"Krone"-Interview

Warum verbünden Sie sich mit Strache?

Österreich
01.09.2015 11:56
Heinz-Christian Strache gibt seiner "Oktober-Revolution" ein Gesicht: Die ehemalige ORF-Journalistin und jahrzehntelange ÖVP-Politikerin Ursula Stenzel wird als unabhängige Kandidatin auf Platz drei der FPÖ-Liste bei den Wiener Gemeinderatswahlen antreten. Im Interview mit Conny Bischofberger spricht sie über Ausgrenzung, Asylmissbrauch und Grandezza im Wahlkampf.

Es ist Montagabend, 12 Stunden bevor Ursula Stenzel bekannt geben wird, dass sie bei den Wien-Wahlen antritt - und für wen. Wir stehen auf dem Klopfbalkon ihrer Innenstadt-Wohnung mit Blick auf den Garten des Kapuzinerklosters. "Sicher wird morgen ein Shitstorm losgehen", sagt sie und atmet die Abendluft ein, "aber davor fürchte ich mich nicht." Von Weitem hört man die Glocken des Trauergottesdienstes für die 71 toten Flüchtlinge im Stephansdom läuten. "Natürlich berührt einen so was", sagt Stenzel, "aber es ist ein völlig manipulativer Ansatz, immer nur von Kriegsflüchtlingen zu sprechen."

Um 22.00 Uhr schickt sie ein Mail an die ÖVP los. "Ich gebe hiermit meinen Austritt aus der Partei bekannt." Nach 19 Jahren beendet die langjährige Europaabgeordnete und streitbare Bezirksvorsteherin der Wiener Innenstadt ihre Zusammenarbeit mit der Volkspartei. Zwei Männer sind stumme Zeugen des Interviews über ihren Wechsel zu Strache: ihr verstorbener Ehemann, der Burgschauspieler Heinrich Schweiger, auf einem gemalten Porträt in einer frühen Tschechow-Rolle, und ihr Urgroßvater, ein Rabbiner, als Büste auf einem Sockel aus weißem Stein.

Hier können Sie sich drei Soundfiles aus dem Interview anhören: Stenzel über Sippenhaftung und katholische Prägung, die FPÖ und Heinz-Christian Strache und den ersten Bezirk und die bevorstehende Wahl.

"Krone": Frau Stenzel, sie stammen aus einer jüdischen Familie und treten für Strache an, dessen Partei immer wieder mit Ausländerhetze und Ausgrenzung auffällt. Wie können Sie das machen?
Ursula Stenzel: Ich habe es immer für einen demokratiepolitischen Fehler gehalten, für einen schweren Fehler, die FPÖ auszugrenzen, und ich befinde mich da in nicht so schlechter Gesellschaft eines Altkanzlers Bruno Kreisky, eines Altkanzlers Fred Sinowatz, eines Altkanzlers Wolfgang Schüssel und auch eines burgenländischen Landeshauptmannes Hans Niessl. Dass Politiker, die Probleme beim Namen nennen, schon rechtsextrem und ausländerfeindlich sind, ist allmählich lächerlich.

"Krone": Aber viele Aussagen von FPÖ-Politikern sind ja auch rechtsextrem und ausländerfeindlich.
Stenzel: Das ist genau das, womit gespielt wird, um die FPÖ unwählbar zu machen. Das hätte Kreisky nie akzeptiert. Man soll mir auch nicht kommen und sagen: "Das ist heute eine andere FPÖ." Es war immer dieselbe, bis Jörg Haider sich mit dem BZÖ abgespaltet hat.

Wie Ursula Stenzel die aktuelle politische Situation in Wien einschätzt, sehen Sie auch in diesem Video:

"Krone": Warum stehen dann auf den Facebook-Seiten von Strache immer wieder Grauslichkeiten wie "Der gehört doch vergast" usw.?
Stenzel: Glauben Sie mir, das kann man bei anderen Parteien leider auch finden. Antisemitismus gibt es überall. Um es klarzumachen: Eines der größten Verbrechen ist für mich nach wie vor die Auschwitz-Lüge, für mich ist jede Art von Wiederbetätigung inakzeptabel. Ich kenne aber weder Sippenhaftung noch Kollektivschuld. Und ich bin der Meinung, dass die FPÖ eine demokratisch legitimierte Partei ist, dass die Menschen das Recht haben, diese Partei zu wählen, dass auch diese Partei das Recht hat, einen Anspruch an Mitverantwortung in der politischen Gestaltung des Landes zu erheben.

"Krone": Wollen Sie als langjährige ÖVP-Politikerin wirklich, dass Strache Bürgermeister von Wien wird?
Stenzel: Warum nicht? Dass man diese Partei so lange ausgegrenzt und ihre Wähler stigmatisiert hat, ist sehr leicht zu durchschauen - als Methode, um eine SPÖ-Dominanz in Wien für Generationen festzuzurren. Alle anderen Parteien waren nützliche Helfer. Die ÖVP in Wien ist leider eine marginalisierte Partei - eine Funktionärsclique mit mehr Häuptlingen als Indianern, ohne Kraft zur Veränderung. Einer freiheitlichen Partei unter Strache traue ich diese Kraft zu. Und wenn ich als unabhängige Kandidatin von ihr angeworben wurde, ist das ein Signal an ein bürgerliches Wählerpotenzial in Wien.

"Krone": Wie erklären Sie sich eigentlich, dass die ÖVP Ihnen Markus Figl vor die Nase gesetzt hat?
Stenzel: Das ist für mich überhaupt kein Thema mehr. Die Entfremdung zwischen der ÖVP und mir hat schon viel früher begonnen, eigentlich seit ich im Amt bin.

"Krone": Stimmt es, dass Ihnen zuletzt eine Doppelspitze zusammen mit Markus Figl angeboten wurde, Motto: Wer mehr Vorzugsstimmen bekommt, wird Bezirksvorsteher im ersten Bezirk?
Stenzel: Da kann ich nur lachen. Das war höchstens ein Scheinangebot.

"Krone": Haben Sie nie das Gespräch mit Figl gesucht?
Stenzel: Haben wir auch. Aber es war immer schwierig. Außerdem: Wen interessiert es? Interessant ist nur: Was ist geschehen für den ersten Bezirk und welche Entscheidung treffe ich jetzt?

"Krone": Jetzt verbünden Sie sich mit Strache. Warum? Die Bezirksvorstehung in Wien 1 hätten Sie doch auch ohne ihn schaffen können?
Stenzel: Weil die FPÖ bereits jetzt die bessere Volkspartei in Wien ist. Ich will eine bürgerliche Mehrheit im Bezirk und zusätzlich unterstütze ich die Freiheitlichen als parteilose Mandatarin auch bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen.

"Krone": Wie und wann hat Strache Sie angeworben?
Stenzel: Persönlich, irgendwann im Sommer. Er hatte sich auch, gleich nachdem die Wiener ÖVP bekannt gab, dass sie sich modernisieren oder verjüngen oder ich weiß nicht was alles will, schon bei mir gemeldet.

"Krone": Hatten Sie nicht auch Angebote von den NEOS und dem Team Stronach?
Stenzel: Über Umwege, nichts Direktes.

"Krone": Haben Sie Herrn Strache gleich zugesagt?
Stenzel: Ich hatte schon eine angemessene Bedenkzeit.

"Krone": Mit oder ohne Bedenken?
Stenzel: Ohne. Wissen Sie, Kreisky hatte nie Probleme, mit einem Mann wie Friedrich Peter (Anmerkung: Peter war Mitglied der Waffen-SS) eine gemeinsame Basis zu finden und dadurch das bürgerliche Lager nachhaltig zu schwächen. Ich glaube, in der jetzigen Phase der Herausforderungen, vor denen Wien steht, wo wir diesen großen, für mich nicht überraschenden Druck der Migration und Asylsuchenden haben, braucht es auch eine starke liberalkonservative Kraft. Mir kann keiner einreden, dass diese Kopf-in-den-Sand-stecken-Politik eines Michael Häupl, die Realitätsverweigerung der Grünen oder sagen wir von links-grün-liberal eine adäquate Antwort auf diese größte Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges finden kann.

"Krone": Aber Strache will Grenzzäune bauen wie Ungarn, ist das eine adäquate Lösung?
Stenzel: Ich war zehn Jahre in der Europäischen Union im Parlament, schon damals drehte sich die Debatte um ein gemeinsames Asylrecht in der EU. Bis heute hat sich die EU nicht dazu durchgerungen. Solange es hier keine gemeinsame Linie gibt, ist es das gute Recht, die Außengrenzen zu schützen, und wenn das nicht funktioniert, auch die Innengrenzen.

"Krone": Also sind Sie auch dafür, Grenzzäune zu bauen?
Stenzel: Das ist eine Notmaßnahme, und zwar keine scnicht weitergehen. Und das Bundesheer ist auch nicht nur dazu da, Gulasch zu kochen und Zelte aufzustellen.

"Krone": Wie würden Sie denn das Flüchtlingsthema angehen?
Stenzel: Ich sage Ihnen ganz offen: Es ist ein absoluter Fehler, nicht zu unterscheiden zwischen politischen Flüchtlingen und Auswanderern. Wir nennen alle Flüchtlinge. Das überfordert ein kleines Land wie Österreich, wo 400.000 arbeitslos sind. Wir müssen eine Politik fahren, die den wirklich Asylsuchenden gerecht wird und gleichzeitig die sozialen Spannungen berücksichtigt. Denn viele Leute wollen nicht aus ihren Ländern weg, weil sie sich ihres Lebens nicht sicher sind, sondern weil sie einen Job wollen und in Deutschland, Österreich und in Schweden die bestmöglichen sozialen Bedingungen vorfinden. Und das kann es ja wohl nicht sein.

"Krone": Aber das gilt doch nicht für Syrien-Flüchtlinge. Was wollen Sie mit denen machen?
Stenzel: Für keinen Flüchtling, der wirklich politisch verfolgt ist, gilt das. Aber wir brauchen die Möglichkeit, die Verfahren so zu beschleunigen, dass wir das schnell herausfinden - so wie in der Schweiz, da hat man 48-Stunden-Verfahren und es funktioniert. Ich verlange auch eine vorübergehende Aufhebung des Schengen-Abkommens.

"Krone": Also wieder Grenzkontrollen?
Stenzel: Ja, solange es diese Schlepperdramen gibt, natürlich! Dass sich Menschen in einer aussichtslosen Situation auf den Weg machen, auch aus wirtschaftlicher Not, ist ja nachvollziehbar. Wir müssen trotzdem die Unterscheidung treffen zwischen Menschen, die politisches Asyl brauchen, und Menschen, die einfach aus wirtschaftlichen Erwägungen und Perspektivlosigkeit das Land verlassen.

"Krone": Wenn Sie sich da mit Strache so einig sind, warum sind Sie dann nicht gleich zur FPÖ gegangen?
"Krone": Ich will unabhängig bleiben, das war ich ja vor meinem Quereinstieg in die Politik auch im ORF. Ich habe die Partei als solche eigentlich gar nicht gebraucht. Ich habe immer meine Persönlichkeit in die Waagschale gelegt. Trotzdem bin ich dem Altbundeskanzler Wolfgang Schüssel dankbar, weil er mich in die Politik geholt hat.

"Krone": Ihre Prognose für die Wien-Wahlen?
Stenzel: Ich bin kein Prophet. Aber wenn die FPÖ auf 30 oder auch mehr Prozent kommt, dann kann man das nicht einfach so wegwischen. Das ist Missachtung des Wählerwillens.

"Krone": Aber es will keine Partei in Wien mit der FPÖ regieren.
Stenzel: "Mit dem Schmuddelkind wollen wir nicht" ist ja das Totschlagargument schlechthin. Das schaue ich mir an.

"Krone": Haben Sie keine Angst davor, dass jetzt alle über Sie herfallen werden?
Stenzel: Ich werde das mit einer gewissen Gelassenheit, mit Grandezza, tragen. Wie schon John F. Kennedy sagte: "Grace under pressure" - ich werde Anmut auch unter Druck zeigen.

"Krone": Schadenfreude?
Stenzel: Überhaupt nicht. Das war nie mein Motiv. Was immer ich tue, ich tue es mit einem gewissen Sinn für Bedeutung. Es ist nicht bedeutungslos, wenn ich jetzt dieses Signal setze. Wir sind an einem historischen Punkt in der Wiener Politik und damit auch in der Politik der Republik angelangt und ich setze dieses Zeichen, weil mir die Chance der Stunde bewusst ist. Nicht für mich, sondern für die Menschen, die hier leben.

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