Täter mit Gaspistole

Bulgarischer Türken-Parteichef entgeht Anschlag

Ausland
20.01.2013 12:44
Auf dem Parteitag der bulgarischen Türken-Partei DPS ist der Vorsitzende Achmed Dogan knapp einem Anschlag entgangen. Ein mit einer Pistole bewaffneter 25-Jähriger kam an Dogan heran, als dieser am Samstag eine Rede vor einem Kongress seiner Partei hielt. Die Waffe, laut Innenminister Zwetan Zwetanow eine Gaspistole, hatte offenbar Ladehemmung. Obwohl zuerst gemunkelt wurde, der Anschlag könnte inszeniert sein, ermittelt die Polizei nun gegen den mutmaßlichen Täter.

Der 25-jährige Täter Oktai Enimehmedow hat nach eigenen Angaben im Alleingang gehandelt. Das gab der Leiter des Psychologieinstituts beim bulgarischen Innenministerium Nedeltscho Stojtschew auf einer Pressekonferenz am Sonntag in Sofia bekannt. Beim Verhör habe der türkischstämmige Architekturstudent zugegeben, seine Tat zwar geplant zu haben, jedoch ohne die Absicht, den DPS-Parteichef zu töten. "Laut seinen eigenen Angaben wollte er ihn lediglich wachrütteln, weil er mit Achmed Dogans Alleinherrschaft und Diktat in der Partei nicht einverstanden sei", erläuterte Stojtschew.

Die Ermittler fanden bei der Durchsuchung von Enimechmedows Mietwohnung in Sofia einen Abschiedsbrief. Der junge Mann, der für die Polizei als zurechnungsfähig gilt, sei sich über die eventuellen Folgen eines solchen Angriffs durchaus im Klaren gewesen und habe nicht ausgeschlossen, dass er vom Sicherheitspersonal erschossen werden könnte, kommentierten die Ermittler.

Anklage wegen Morddrohung
Der zuständige Sofioter Staatsanwalt Nikolaj Kokinow gab in einem Interview für das Staatsradio bekannt, gegen den Täter werde eine Anklage wegen Morddrohung und nicht wegen versuchten Totschlags erhoben. Das Gutachten der Polizei über die Tatwaffe - eine Gaspistole türkischer Herkunft - ergab, dass ihre Schüsse für den DPS-Parteivorsitzenden nicht lebensgefährlich gewesen wären. Dem Angreifer drohen sechs Jahre Freiheitsstrafe.

Unterdessen hat der sonst redegewandte und medienfreundliche bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow erst einen Tag nach dem vereitelten Anschlag auf Achmed Dogan zum ersten Mal die Tat kommentiert. "Es ist nicht angebracht, über ethnische Anspannung in Bulgarien zu sprechen, wenn Täter und Opfer derselben muslimischen Minderheit angehören", sagte Borissow, zitiert von der Nachrichtenagentur Fokus. Der Regierungschef verurteilte den Anschlag als "unzivilisierte Tat" und empörte sich über das "grauenvolle Zusammenschlagen" des zu Boden gebrachten Täters von aufgebrachten Delegierten des Parteitages.

Zweifel an Echtheit des Anschlags
Angesichts der Heftigkeit der Szenen (siehe Video oben), fällt es schwer, an eine Inszenierung des Vorfalls zu glauben. Dennoch schloss etwa Anton Kutew, Abgeordnete der oppositionellen sozialistischen Partei, als Erster eine geplante Inszenierung nicht aus. "Offensichtlich wurden wir Zeugen von einem Schauspiel, die Frage ist, wer das Drehbuch dazu geschrieben hat", erklärte Kutew gegenüber dem Staatsradio am Samstag. Ihm zufolge sind die Ursachen für den inszenierten Anschlag innerhalb der Türkenpartei DPS zu suchen, und er schloss nicht aus, dass die Drahtzieher im Parteivorstand sitzen. "Das Ziel war ganz eindeutig, großes Aufsehen zu erregen", sagte der Sozialist.

Der Sicherheitsexperte der oppositionellen bürgerlichen Parlamentspartei "Demokraten für ein starkes Bulgarien" (DSB), Atanas Atanassow, geht ebenfalls von einer Inszenierung des vereitelten Anschlags auf Dogan aus. "Es ist sehr merkwürdig, wie der Täter vor laufenden Kameras auf die Bühne gelangen konnte, und dazu noch mit einer Pistole mit Ladehemmung", erklärte das Vorstandsmitglied der DSB im privaten Fernsehsender bTV.

"Gezielte Konfrontation und Aggression"
In einer ersten Reaktion nach dem Anschlag sprach der Vorstand von Dogans Partei von einer "gezielten Konfrontation und Aggression gegen die DPS in der bulgarischen Gesellschaft". Auch der Präsident der europäischen Liberalen, Graham Watson, der Gast der Konferenz war, zeigte sich besorgt über die politischen Zustände im Land: "Die Liberalen sind immer mehr besorgt über die Freiheit und die Rechtsstaatlichkeit unter Ministerpräsident Boiko Borissow."

Die von Dogan gegründete Bewegung der türkischen Minderheit DPS ist seit der Wende 1989 im bulgarischen Parlament und seit dem EU-Beitritt des Landes 2007 auch im Europaparlament vertreten. Die DPS war bis Mitte 2009 an einer sozialliberalen Koalitionsregierung in Sofia beteiligt. Rund zehn Prozent von Bulgariens Bevölkerung von 7,3 Millionen Menschen sind ethnische Türken.

Unterstützung für DPS schrumpft
Seit mehreren Monaten schrumpft jedoch die Unterstützung für die Türken-Partei und insbesondere für Parteichef Dogan. Zog die DPS 2009 mit 14 Prozent der Stimmen ins Parlament, wird in jüngsten Meinungsumfragen mit knapp sechs Prozent der Stimmen für Dogans Partei bei den im Sommer bevorstehenden Parlamentswahlen gerechnet. Die Stammwähler der DPS, die türkische und moslemische Minderheit in Bulgarien, gehören zu den ärmsten Bevölkerungsschichten in Bulgarien.

Nach der Wende galten Ahmed Dogan und seine Partei als Hoffnungsträger der Minderheit für den Schutz ihrer politischen und sozialen Interessen im Parlament. Nun wirft sie Dogan und seinen engsten Vertrauten vor, in den Nachwendejahren nur sich selbst bereichert zu haben.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele