"Sinn des Lebens"

Fan nach 1.111 Spielen: “Rapid ist schöner als Sex”

Sport
22.09.2012 16:30
Er schläft in grüner Bettwäsche und reist seinen Helden in jeden Winkel der Erde nach. 1.111 Spiele in 33 Jahren. Im "Krone"-Interview mit Conny Bischofberger lässt der treueste aller Rapid-Fans tief in seine Seele blicken.

Die bittere Heimniederlage beim "Geisterspiel" am vergangenen Donnerstag ist auch an Jürgen Hartmann nicht spurlos vorübergegangen. "Ich fühl' mich ganz schlecht, denn wir haben schreckliche Abwehrfehler gemacht und dann als Draufgabe noch einen Elfmeter verschossen."

Der 51-jährige Ultra-Fan (im "Nebenberuf" ist er Beamter) trägt ein grünes Polo und ein Rapid-Freundschaftsband am linken Armgelenk. Im Rapid-Fanshop posiert er geduldig für den "Krone"-Fotografen. Grün-weiße Babystrampler, Rapid-Gartenzwerge, Rapid-Eieruhren, sogar Hundehalsbänder und Taschenaschenbecher mit Rapid-Logo finden hier ihre Abnehmer.

Hier gibt's fünf Audio-Ausschnitte vom Interview mit Hartmann:Clip 1 (Thema Fans), Clip 2 (Krankheit), Clip 3 (Austria), Clip 4 (Edlinger) und Clip 5 (Gewalt).

"Krone": Herr Hartmann, steht das alles auch bei Ihnen zuhause?
Jürgen Hartmann:
Ich bin kinderlos. Also habe ich für den Babystrampler leider keine Verwendung. Aber ich schlafe natürlich in Rapid-Bettwäsche, und die grün-weiße Quietsch-Ente steht auch in meinem Badezimmer.

"Krone": Wie oft wurden Sie schon gefragt, ob Sie einen "Klopfer" haben?
Jürgen Hartmann: Sehr oft. Seit 27. September 1985 hab' ich kein Spiel versäumt. Ich richte mein Leben eigentlich nach den Rapid-Terminen.

"Krone": 1.111 Spiele in 33 Jahren: Waren Sie nie krank?
Hartmann: Nein. Nur ein einziges Mal war es brenzlig – 1996, beim Europacup-Semifinale in Rotterdam. Ich habe einen eitrigen Zahn gehabt und die Schmerzen sind unerträglich geworden. Vier Stunden vor Abfahrt bin ich zum Notarzt gegangen, der hat mir den Zahn aufgebohrt, mit eine Spritze gegeben und gemeint: "So, jetzt fahren Sie einmal zum Match und dann behandeln wir Sie weiter." Das war wirklich knapp.

"Krone": Stimmt es, dass Sie Ihre Freundin verloren haben, weil Ihnen ein Spiel wichtiger war als eine Liebesreise?
Hartmann: Das war nicht meine Freundin, das war eine Kundin, an der ich eigentlich kein Interesse hatte. Sie wollte mich nach Dubai in ein Sechs-Sterne-Hotel einladen. Aber das geht natürlich nicht, wenn Rapid ein Testspiel in Wiener Neustadt hat - und so hab’ ich abgelehnt. Sie hat dann den Kontakt abgebrochen.

"Krone": Unter den "Ultras" kursiert ja der Machospruch "Eine Frau für eine Nacht, Rapid fürs ganze Leben". Ticken Sie auch so?
Hartmann:
So ein Macho bin ich nicht. Gegen eine dauerhafte Beziehung ist nichts einzuwenden, sofern ich auf meine Spiele gehen darf. Das ist Voraussetzung.

"Krone": Ist das der Grund, warum Sie allein leben?
Hartmann: Vielleicht. Also wenn ich die Wahl habe zwischen einer schönen Frau und einem Rapid-Spiel, dann würde ich aufs Rapid-Spiel gehen. Ich würde Rapid nicht Sex opfern, sagen wir so. Weil Rapid schöner ist. Man ist in einem Rausch und man packt das gar nicht. Ein Spiel dauert auch länger (lacht).

"Krone": Ist Rapid Ihre Religion?
Hartmann: Ich habe bei jedem Spiel mein Transparent dabei: SK Rapid Wien – der Sinn des Lebens. Ich lebe für diesen Verein.

"Krone": Wie stehen Sie zu jenen randalierenden Fans, die mit Leuchtraketen um sich schießen und für schwere Ausschreitungen – zuletzt in Saloniki – verantwortlich sind?
Hartmann: Die Griechen waren extrem aggressiv. Den Andy Marek hätte fast ein Molotow-Cocktail erwischt. Die Polizei hat total versagt. Auch auf unserer Seite sind Fehler passiert.

"Krone": Sie sind sehr milde. Finden Sie es richtig, dass ein Teil dieser Fans ausgeschlossen wurde?
Hartmann: Ich habe zu allen Fans einen guten Kontakt. Sie haben eingesehen, dass das nicht richtig war. Sie wissen, dass sie Rapid großen Schaden zugefügt haben, auch in finanzieller Hinsicht. Man sollte sie deshalb nicht ewig ausschließen. Es sind an und für sich irrsinnig nette Kerle, aber sie haben halt ihre Ausraster.

"Krone": Ausraster? Werden da nicht Austrianer beschimpft, weil der Verein jüdische Wurzeln hat?
Hartmann: Nein, das gibt es schon lange nicht mehr. Das war vor 20 Jahren.

"Krone": Waren Sie eigentlich selbst schon mit Gewalt konfrontiert?
Hartmann: Ich sage immer, man kann ausweichen. Einmal, da hat Rapid in Leipzig - damals noch DDR - gespielt. Vier Leipzig-Fans haben sich vor mir aufgebäumt: "So, jetzt haben wir dich, du Kapitalistenschwein. Jetzt geht's dir dreckig." Da hat mich die Klofrau im Damenklo eingesperrt und die Volkspolizei geholt. Die hätten mich sonst nach Strich und Faden verdroschen. Wenn wer auf mich einschlägt, dann muss ich mich natürlich wehren.

"Krone": Wer ist Ihr Lieblingsfeind?
Hartmann: Schon die Austria. Ich könnte zum Beispiel der Austria nie einen Sieg gönnen. Austria oder Salzburg, das ist wie Pest oder Cholera. Die Austria darf nie vor Rapid sein, und die Salzburger, die wollen wir eigentlich auch absolut nicht. Ein Ivanschitz, der zu Salzburg geht, der Rapid und uns Fans belügt, ich sage einmal, das ist ein ganz schlimmes Verhalten. Mit dem würde ich kein Wort mehr sprechen.

"Krone": Wer sind Ihre Helden auf dem Rasen?
Hartmann: Mein allererster Held war natürlich der Hans Krankl. Heute ist es Steffen Hofmann. Ich kenne ihn persönlich. Er ist ein großartiger Mensch, offen für jedes Gespräch, engagiert sich auch sozial. Man könnte sagen, ich bin sein Groupie.

"Krone": Was macht ein Groupie nach einem Sieg?
Hartmann: Er bestellt sich im "Wettpunkt" noch ein Cordon Bleu und ist irrsinnig glücklich. Da fließen schon zwei, drei Bier. Manchmal auch vier oder fünf. Früher waren da nur Männer, jetzt sind immer mehr Frauen dabei. Wir freuen uns und tratschen und analysieren dann noch stundenlang das Spiel. Wie in einer großen Familie.

"Krone": Und nach einer Niederlage? Haben Sie da schon einmal geweint?
Hartmann: Geweint habe ich, nachdem das Geisterspiel bestätigt wurde. Ich war irrsinnig verzweifelt und dachte: "Ich habe keine Chance, dieses Spiel zu sehen." Dann hat’s der Andy Marek möglich gemacht. Dann habe ich wieder geweint, aber vor Freude.

"Krone": Sie als einziger Fan im leeren Stadion. Wie ging es Ihnen da?
Hartmann: Es war ein schreckliches Gefühl. Gähnende Leere, keine Unterstützung für die Spieler. Das traurigste Match meines Lebens.

Zur Person
Der Ultra-Fan Jürgen Hartmann, geboren am 22. 7. 1961 in Neunkirchen, Niederösterreich. Der Vater ist Sänger an der Wiener Volksoper, die Mutter Hausfrau. Jürgen muss Geige lernen, statt Fußball zu spielen. Mit zwölf sieht er das erste Rapid-Match, damals noch auf der Pfarrwiese. Seit 1979 fährt er zu allen Spielen österreichweit, seit 1985 auch zu allen Auswärtsspielen. Insgesamt war der Ultra-Fan bei 1.111 Rapid-Pflichtspielen in Serie dabei - sogar beim Geisterspiel am letzten Donnerstag.

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(Bild: KMM)



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