"Krone"-Interview

Mando Diao: “Sollte uns jemand hassen – bitte!”

Musik
05.05.2014 12:39
Mando Diao haben sich in den letzten Jahren des Öfteren neu erfunden, auf ihrem neuen Album "Aelita" brechen sie aber sämtliche Stilgrenzen und suhlen sich genüsslich im 80er-Jahre-Synthie-Pop. Im "Krone"-Interview sprach Frontmann Björn Dixgard über den Grund der stilistischen Veränderung, warum die Band von außen als arrogant und selbstsicher angesehen wird und weshalb sexuelle Fantasien sehr gut auf ein Album passen.
(Bild: kmm)

"Krone": Auf eurem brandneuen Album "Aelita" habt ihr euren Sound wieder einmal auf einen völlig neuen Level gebracht und frönt jetzt dem Synthie-Pop der 80er-Jahre. Befürchtest du nicht, dass ihr eure Fans damit vor den Kopf stoßt?
Björn Dixgard: Wir haben schon bei unserem allerersten Song überhaupt gelernt, dass man Leute unbewusst attackiert, in dem man einfach nur Musik macht. Das ist wirklich verrückt. Die meisten Künstler wollen, dass sich ihre Fans beim Hören ihrer Musik gut fühlen. Es sind ja nur sehr wenige Menschen hasserfüllt. Wir wollen natürlich auch, dass die Leute Spaß an unserer Musik haben, aber aus verschiedenen Gründen wirst du immer welche verletzen oder nerven. Wir sind das schon gewohnt und denken auch nicht mehr wirklich viel daran. Wenn jemand unsere Musik hassen sollte - dann bitte. Wir können es nicht ändern.

"Krone": Ist dieses Album das endgültige Statement, eure Wurzeln zum Megahit "Dance With Somebody" zu kappen?
Dixgard: Nicht wirklich. So mancher würde wohl behaupten, dass die musikalische Veränderung bei uns wirtschaftlich gesehen nicht vernünftig wäre (lacht). Aber wenn du Musiker bist, ist es unmöglich, so zu denken. Es interessiert uns nicht wirklich, uns dauernd selbst zu wiederholen. Die ersten drei Alben von uns waren ziemlich ähnlich und nach dem dritten hätten wir uns gegenseitig fast vollgekotzt, weil wir immer wussten, wir können der Welt viel mehr Facetten von uns zeigen. Dann haben wir auf "Never Seen The Light Of Day" mehr auf Folk gesetzt und sind mit "Give Me Fire!" komplett durchgestartet. Wir haben dann unser Nebenprojekt Caligola forciert und auch mehrmals Glück. Etwa Glück, als wir 2012 "Infruset", das Album über die Gedichte des berühmten schwedischen Poeten Gustaf Fröding fanden und auch, dass wir eben unlängst den Synthesizer entdeckten. Die letzten drei Alben waren wohl alle Glück (lacht). Wir haben sicher ein Talent für Melodien, aber man kann sich nie sicher sein, wie das die Leute annehmen. Dieses Mal waren Gustaf und ich einfach nur in einem alten, kultigen schwedischen Plattenladen, um Vinyl zu kaufen. Das ist unsere Art Rückzugshöhle. Plötzlich sahen wir diesen Synthesizer und der Shopbesitzer sagte, er hätte ihn von einem Plattenladen in Lettland, der im Geld schulde und stattdessen eben dieses Teil schickte (lacht). Das Ding hieß eben "Aelita", der Spitzname einer alten Sowjetkönigin. Als wir es dann im Keller einstoppelten, tat es gar nichts. Es war wohl kaputt und wir dachten, wir müssten es reparieren lassen. Wir sind dann zehn Minuten mit einem Kaffee bei dem immer noch eingeschalteten Synthesizer gesessen und plötzlich kamen Klänge hervor. Er hat einfach Krach gemacht und gepiept, ohne dass ihn jemand berührt hätte. Das war wie ein Tier, das sich aufwärmte. Plötzlich konnte man ihn benutzen. Allerdings hat er nie zweimal dieselben Töne gemacht, was wirklich interessant war. Es war so, als ob der Synthesizer leben würde. Da wir keine Wissenschaftler sind, haben wir viel darüber philosophiert. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir als Song nur "Black Saturday", insofern hat dieser Synthie uns also extrem für das ganze Album inspiriert. Wir hatten viele andere Songs geschrieben, aber die landeten nicht am Album – sie haben am Ende nicht mehr gepasst.

"Krone": Habt ihr auch erst zu diesem Zeitpunkt eure Liebe zum 80er-Synthie-Pop entdeckt?
Dixgard: Nein, das hatten wir schon immer in uns. Giorgio Moroder, Kraftwerk, Jean-Michel Jarre und Daft Punkt mochten wir schon immer. Wir haben es nur nie gezeigt. Mit Daniel Haglund haben wir auch einen wahren Keyboard-Meister in unserer Band, der eigentlich alles in diesem Bereich spielen kann (lacht). Wir haben auf dem Album aber nicht nur diese Techniken verwendet, sondern uns auch auf die anderen Instrumente konzentriert. Für mich fühlt sich "Aelita" nicht als unser Synth-Album an, sondern eher als Mischung aus verschiedensten Techniken, die wir ausprobiert haben.

"Krone": Ihr habt auch wirklich viele moderne Dance- und Electronic-Momente integriert. War die Mischung aus Alt und Neu euer Ziel?
Dixgard: Nein, so denken wir nicht. Unser Ziel war, all unsere Fähigkeiten und Sounds zu einem guten Ganzen zu vermischen und einen guten Vibe zu bekommen. Wir denken jedenfalls nicht daran, etwas aus dieser oder jener Dekade reinzumischen. Vielleicht können das andere Bands, wir definitiv nicht.

"Krone": Wenn ihr gerade so auf euren neuen Sound abfährt, ist es dann nicht nervig, live immer noch eure alten Songs zu spielen?
Dixgard: Die Songs live zu spielen ist nicht das Problem, aber diese Songs vor den Touren und Shows zu proben, gehört sicher nicht zu den lustigsten Dingen in unserem Job. Gerade auf Festivals wollen wir uns unserem Publikum gegenüber aber nicht wie Arschlöcher benehmen, die nur das spielen, was sie wollen. Das können wir bei den Hallenshows machen, die wir übrigens gerade planen, wo wir Headliner sind und uns das Programm sehr gut zusammenfügen können. Dann wird der Fokus sicher auf "Aelita" liegen. Aber die Leute zahlen viel Geld für die Karten, um dich zu sehen. Außerdem mögen sie dich ja, sonst würden sie nicht kommen. Dann musst du ihnen auch liefern, was sie wollen. Ich bin sehr stolz auf viele unserer Songs, aber ich finde, dass viele unserer alten Arrangements konservativer waren, als sie sein sollten. Die Leute haben uns immer als ziemlich arrogant und selbstsicher angesehen, aber die Wahrheit ist, dass wir erst jetzt die richtige Sicherheit fühlen. Das manifestiert sich in der Musik. Jetzt machen wir wirklich die Musik, die wir fühlen.

"Krone": Von euch kann man sich also durchaus mal ein Album erwarten, das nach ABBA klingt?
Dixgard: Ich weiß es nicht, lass uns mal abwarten (lacht).

"Krone": Weil du vorher schon eure neue Single "Black Saturday" angesprochen hast. Was ist ein schwarzer Samstag?
Dixgard: Es ist beiderseits ein romantisches oder auch furchteinflößendes Gefühl. Es gibt eine finnische Kinderbuchreihe, die an Astrid Lindgren erinnert. Das war für uns Kinder wahnsinnig beeindruckend. Es gibt ein Buch, in dem es um die ganz große Katastrophe geht. Die ganze Familie stellt sich darauf ein, sammelt Essen und verbarrikadiert sich. Alle sind verängstigt. Aber die Katastrophe kommt nie und die Familie ist dadurch etwas enttäuscht, weil sie sich ja so gut vorbereitet hat. Damit ist im Prinzip der Inhalt umschrieben. Im Song geht es um die dunklen Mächte, die einerseits romantisch und andererseits furchteinflößend sind.

"Krone": Seid ihr innerhalb der Band manchmal in einer dunklen Stimmung?
Dixgard: Nicht in der Band, aber als Einzelperson hat jeder von uns dunkle Emotionen und Gefühle in sich. Die meisten dieser Gefühle sind in unseren Songtexten versteckt und wir lieben es, den Hörern ihre eigenen Interpretation davon erforschen zu lassen. Wir wollen keinesfalls zu viel erklären oder belehren. Wenn du mich aber dezidiert danach fragst, dann erkläre ich dir die Inhalte natürlich schon aus meiner Sicht (lacht).

"Krone": Ist "Aelita", ähnlich wie der Vorgänger "Infruset", wieder auf ein Konzept aufgebaut?
Dixgard: Ja, wir lieben Konzepte, aber das einzig Allumfassende sind die Melodien. Das sind unsere wichtigsten Waffen, weil wir alles darauf basieren. Die Melodien kommen dieses Mal immer dann, wenn du es nicht erwartest, sehr abstrakt. Wir lieben es, uns selbst in Situationen zu bringen, in denen wir einen gewissen Ausdruck erleben. Wir gehen einfach gerne aus der "ich-schaue-fern-Komfortbox" heraus. Das findest du auch in den Texten, so versteckt sind die Botschaften gar nicht (lacht).

"Krone": "If I Don't Have You", euer längster Song auf dem Album, gefällt mir ob seiner musikalischen Sprunghaftigkeit zwischen 70er- und 80t der Song extrem persönlich, denn ein guter Freund von uns, Kristian Gidlund, der Drummer unserer befreundeten Band Sugarplum Fairy, verstarb tragisch. Er hat sehr stark gelitten, aber immer Bücher über seine Krankheit geschrieben. Er wusste eineinhalb Jahre lang, dass er sterben muss, und hat sich selbst niemals aufgegeben. Er hat sich immer beschäftigt. Er meinte immer: "Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt, aber die nutze ich, so gut es geht." Das hat uns nicht nur kreativ, sondern aus der gesamten Lebenssicht heraus unheimlich inspiriert. Den Song haben wir für seine Familie geschrieben.

"Krone": Gerade dieser textliche Weg ist doch sicher extrem schwierig zu bestreiten. Schließlich soll es doch eine stilvolle Hommage sein.
Dixgard: Das stimmt absolut. Wir haben auf seinem Begräbnis gesungen und für Gustaf und mich war es so, als wir das erste Mal wirklich gesungen hätten. Er lag da in seinem Grab und wir haben für alle Menschen gesungen, die ihn liebten. Das war unheimlich emotional und ich kann auch verstehen, worüber Billie Holliday und Nina Simone gesungen haben – sie haben immer über dieses Thema geredet. Es herrschte eine einzigartige Verbindung an diesem Tag. Würden wir auf der Bühne, wenn wir live spielen, jemals auch nur annähernd an diese Emotion herankommen, wäre ich glücklich.

"Krone": Fröhlicher und auch etwas schlüpfriger klingt "Wet Dreams".
Dixgard:(lacht) Ja, darin geht es im Prinzip um die Schönheit sexueller Fantasien. Eine sehr positive Sache, über die die Menschen niemals reden, weil es sehr privat ist. Du teilst deine Fantasien ja nie. Ich habe über die Jahre aber so viele sexuelle Fantasien von weiblichen und männlichen Freunden von mir vernommen, dass ich einfach einen Song darüber schreiben musste (lacht).

"Krone": Hast du im Text dazu auch tatsächlich Erlebnisse deiner Freunde integriert?
Dixgard: Tonnenweise (lacht). Ich habe auch Fantasien meines eigenen Lebens reingebaut. Ein großer Kuchen voller sexueller Fantasien.

"Krone": Hat dich auch deine Rolle als DJ zu diesem elektronischen Synthie-Album inspiriert?
Dixgard: Als DJ lernst du auf jeden Fall, gute Beats zu deiner Musik zu finden. Wir beherrschen einfach mehrere Instrumente und Behelfsmittel und sehen die Gitarre nicht mehr als ausschließliches Zentrum unserer Musikalität. Bei uns sind alle Instrumente völlig gleichberechtigt. 2003 waren wir jedenfalls noch Gitarren-orientiert und wir wollten auch dieses Punk-Feeling reproduzieren. Wir sind damals aber einfach von Rock-Club zu Rock-Club getingelt und irgendwie wurde das in gewisser Weise langweilig. Anfangs hassten wir die ganzen House-, Techno-, Electro- und Hip-Hop-Tempel und die Musik, die dort gespielt wurde. Anfangs sind die Leute ja immer skeptisch oder ablehnend, aber als wir uns länger mit diesen Stilen befassten, sind wir immer stärker reingeschlittert. Wir haben die Schönheit dieser Musik entdeckt und wurden stark inspiriert. Im Prinzip machen wir jetzt die Musik, die wir früher einmal hassten. Wir lieben es einfach, zu tanzen. Das hat uns schon immer angeturnt. Wir waren niemals schwere Drogensüchtige oder so etwas in der Art, aber das Touren hat etwas total Zerstörerisches an sich. Inmitten all dieser Selbstzerstörung, die wir in vielen Bereichen erlebten, wurde das Tanzen zu einem absoluten positiven Teil. Es war wie eine Art Training für uns und wir verliebten uns in das Tanzen (lacht).

"Krone": Die Toleranz kam bei euch also mit dem Alter?
Dixgard: Wir sind jetzt weniger eine Band, sondern mehr eine Familie. Natürlich siehst du von außen die Leute auf der Bühne, die ihre Instrumente haben und ihre Arbeit machen. Aber da ist so viel drumherum. Die Produktion, die Cover-Gestaltung, die Gäste – das ist alles sehr familiär bei uns geworden. Diese Einstellung hat auch eine höhere Beständigkeit für uns alle (lacht).

"Krone": In Kürze spielt ihr einige Festivals in Europa und seid auch bei uns am Nova Rock zu Gast, wo ihr schon mal vor Jahren aufgetreten seid. Sind noch Erinnerungen daran vorhanden?
Dixgard: Ich erinnere mich immer sehr gut an die richtig starken Auftritte, aber Erinnerungen an Liveshows im Allgemeinen sind immer sehr verschwommen. Es ist wie eine Twilight Zone und deswegen lieben wir es auch. Es ist wie eine Flucht, in einem Club zu spielen. Wir lieben es jedenfalls, vor einer vereinigten Zuschauermasse zu spielen, und das war damals bei euch der Fall.

"Krone": Ist auf der Bühne zu stehen wirklich eine Art Flucht für euch? Vor der Realität?
Dixgard: Ich liebe mein Leben, aber ich liebe es, auch einmal zu flüchten. Das ist neben Nikotin die einzige Abhängigkeit, die ich habe (lacht).

"Krone": Mit Mando Diao geht's jetzt also wieder geradeaus nach vorne. Wie geht es mit Caligola weiter?
Dixgard: Das ist ein ständig laufendes Projekt, das nie stoppt und an dem im Prinzip jeder teilnehmen kann. Es ist wirklich schwierig, so ein Projekt fortzuführen und es immer wieder neu anzustoßen, aber wir arbeiten sehr hart daran. Für Mando Diao steht die Welt wieder offen und Caligola hat viel dazu beigetragen. Die Band war wahrscheinlich der letzte nötige Schritt, um mit Mando Diao wieder richtig in die Gänge zu kommen.

Wer die neu erfundenen, Synthie-lastigen Mando Diao beim Nova Rock live sehen möchte, kann unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop noch Tickets ergattern.

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