behörden aufgeklärt werden. Von Martin selbst fordert er die Aufklärung widersprüchlicher Aussagen zu den Umbauplänen seiner Villa. Martin behauptet ja, er habe mit dem Architekten auch politisch kooperiert, weswegen es Abrechnungen über die Partei gegeben habe. Der Architekt hingegen meinte zu Ehrenhauser, der Umbau des Hauses sei "der einzige Auftrag" gewesen. Weitere Veröffentlichungen aus seiner Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft behält sich Ehrenhauser ausdrücklich vor.

Rücktritt, weil erfahrener Mitstreiter nachrücken würde
Letztendlich läuft es auf einen Machtkampf um die Liste Martin und den Verbleib ihres Gründers im EU-Parlament hinaus: Ehrenhauser forderte seinen ehemaligen Delegationsleiter am Montag auf, "von ihm und seinem Architekten eidesstattliche Erklärungen zu veröffentlichen oder ein vollständiges Geständnis abzulegen und sein Mandat abzugeben". Mit Robert Sabitzer würde als nächster Kandidat auf der Liste ein "erfahrener Mitstreiter, der sich glaubhaft und engagiert für mehr Transparenz, Kontrolle und Sparsamkeit von öffentlichen Mitteln einsetzt, nachrücken", so Ehrenhauser.

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