Machtkampf verloren

Streit mit Erdogan: Premier Davutoglu tritt ab

Ausland
05.05.2016 14:01

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat im Machtkampf mit Präsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstagnachmittag seinen Rückzug angekündigt. Er werde auf einem Sonderparteitag seiner Regierungspartei AKP am 22. Mai nicht erneut für den Parteivorsitz kandidieren, sagte Davutoglu bei einer Rede in Ankara. Das bedeutet auch das Aus als Regierungschef, denn diesen Posten bekleidet in der Türkei traditionell der Parteivorsitzende. Davutoglus selbstbewusstes Auftreten und sein Widerstand gegen Erdogans Plan zur Einführung eines Präsidialsystems werden vom Staatschef nicht länger geduldet.

Persönlich werde er nie das Wort gegen Erdogan erheben, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verbinde, sagte Davutoglu: "Seine Familienehre ist meine Familienehre. Seine Familie ist meine Familie." Zudem meinte der 57-Jährige, er sei über seinen Rückzug nicht verbittert. Natürlich stelle sich die Frage, warum er angesichts seiner positiven Bilanz abtrete - doch die Antwort blieb Davutoglu, der im Parlament als AKP-Abgeordneter weiterarbeiten will, schuldig: "Unter den derzeitigen Umständen" wolle er nicht mehr kandidieren, sagte er lediglich.

Zu selbstbewusstes Auftreten missfiel Erdogan
Damit und mit dem Hinweis, dass er noch nie Ämtern hinterher gelaufen sei, deutete Davutoglu nur an, wovon die ganze Türkei seit Tagen spricht: Der Premier hatte Erdogans Ärger auf sich gezogen, weil er als Partei- und Regierungschef zu selbstbewusst auftrat. So führte etwa er die Verhandlungen mit der EU über das umstrittene Flüchtlingsabkommen. Fragen von Journalisten ließ Davutoglu bei seiner Erklärung am Donnerstag deshalb sicherheitshalber nicht zu.

Davutoglus Befugnisse erst kürzlich eingeschränkt
Am Mittwochabend hatte es ein Treffen Davutoglus mit Erdogan im Präsidentenpalast gegeben. Über die Inhalte des mehr als eineinhalbstündigen Gesprächs wurde nichts bekannt. Erst vergangene Woche hatte die Führung der AKP Davutoglus Befugnisse eingeschränkt, was Kolumnisten und Oppositionspolitiker als Schlag gegen den Regierungschef und Parteivorsitzenden werteten. Davutoglu hatte beide Posten von Erdogan übernommen, nachdem dieser im August 2014 vom Volk zum Staatspräsidenten gewählt worden war.

Erdogan will Verfassungsänderung zu seinen Gunsten
Erdogan-Anhänger verdächtigen Davutoglu, die Macht des Präsidenten untergraben zu wollen. Die beiden Spitzenpolitiker liegen laut Medienberichten unter anderem wegen einer von Erdogan angestrebten Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems im Clinch. Die Änderung würde Erdogan als Staatsoberhaupt mehr Macht verleihen.

Schwiegersohn des Präsidenten als Davutoglu-Nachfolger?
Um ein Verfassungsreferendum über das Präsidialsystem abzuhalten, benötigt die AKP eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament. Dazu fehlen der Partei zurzeit 13 Abgeordnetensitze. Als mögliche Nachfolger Davutoglus werden nach einem Bericht der Zeitung "Cumhuriyet" Verkehrsminister Binali Yildirim und Erdogans Schwiegersohn - Energieminister Berat Albayrak - gehandelt. Beide gelten als absolut loyal gegenüber Erdogan.

Davutoglu trage an der momentanen Entwicklung in der Türkei keine Schuld, kommentierte der Journalist Oguz Karamuk. "Egal, wer auf dem Sessel des Ministerpräsidenten sitzen wird: Ihm wird es nicht anders ergehen als Davutoglu. Denn dies ist kein Streit zwischen zwei Politikern, sondern das Regierungsmodell des Chefs", fügte er hinzu. Mit "Chef" meinte er natürlich Erdogan.

Opposition befürchtet "Bekräftigung der Diktatur in der Türkei"
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu befürchtet bei einem Wechsel im Amt des Regierungschefs eine Ausweitung der Macht von Erdogan. Davutoglus Rücktritt würde zu einer "Bekräftigung der Diktatur in der Türkei" führen, sagte Kilicdaroglu am Donnerstag in Ankara. "Erdogan möchte einen Ministerpräsidenten, der ihm zu 100 Prozent gehorcht."

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