"Krone"-Rezension

The Decemberists sinnieren über die Realität

Musik
16.01.2015 17:00
Nach ihrem großen Durchbruchsalbum "The King Is Dead" 2011 brauchten die US-amerikanischen Indie-Folker The Decemberists eine Auszeit, um sich selbst zu finden und die Batterien wieder aufzuladen. Das Ergebnis nennt sich "What A Terrible World. What A Beautiful World" und zeigt das Portland-Quintett geerdeter, reflektierter und in allen Bereichen erwachsener.
(Bild: kmm)

Gut drei Jahre hat die Auszeit der Decemberists zwischen 2011 und 2014 gedauert – Zeit, die nötig war, um eine nicht für möglich gehaltene Erfolgsgeschichte zu verarbeiten. Das winterliche Folk-Rock-Quintett hat mit seinem sechsten Studioalbum "The King Is Dead" damals auf Anhieb den Sprung auf Platz eins der amerikanischen Album-Charts geschafft und so wurde aus den bärtigen Underground-Früh-Hipstern plötzlich eine industrialisierte Vertonungsmaschinerie, die auch den Mainstream bediente. Der damit einhergehende Hype und die lange Tour hatte Spuren hinterlassen, doch The Decemberists wären nicht The Decemberists, hätten sie sich vom plötzlichen Aufstieg blenden lassen.

Rockstar und Kinderbuchautor
Anstatt sich mit dem verdienten Ruhm zu bedecken, haben sich Meloy und Co. bewusst dafür entschieden, zwei Schritte zurückzugehen. Die Band ohne Meloy konzentrierte sich auf das Bluegrass-Nebenprojekt Black Prairie, während der Sänger selbst die EP "Long Live The King" und das Livealbum "We All Raise Our Voices To The Air" veröffentlichte und sich zudem wieder als profunder Geschichtenerzähler präsentierte. Seine prämierte Kinderbuchserie "Wildwood" wurde um zwei Exemplare stärker und Meloys ohnehin schon beneidenswertes Talent, gute Geschichten gut zu erzählen, erweitert.

Von dem narrativen Schwung profitierten schlussendlich auch die Decemberists, die für ihr neues Album "What A Terrible World. What A Beautiful World" (im Folgenden mit "Terrible/Beautiful" abgekürzt) nicht wie üblich konzentrierte Studiozeit buchten, sondern die insgesamt 14 Songs in aller Ruhe und Gelassenheit auf mehr als eineinhalb Jahre Dauer ausarbeiteten. Aus dem großen Geschichtenerzähler Meloy ist anno 2014/2015 dennoch der mit beiden Beinen fest im Leben stehende Colin geworden, denn auf dem neuen Werk hat der Frontmann so dicht und ambitioniert wie nie zuvor in den Topf des realen Alltags gegriffen, um die besten Erlebnisse herauszuziehen und mit seinen Fans zu teilen.

Greifbarkeit der Songs
"Eine Familie, Kinder und eine Karriere zu haben, älter zu werden – all diese Dinge haben mich tief in mich selbst blicken lassen", erzählte Meloy bereits im Herbst dem "Rolling Stone", um die ungewohnte Herangehensweise greifbar zu machen. Songtitel wie "The Singer Addresses His Audience" oder "Easy Come, Easy Go" lassen zudem eine besondere Aufarbeitung der Beziehung zwischen Künstler und Publikum erkennen. Der "Anti Summersong" ist eine humorige Abhandlung Meloys mit sich selbst. Stolz singt er gegen die üblichen Sommersongs an, zelebriert aber durch die folkige Leichtfüßigkeit halb unfreiwillig selbst einen. Die Country-/Bluesgrass-Wurzeln ziehen sich wie ein roter Faden durch die ohrwurmträchtigen Kompositionen, die sehr oft Lagerfeuer-Atmosphäre versprühen, leider aber Ecken und Kanten vermissen lassen.

Große Melodien werden nicht um des Auffallens willen, sondern vielmehr unauffällig zwischen den Songs eingeflochten. Das pompöse "Cavalry Captain" etwa ist so ein Moment der instrumentierten Maßlosigkeit, bei dem Meloy im Refrain zudem starke Anleihen an Brian Molko nimmt. Auch "The Wrong Year" und die autobiografische Vater-Hymne "Better Not Wake The Baby" punkten mit klanglicher Fröhlichkeit, während sich die Portlander auf "Till The Water's All Long Gone" und "12-17-12", ein Song über das Gefühl der Hilflosigkeit nach der Schießerei an der amerikanischen Newton School, meist zurückgezogen geben.

Endgültiges Erwachsenwerden
The Decemberists können auf "Terrible/Beautiful" die Hit-Dichte des kommerziell erfolgreichen Vorgängers zumindest halten und sind durch die persönlichere Herangehensweise in den Texten zudem wesentlich glaubhafter und geerdeter. Den über die Jahre gewonnenen, logischen Reifeprozess hört man dem ambitionierten Werk in jedem Song an, die Frage wird aber sein, ob die Fans der einstigen Indie-Underground-Helden den endgültigen Schritt in das Erwachsenenleben auch mittragen wollen. Nicht umsonst singt Meloy im Opener: "You threw your arms around us/in the hopes we wouldn’t change/but we had to change some." Doch merke: Veränderung tut nicht weh!

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