Nur Drohungen

Bayern: Seehofers Flüchtlings-“Notwehr” fällt aus

Ausland
09.10.2015 19:34
Horst Seehofer blickte wild entschlossen, als er nach einer Sondersitzung seines Kabinetts am Freitag vor die Medien trat. Auch das politische Berlin wartete gespannt, was der bayrische Ministerpräsident gleich an bayrischen "Notwehr"-Maßnahmen verkünden werde, um die Flüchtlingszahlen zu begrenzen. Doch: Konkretes hatte Seehofer nicht mit dabei. Seine Minister beschlossen zwar ein großes Integrationspaket und Tausende neue Stellen in Bayern - doch irgendwelche drastischen Maßnahmen an den Grenzen bleiben aus.

Weder werden Flüchtlinge ab sofort an der deutsch-österreichischen Grenze abgewiesen. Noch werden sie in andere Länder weitergeschickt. Seehofer spricht nur eine neue Drohung aus: eine Verfassungsklage, sollte die deutsche Regierung die Zahl der Flüchtlinge nicht begrenzen.

Fakt ist: Das meiste von dem, was Seehofer seit mehr als einer Woche so lautstark androht, kann er nicht im Alleingang machen. Von bayrischer "Notwehr", die der bayrische Ministerpräsident zuletzt angekündigt hatte, kann also eigentlich keine Rede sein. Es ist vielmehr wie so oft: Bayern kann zwar laut brüllen - ist aber doch auf den Bund angewiesen. Das zeigt auch der Kabinettsbeschluss vom Freitag.

Keine drastischen Maßnahmen an der Grenze
Beispiel eins: Bayern kann nicht einfach Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze zurückweisen. Denn für den Grenzschutz ist die deutsche Bundespolizei zuständig. Und die untersteht nicht der bayrischen Staatsregierung, sondern der Bundesregierung in Berlin.

Merkel aber hatte zuletzt deutlich gemacht, dass man die Grenzen nicht einfach schließen könne. Bei einer CDU-Konferenz erklärte sie, es sei nicht so einfach, einen Flüchtling zurückzuschicken, der über ein sicheres Herkunftsland einreise: "Ich kann ihm ja nicht an der Grenze sagen: 'Du gehst zurück und kommst hier gar nicht rein.'"

Bayern fordert den deutschen Bund dennoch zum Handeln auf - und droht erneut: "Falls der Bund hier nicht tätig werden sollte, behält sich der Freistaat Bayern vor, anlassbezogen eigene Maßnahmen zu ergreifen", sagte Innenminister Joachim Herrmann. Details nennen weder Herrmann noch Seehofer - Herrmann deutet aber an, man könnte Flüchtlinge drei Meter hinter der Grenze festnehmen: "Da kann sich einer vielleicht freiwillig überlegen, ob er lieber verhaftet wird oder umkehrt." Seehofer sagt nur: "Dann tun wir das, was notwendig ist." Und schiebt nach: "Aber gehen Sie davon aus, dass wir schon wissen, was wir tun."

Beispiel zwei: Auch Transitzonen an den Grenzen, ähnlich denen auf Flughäfen, kann Bayern nicht im Alleingang einrichten. Auch dafür bräuchte Seehofer die Bundespolizei - und damit Merkels Hilfe. Das einzige, was Bayern möglicherweise machen könnte, ist: neu ankommende Flüchtlinge einfach in andere deutsche Bundesländer weiterschicken, wenn dort rechnerisch zu wenige Menschen aufgenommen werden.

Das ließe sich mit Hilfe der bayrischen Landespolizei und normalen Bussen wohl bewerkstelligen. Nur: Inzwischen haben - so ist zu hören - die anderen deutschen Bundesländer bei der Flüchtlingsaufnahme aufgeholt und erfüllen größtenteils ihre Verpflichtungen. Einerseits haben die bayrischen Forderungen der vergangenen Tage und Wochen also Wirkung gezeigt - andererseits laufen die neuen Drohungen damit ins Leere.

Bayern will Zeichen an Österreich senden
Warum aber droht Seehofer seit mehr als einer Woche mit "Notwehr" oder "Notmaßnahmen"? Das hat wohl mehrere Gründe. Zum einen sagen die bayrischen Landräte, sie seien tatsächlich am Ende ihrer Kräfte und ihrer Aufnahmekapazitäten. Zum anderen kommen nach wie vor Tausende Flüchtlinge pro Tag über die österreichische Grenze nach Deutschland, ohne dass sie von den Behörden in Österreich aufgehalten würden. Im Gegenteil: Mit Bussen werden die Flüchtlinge in Österreich bis kurz vor die Grenze gebracht. Der Freistaat Bayern will also auch ein unmissverständliches Zeichen an Österreich senden: dass es so nicht mehr länger weitergehen könne.

Vor allem aber reiht sich Seehofers "Notwehr"-Drohung ein in seinen schon mehrwöchigen Versuch, den Druck auf Merkel derart zu erhöhen, dass diese doch noch einen Kursschwenk in der Flüchtlingspolitik vollzieht. "Er dreht die Daumenschrauben immer enger", sagt ein CSU-Vorstand. So dürfte kein Zufall sein, dass der CSU-Chef Merkels Gastauftritt bei "Anne Will" ein langes "Bild"-Interview folgen ließ. "Einfach sagen: Wir haben Völkerwanderung und kriegen das hin - das wird nicht gelingen", teilte Seehofer dort gegen Merkel aus. Und auch am Freitag legte er nach: Einfach zu sagen, 3.000 Kilometer Grenze könne man nicht kontrollieren, sei eine Kapitulation: "Kapitulation gehört nicht zum Instrumentenkasten der bayrischen Staatsregierung."

Durch Umfragen, in denen Merkel an Zustimmung verliert und er selbst zulegt, dürfte Seehofer sich noch zusätzlich angespornt fühlen. "Seehofer ist der geheime Anführer eines immer breiteren Lagers in der Union", sagt einer aus der CSU-Spitze. "Und das gefällt ihm." So stärke er seine Popularität - und seine eigene Position in der CSU.

Schwieriger wäre es für Seehofer allenfalls geworden, wenn Merkel am Freitag den Friedensnobelpreis zuerkannt bekommen hätte. Von seiner Position aber wäre er auch dann nicht abgerückt. Und auch wenn die "Notwehr"-Drohungen nun keine unmittelbaren Folgen haben: Seehofer ist sich sicher, dass er am Ende - anders als Merkel - Recht behalten wird und es irgendwann zu einer Begrenzung der Zuwanderung kommt.

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