"Neue Gesellschaft"

Der IS rekrutiert mittlerweile ganze Familien

Ausland
26.12.2014 07:55
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) wirbt mittlerweile nicht mehr nur Kämpfer an, sondern ganze Familien. Im Bestreben, auf dem Gebiet ihres "Kalifats" eine Gesellschaft nach ihren Vorstellungen aufzubauen, locken die Dschihadisten zunehmend Männer samt deren Frauen und Kinder in die von ihnen kontrollierten Regionen in Syrien und im Irak. Die Familien sollen beim Aufbau eines Gottestaates helfen, der auf der strengsten Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, fußt, und sich einst weit über die derzeit besetzten Gebiete erstrecken soll.

Die sunnitischen Extremisten haben in Syrien und im Nachbarland Irak je rund ein Drittel der Landesfläche unter ihre Kontrolle gebracht und ein "Kalifat" errichtet. Wie die "Washington Post" berichtet, ruft der IS über soziale Netzwerke seit einiger Zeit Ärzte, Krankenschwestern, Ingenieure, Buchhalter und Juristen dazu auf, sich ihm anzuschließen. Das Ziel: der Aufbau der notwendigen Institutionen in einem neuen Heiligen Land.

"Sie glauben, sie bringen ihre Kinder in eine Art Utopia"
Mittlerweile sollen sich bereits zahlreiche Familien in den von der Terrormiliz kontrollierten Gebieten befinden, warnen Experten. "Sie denken, das Richtige für ihre Kinder zu tun", sagte etwa die Extremismus-Forscherin Melanie Smith vom King’s College in London der "Washington Post". "Sie glauben, sie bringen sie in eine Art Utopia."

Um seine Vision einer streng islamistischen Gesellschaft zu verwirklichen, übernimmt der IS in den eroberten Regionen die bestehenden Schulen, Krankenhäuser oder Spielplätze – oder, sofern diese zerstört sind, errichtet er selbst die Institutionen des täglichen Lebens. In Rakka, der IS-Hochburg in Syrien, bauten die Extremisten zum Beispiel ein Geburtskrankenhaus auf, das von einer in Großbritannien ausgebildeten Gynäkologin geleitet wird. Zuvor hatten sie alle Einwohner der Stadt aus ihren Häusern vertrieben, in die dann die Familien der Kämpfer zogen.

An den örtlichen Schulen werden Kinder unterrichtet – die Buben fast ausschließlich in Religion –, bis zum 14. Lebensjahr, wenn sie nach den Vorstellungen des IS bereit für den Kampf gegen den Feind sind. Die Mädchen lernen bis zu ihrem 18. Lebensjahr neben dem Koran noch Hausarbeit und wie sie ihre künftigen Männer zu unterstützen haben. "Je mehr es dem IS gelingt, seine eigene neue Gesellschaft zu etablieren, desto leichter wird es auch für ihn, ganze Familien anzulocken", erklärte Mia Bloom, Terrorexpertin von der US-Universität Massachusetts, gegenüber der "Washington Post". "Es ist fast wie der Amerikanische Traum, nur eben die IS-Version davon."

Verpflegung, Strom und bis zu 1.100 Dollar im Monat
Um die Kämpfer und ihre Familien für seine Sache zu gewinnen, bietet ihnen der IS laut der Zeitung Verpflegung, Strom und bis zu 1.100 Dollar im Monat an – in Syrien eine gewaltige Summe. "Andere Dschihadistengruppen versprechen Belohnung im Jenseits", so Bloom. "Der Islamische Staat hingegen verspricht sie im Diesseits und Jenseits – so musst du nicht mehr darauf warten." Finanziert wird das Ganze unter anderem mit den Erlösen aus Plünderungen, dem Schmuggel von Erdöl und Entführungen, die Lösegeldzahlungen nach sich ziehen.

Experten schätzen, dass bisher mindestens 15.000 Menschen in das Gebiet der Terrormiliz gezogen sind, darunter Tausende aus westlichen Ländern. Wie viele Familien dem Lockruf der Dschihadisten folgten, sei schwer zu sagen, so Bloom. Sie schätzt die Zahl auf mittlerweile Dutzende, vorwiegend aus arabischen Ländern wie Tunesien, Jordanien oder Saudi-Arabien, die auch die größte Zahl an Kämpfern stellen.

Um vor allem Mütter für seine Sache zu gewinnen, verbreitet der IS, der für seine Brutalität gegenüber Frauen ethnischer und religiöser Minderheiten bekannt ist, in sozialen Netzwerken Propagandavideos, in denen Kämpfer Spielzeug verteilen und Kinder in Hüpfburgen herumtollen. Damit wollen sie den Frauen suggerieren, ihre Kinder würden in Sicherheit aufwachsen – in Regionen, die ständig von der US-geführten Allianz gegen den IS bombardiert werden.

"Bedenkt man die Lage dort, ist es schlicht unbegreiflich"
Syrische und irakische Flüchtlinge aus dem "Kalifat" berichten von großer Knappheit an Lebensmitteln, sauberem Wasser, Medizin und Elektrizität. Melanie Smith vom King’s College, die in Kontakt mit Frauen in Syrien und im Irak steht, erklärte, dass es für viele Familien als die richtige Wahl erscheint, ins IS-Gebiet zu ziehen. "Sie glauben, das sei ihr Weg, ihre Belohnung. Wenn man aber bedenkt, wie die Lage dort wirklich ist, ist es schlicht unbegreiflich."

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