Pilot ausgesperrt

Germanwings-Flug absichtlich zum Absturz gebracht

Ausland
26.03.2015 22:05
Zwei Tage nach dem Absturz einer Germanwings-Maschine über den französischen Alpen mit 150 Toten verfolgen die Ermittler nun eine erschütternde Spur: Ihren Erkenntnissen zufolge wurde der Sinkflug bewusst herbeigeführt - vom Co-Piloten, der zuvor den Kapitän aus dem Cockpit ausgesperrt hatte. Donnerstagmittag schilderte die Staatsanwaltschaft in Marseille, wie sich die dramatischen letzten Minuten an Bord zugetragen haben dürften.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sei der Chefpilot des Airbus A320 kurz aus dem Cockpit auf die Toilette gegangen und habe an den 27-jährigen Co-Piloten übergeben. Konkret habe der Kapitän den Co-Piloten gebeten, die Verantwortung für das sogenannte Flight Monitoring System zu übernehmen, wie aus der Auswertung des am Mittwoch geborgenen Voice-Recorders hervorgeht. Dann ist zu hören, dass jemand - offenbar der Kapitän - das Cockpit verlässt. Daraufhin wurde der Sinkflug eingeleitet, und zwar absichtlich durch das Drehen eines Knopfes. Nach Erkenntnissen der Tracking-Webseite Flightradar24 sei sogar der Autopilot umprogrammiert worden. Die Flughöhe sei von 38.000 Fuß (11.582,40 m) auf das mögliche Minimum von 100 Fuß (30,48 m) geändert worden. Neun Sekunden später habe dann der Sinkflug tatsächlich begonnen. Der Pilot sei unterdessen laut Staatsanwaltschaft vor einer verschlossenen Cockpit-Tür gestanden. Der Co-Pilot habe weder auf Klopfzeichen noch auf Tritte gegen die Tür reagiert.

Die plausibelste Deutung geht dahin, dass der Co-Pilot vorsätzlich verhindert habe, dass die Tür geöffnet werde. Auch auf Ansprache des Towers habe der Mann nicht reagiert. Ein Notruf sei nicht abgesetzt worden. "Es sieht so aus, als ob der Co-Pilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht und so zerstört hat", so der Marseiller Staatsanwalt Brice Robin. Auf die Journalistenfrage, ob es sich um einen Selbstmord gehandelt habe, meinte Robin: "Nein, Selbstmord macht man doch immer alleine. Der Co-Pilot hat so viele Menschenleben aufs Spiel gesetzt."

27-jähriger Co-Pilot stammt aus Deutschland
Außerdem bestätigte Robin, dass es sich bei den Piloten um deutsche Staatsbürger handelt. Der Co-Pilot heißt Andreas Lubitz, laut dem Staatsanwalt war er nicht als Terrorist erfasst. Er war seit 2013 bei Germanwings beschäftigt und stammte aus der rheinland-pfälzischen Stadt Montabaur. Lubitz wurde im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit auch immer wieder routinemäßigen Sicherheitsüberprüfungen unterzogen. Zuletzt sei dem 27-Jährigen Ende Jänner bescheinigt worden, dass keine strafrechtlichen oder extremistischen Sachverhalte gegen ihn vorliegen, hieß es von der Düsseldorfer Bezirksregierung am Donnerstag. Auch die vorherigen Male verliefen ohne belastende Erkenntnisse. Ermittler hatten am Donnerstag die Düsseldorfer Wohnung des Co-Piloten durchsucht, Kriminalbeamte suchten nach Hinweisen auf ein mögliches Motiv oder Anzeichen für eine psychische Erkrankung. Die Aktion dauerte etwa vier Stunden, dann verließen Beamte mit Umzugkartons das Haus. Auch im Elternhaus des Co-Piloten im rheinland-pfälzischen Montabaur im Westerwald wurden Polizisten vorstellig.

"Wir haben Schreie der Passagiere auf Band"
Der Stimmenrekorder habe bis zuletzt schweres Atmen aus dem Cockpit aufgezeichnet, gesagt habe der Co-Pilot nichts mehr, erklärte der Staatsanwalt. In den letzten Minuten bevor der A320 mit 150 Menschen an Bord an einer Felswand zerschellte, hätten der ausgesperrte Kapitän und die Crew von außen gegen die Cockpit-Tür gehämmert. "Die Schreie der Passagiere hören wir erst in den letzten Sekunden auf dem Band", sagten die Ermittler. In den ersten 20 Minuten nach dem Start haben sich Pilot und Co-Pilot demnach ganz normal unterhalten.

Man ermittle nach wie vor wegen fahrlässiger Tötung, auch wenn der Co-Pilot den Sinkflug der Maschine absichtlich eingeleitet haben sollte. "Wir haben die ausgewerteten Daten des Voice-Recorders auch erst seit wenigen Stunden, daher können wir noch nicht mehr dazu sagen", so Robin.

De Maiziere schließt terroristischen Hintergrund aus
Der Co-Pilot hatte nach Darstellung des deutschen Innenministers Thomas de Maiziere kein terroristisches Motiv. Es gebe nach derzeitigem Erkenntnisstand "keine Hinweise auf einen irgendwie gearteten terroristischen Hintergrund", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag in Berlin.

Cockpit-Tür mechanisch von außen nicht zu öffnen
Ein Lufthansa-Sprecher sagte, seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA seien Cockpit-Türen nicht mehr von außen zu öffnen. Das entspreche den Vorschriften. Tatsächlich könnten die massiven Sicherheitsvorkehrungen bei den Cockpit-Türen in manchen Fällen zu gefährlichen Situationen führen, wie das Luftfahrtmagazin "Austrian Wings" bereits im Vorjahr berichtete. Die Türen wurden demnach nicht nur verstärkt, sondern sind auch elektronisch gesichert.

Mechanisches Aufbrechen ist nicht möglich. Will jemand hinein, muss die Person mittels eines eigenen Codes "anläuten". Die Piloten schauen daraufhin nach, um wen es sich handelt, und öffnen, wenn keine Gefahr von dieser Person ausgeht. Zusätzlich gebe es allerdings einen - streng geheimen, sich ständig ändernden - Notfallcode, der nur Crewmitgliedern bekannt ist, damit diese im Notfall das Cockpit betreten können, heißt es im Magazin. Der Kollege im Cockpit könne den sofortigen Zutritt durch Umstellen eines Schalters auf "lock" aber verhindern - dann sei die Tür noch für fünf Minuten verschlossen.

Der Airbus A320 war am Dienstag auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf abgestürzt und in zerklüftetem Gelände zerschellt. Am Mittwoch wurden die ersten Opfer geborgen. Sterbliche Überreste der Getöteten seien am späten Nachmittag von der Unglücksstelle weggebracht worden, so ein Polizeisprecher in Digne. Zugleich ging die Suche nach dem zweiten Flugschreiber in dem Trümmerfeld weiter.

Angehörige dürfen derzeit nicht zum Absturzort
Deutsche und spanische Angehörige, die nach Frankreich gereist sind, dürfen laut Angaben der Behörden nicht zum Absturzort. Dies sei gefährlich, betonte der Unterpräfekt von Aix-en-Provence, Serge Gouteyron, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Nach Angaben des Marseiller Staatsanwalts sind auch die Angehörigen von Pilot und Co-Pilot an den Absturzort gereist. "Aber wir haben sie nicht mit den anderen Familien zusammengebracht."

Die Angehörige der Opfer gedachten am Donnerstag in der kleinen Ortschaft Le Vernet in unmittelbarer Nähe der Absturzstelle ihrer toten Kinder, Eltern und Geschwister. Rund 50 Hinterbliebene waren am Morgen von Düsseldorf zum südfranzösischen Flughafen Marseille-Provence geflogen worden, begleitet von Seelsorgern, Ärzten und Psychologen.

Bergung der Leichen könnte noch Wochen dauern
Die Bergung der weiteren Leichen könnte nach Angaben der Gendarmerie zehn oder 15 Tage dauern. Die geborgenen Leichen würden in einem in der Nähe provisorisch eingerichteten Labor auf ihre Identität untersucht. Mehr als 30 DNA-Spezialisten und Rechtsmediziner arbeiten an der Identifizierung.

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