"Krone"-Interview

Anwalt der “Eis-Baronin”: “Hoch emotionale Frau”

Österreich
14.01.2012 16:31
"Eis-Baronin", Josef F., die verurteilte Dreifach-Mörderin Elfriede Blauensteiner: Der Wiener Strafverteidiger Rudolf Mayer vertritt Österreichs schwerste Verbrecher. Im "Krone"-Interview spricht er über Täter und Opfer, sein freudianisches Grundgefühl und das Hobby Boxen.

Der Akt Estibaliz C. trägt die Nummer 10St201/11i 316Hr149/11y und quillt schon über, obwohl es noch gar keine Anklage gegen die des Doppelmordes verdächtige Eissalon-Besitzerin gibt. Samstag, acht Uhr morgens in seiner Kanzlei in Wien-Alsergrund: Rudolf Mayer, 64, wettert gegen das Jugendamt, das seiner Mandantin gleich nach der Geburt das Baby weggenommen hat. "Schau", sagt er, "hier geht es nicht um Mutterglück, sondern um das Wohl des Kindes." Wenn Mayer in Rage kommt, bilden sich tiefe Furchen auf seiner Stirn, dann rutscht die Brille auf die äußerste Nasenspitze.

Warum landen die übelsten Fälle - der Fall Josef F., die Eltern des "Mädchens in der Kiste" oder jener Mann, der seiner Mutter den Kopf abgehackt und diesen in einem Schaufenster ausgestellt hat - immer bei ihm? Die Frage gefällt Mayer. Die Antworten lassen tief in seine Seele blicken.

"Krone": Herr Mayer, wie geht es Estibaliz C.?
Rudolf Mayer: Wie wird es einer Frau gehen, die während der Haft Bücher über die pränatale Beziehung studiert hat und jetzt mit diesem Trennungsschmerz fertigwerden muss? Meine Mandantin weiß auch, dass es sehr wohl Mütter gibt, deren Babys im Gefängnis wohnen und aufwachsen.

"Krone": Aber hat die "Eis-Baronin" nicht damit rechnen müssen, dass sie ihr Baby nicht behalten kann?
Mayer: Das hat sie sich beim besten Willen nicht vorstellen können. Noch dazu, wo im Gefängnis eine Mutter-Kind-Station eingerichtet ist und der Gesetzgeber dort eine unbedingte Verpflichtung zur Aufnahme von Kindern unter zwei Jahren vorschreibt. Paragraf 94, Strafvollzugsgesetz.

"Krone": Wurde die Wegnahme veranlasst oder war sie eine Panne?Mayer: Das soll man jetzt klären, denn hier gibt es jede Menge Widersprüche. Ich glaube, es war vorauseilender Gehorsam. Da hat sich jemand gedacht: "Na, mache ich gschwind, was das Jugendamt möchte." Auf Anweisung könnte es nur geschehen sein wegen Gefahr im Verzug. Na, die sollen sie mir einmal erklären.

"Krone": Auf krone.at haben die Leser darüber abgestimmt, ob man einer Frau im Gefängnis das Kind wegnehmen darf. Überraschenderweise sagen mehr als 60 Prozent Ja.
Mayer: Die sind offenbar der Meinung, es gehe hier um Mutterglück. Aber hier geht es um das Glück dieses neugeborenen Kindes, auf sein Recht, nach Artikel 8 der Menschenrechtskommission, den Schutz seiner Familie zu genießen.

"Krone": Kann eine mutmaßliche Doppelmörderin im Ernst ihr Kind schützen?
Mayer: Hat meine Mandantin mit den Fäusten gegen den Bauch getrommelt? Hat sie schlechte Nahrung zu sich genommen? Hat sie angekündigt, das Kind mit der Nabelschnur zu erwürgen? Nein. Die Frage ist, ob sie psychisch in der Lage ist, dem Kind Wärme und Geborgenheit und später auch Disziplin zu geben. Nun weiß ich nichts davon, dass das Jugendamt Untersuchungen darüber veranlasst hätte.

"Krone": Täuscht der Eindruck, dass Sie in dieser Sache ungewöhnlich emotionell sind?
Mayer: Nein, der täuscht nicht. Ich bin hier über das Anwaltliche hinaus engagiert.

"Krone": Welche Anziehungskraft üben Sie aus, dass immer die übelsten Fälle bei Ihnen landen?
Mayer: Es gibt nur zwei Erklärungen. Entweder glauben die Leute, dass ich selber auch so bin. Oder sie glauben, dass ich ein Unschuldsengel bin.

"Krone": Sind Sie nicht eher der Advokat des Teufels?
Mayer: Ich glaube: ganz im Gegenteil. Ich bin ein Pendant zu diesen Menschen, ein Kontrapunkt. Ich rede mit ihnen ganz ehrlich, offen und direkt. Das schätzen sie besonders.

"Krone": Was sagt man einem Josef F. ehrlich und offen ins Gesicht?
Mayer: Als Erstes hab ich ihm gesagt: "Sie schauen aber nicht so aus, als hätten Sie so was gemacht. Erklären S' mir, warum!"

"Krone": Ihr Grundgefühl Schwerverbrechern gegenüber ist Verständnis?
Mayer: Mein Grundgefühl ist das Bemühen, die Motive und Persönlichkeitsstrukturen dieser Menschen zu begreifen. Die Seele ist ein weites Land. Ich war zwei Jahre lang Bewährungshelfer. Wenn ich jemandem gegenübersitze, der außergewöhnliche Taten verübt hat, möchte ich schon beim Blick in seine Augen ergründen, was tief in seinem Innersten vorgeht.

"Krone": Was haben Sie in Estibaliz' Augen gesehen?
Mayer: Hier geht es um einen Menschen, der alles tut, um die Fassade aufrecht zu erhalten. Sie ist eine hoch emotionale Frau, die nach außen hin Eiseskälte trägt, um ihre Verletzlichkeit zu kaschieren. Die meisten weiblichen Straftäterinnen waren bei ihrer Vernehmung zusammengekauert und haben geschluchzt und geheult.

"Krone": Sind Ihre Gedanken auch bei den zwei Männern, deren Leichen im Keller eingemauert waren?
Mayer: Natürlich. Wenn ich dieses Leid und Elend außer Acht lassen würde, dann könnte ich mir niemals ein Gesamtbild machen. Was mit den Opfern passiert ist, das ist ein wesentlicher Bestandteil.

"Krone": Wird Ihnen da nicht manchmal schlecht?
Mayer: Man braucht für diesen Beruf eine gewisse psychische Robustheit. Die habe ich von Natur aus. Wer sich das künstlich aneignet, verhärtet.

"Krone": Sind diese Straftäter für Sie Unmenschen oder sind es Kranke?
Mayer: Leute, die sich so weit außerhalb der psychischen Verhaltensnormen bewegen, sind natürlich krank. Das bezieht sich bitte nicht auf meine Mandantin Estibaliz C., da stehen noch alle Gutachten aus.

"Krone": Apropos psychisch krank: Verstehen Sie den Zorn der Menschen, wenn Verbrecher, wie zum Beispiel der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik, in eine feine Anstalt kommen statt ins Gefängnis?
Mayer: Fein sind solche Anstalten vielleicht, was die Einrichtung betrifft. Aber der Gedanke, dass es den Leuten dort gut geht, stimmt überhaupt nicht. Jeder Mensch soll sich einmal einer Gehirnwäsche unterziehen - nichts anderes passiert dort -, dann wird er sehen, wie schmerzhaft das ist. Jeder Straftäter sagt mir: "Alles bitte, nur nicht die Anstalt."

"Krone": Wenn Sie die Fälle vergleichen, welcher hat Sie am meisten mitgerissen?
Mayer: Das war sicher der Fall F., weil hier die Dissonanz zwischen dem "Warum?" und den Antworten besonders groß ist.

"Krone": Empfinden Sie manchmal auch Abscheu für das, was Ihre Klienten getan haben?
Mayer: Ich habe noch nie Abscheu empfunden, da bin ich sehr freudianisch. Niemand von diesen Leuten hat sich seine Kindheit ausgesucht. Jeder ist zu 90 Prozent von seinem Unbewussten gesteuert, sodass meines Erachtens keiner die Freiheit hatte zu entscheiden. Trotzdem muss man ihn natürlich zur Verantwortung ziehen und ihn nötigenfalls von der Gesellschaft fernhalten.

"Krone": Wenn nicht Abscheu, was dann? Mitleid?
Mayer: Ja, weil diese Menschen nicht mehr im Einklang mit ihrer menschlichen, tierischen, pflanzlichen Umwelt leben und diese Dissonanz tiefstes Leid über sie bringt. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass jeder Angeklagte fair nach der Strafprozessordnung behandelt wird. Meine Aufgabe ist es nicht, jemanden zu verteidigen, mit dessen Taten ich mich einverstanden erkläre.

"Krone": Bekommen Sie oft Drohbriefe?
Mayer: Ja. Aus England hat mir letztens einer geschrieben: "We will really kill you, because you are such a bastard."

"Krone": Spätestens seit dem Fall F. wird Ihnen vorgeworfen, Sie würden gerne solche Fälle annehmen, um in den Medien präsent zu sein. Richtig?
Mayer: Meine mediale Präsenz hat schon vor 25 Jahren begonnen, beim Briefbomben-Prozess. Ich habe sie aber nicht angestrby ist Boxen, warum machen Sie das?
Mayer: Ich habe damit begonnen, als ich 16 war. Ich war damals wie heute relativ klein und wollte etwas wehrhafter sein. Mein Spitzname war "Stutzi". Ich möchte eine Lanze brechen für diesen Sport. Er fordert einem alles ab, sowohl körperlich als auch geistig.

"Krone": Sie sind jetzt 64, wann ist Schluss?
Mayer: Gar nicht. Da bin ich ein ganz verblendeter Verteidiger. Ich kann gut reden, ich kann gut kämpfen. Man muss seine Talente nutzen zum Wohle der anderen. Das steht schon in der Bibel. Deshalb denke ich überhaupt nicht an Pension.

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