"Gauleiter" & Co.

Athen: Explosive Stimmung nach Berliner Vorschlag

Ausland
30.01.2012 11:04
Für die Griechen haben Überlegungen der deutschen Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel, ihnen die Souveränität über ihr Budget zu entziehen und damit quasi einen Vormund vor die Nase zu setzen, das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Vorschlag aus Berlin, eine Art "Statthalter" der EU in Athen zu installieren, sorgte für Empörung und in vielen Fällen auch für Überreaktionen. Von "Dokument der Schande" über "bedingungslose Kapitulation" bis hin zu "Gauleiter" reichten die Wortmeldungen in den griechischen Medien.

Am Wochenende war in Berliner Regierungskreisen ein Bericht der "Financial Times" bestätigt worden, wonach in der Euro-Gruppe ein informelles Papier diskutiert werde, das im Gegenzug für weitere Hilfen eine scharfe Überwachung der griechischen Finanzen fordert. Ein EU-Kontrolleur bzw. "Haushaltskommissar" solle alle größeren Ausgaben Griechenlands genehmigen. Zudem müsse Athen gesetzlich festlegen, dass Staatseinnahmen zuerst für den Abbau der Schulden verwendet würden. Die "Welt am Sonntag" berichtete, die Vorschläge könnten - sollte sich die Bundesregierung mit ihren harten Forderungen durchsetzen - am Montag in die Abschlusserklärung des EU-Gipfels aufgenommen werden.

"Merkel fordert die bedingungslose Kapitulation"
Die Meldungen lösten in Griechenland einen Aufschrei der Empörung aus. Selbst seriöse Blätter wie die Athener Sonntagszeitung "To Vima" reagierten ungewöhnlich scharf. "Das Dokument der Schande. Merkel fordert die bedingungslose Kapitulation der griechischen Finanzen", titelte die Zeitung. Kommentatoren im Fernsehen sprachen von einem "Gauleiter", den Berlin in Griechenland einsetzen wolle. Das Athener Boulevardblatt "Ethnos" wiederum giftete, die Deutschen verlangten "volle Vormundschaft".

Kurz vor seiner Abreise zum EU-Gipfel nach Brüssel reagierte dann auch der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos. "Wer das Volk vor das Dilemma Finanzhilfe oder nationale Würde stellt, ignoriert historische Lehren", erklärte Venizelos. "Ich bin mir sicher, dass die Führungen aller europäischer Staaten - allen voran derjenigen, die wegen ihrer Größe eine erhöhte Verantwortung für den Kurs Europas tragen - wissen, wie man die Themen zwischen Freunden und Partnern setzt, die ihre historischen Schicksale mit ihnen verbunden haben", fügte er hinzu. Und Bildungsministerin Anna Diamantopoulou erklärte gar, die Vorschläge aus Berlin seien eine "krankhafte Fantasie, egal wer sie hat".

Kritik an Vorstoß Berlins auch von EU-Partnern
Der Vorschlag der deutschen Regierung stieß aber nicht nur in Athen, sondern auch bei anderen EU-Ländern auf Kritik. Bundeskanzler Werner Faymann etwa erklärte am Montag in Brüssel: "Mit so Ausdrücken wie 'Aufpasser' fange ich eigentlich gar nichts an. Es ist für die Griechen sicher nicht leicht, die machen es sich auch nicht leicht. Beleidigen muss man niemanden in der Politik. Auch die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt, deren Land gerade die EU-Präsidentschaft führt, sagte: "Das ist nicht die Diskussion, die wir jetzt haben."

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn mahnte: "Ich glaube, das größte Land der Europäischen Union, Deutschland, sollte in seinen Erklärungen etwas vorsichtiger sein." Deutschland müsse aufpassen, "dass man hier nicht mehr verletzt als notwendig. Wenn man von totaler Kontrolle spricht, dann schaltet man die griechische Regierung und das griechische Parlament aus. Ich glaube, das sollte man nicht machen". Und Eurozonen-Chef Jean-Claude Juncker meinte, ein "Sparkommissar" als eine Art Aufpasser lediglich für Griechenland wäre "nicht akzeptabel". Als generelle Idee lehnt er den Vorschlag hingegen nicht ab.

Rösler: Geduld "neigt sich deutlich dem Ende zu"
Deutschlands Wirtschaftsminister Philipp Rösler hingegen verteidigte am Montag die Forderung nach mehr Kontrolle. "Wir brauchen bei der Umsetzung des Reformkurses in Griechenland mehr Führung und Überwachung. Wenn dies den Griechen nicht selbst gelingt, müssen Führung und Überwachung stärker von außen kommen, zum Beispiel durch die EU", sagte der FDP-Politiker der "Bild"-Zeitung.

Rösler zeigte sich unzufrieden mit dem Stand der Reformen in Griechenland und stellte der Regierung in Athen indirekt ein Ultimatum: Die Geduld mit dem Land "neigt sich deutlich dem Ende zu. Die Zeit läuft. Weitere Hilfen kann es nur geben, wenn die griechische Regierung die notwendigen Reformen endlich umsetzt". Von den Griechen forderte Rösler ein Signal, "dass sie es ernst meinen".

Allgemeine Untergangsstimmung in Griechenland
Indes wird die Stimmung in Athen immer bedrohlicher. Die Regierung des parteilosen Ministerpräsidenten Lucas Papademos muss Entscheidungen treffen, die auch kommende Generationen in Griechenland betreffen werden. So sollen etwa auf Druck der Geldgeber 150.000 Staatsbedienstete - fast jeder Fünfte - in den nächsten drei Jahren gehen. Der Mindestlohn soll abgeschafft werden, das 13. und 14. Monatsgehalt im privaten Sektor sollen gestrichen, Zusatzrenten und die Ausgaben im Gesundheitsbereich gekürzt werden.

Das birgt nach Ansicht vieler Beobachter sozialen Sprengstoff. Knapp 19 Prozent der Griechen sind arbeitslos, allein in Athen gibt es 20.000 Obdachlose, 250.000 Menschen "füttert" die Kirche durch. Das Abwürgen der Wirtschaft im Namen der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit könnte zu einer "gewaltigen sozialen Reaktion" führen, warnte der griechische Europaabgeordnete Theodoros Skylakakis. Die Kommunisten rufen seit Wochen zum Widerstand auf. Empörte Bürger könnten in den nächsten Monaten alles infrage stellen, wenn es so weitergeht, befürchten Vertreter kleinerer griechischer Parteien.

Weit mehr Finanzhilfen nötig als bisher angenommen?
Da machen Meldungen über angebliche Fortschritte bei den Verhandlungen über einen Schuldenschnitt für das hoch verschuldete Land nur wenig Mut. Zumal immer mehr Beobachter davon ausgehen, dass Griechenland viel mehr Finanzhilfen braucht als bisher angenommen. So heißt es, der angestrebte Schuldenerlass von 100 Milliarden Euro werde nicht ausreichen.

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" etwa berichtete unter Berufung auf die Troika aus EU, IWF und EZB, auf die Länder der Euro-Zone kämen im Rahmen des zweiten Rettungspakets für Griechenland neue Lasten zu. Statt 130 Milliarden Euro, wie Ende Oktober vergangenen Jahres beschlossen, würden vielmehr rund 145 Milliarden fällig. Grund sei die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Griechenland. "Wir gehen nicht davon aus, dass man das fehlende Geld allein bei den privaten Gläubigern einsammeln kann", zitiert das Magazin die Kontrolleure.

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