"Bad Gastein":

Liechtenstein emanzipiert sich von “Supergeil”

Musik
29.07.2014 11:06
In der Zeitrechnung Friedrich Liechtensteins läuft noch immer das Jahr eins nach "Supergeil". Das Wort ist Fluch und Markenzeichen zugleich. Fluch, weil viele den Künstler und Schauspieler nur mit den Clips der Supermarkt-Kette EDEKA in Verbindung bringen. Markenzeichen, weil die meisten bloß dieses Ausdrucks bedürfen, um zu wissen, woher man den adretten älteren Herrn mit Sonnenbrille und weißem Vollbart kennt.
(Bild: kmm)

Derzeit arbeitet Liechtenstein an einer Art künstlerischer Selbstbefreiung von "Supergeil": Am Freitag erschien sein Album "Bad Gastein" - vorerst nur als Download. Dennoch verströmt die Platte eine analoge Aura aus Zeiten der Musikkassette. Schon allein wegen des Videos zur fantastischen, über zehn Minuten langen Vorab-Single "Belgique Belgique" - ein Clip, der stilistisch an das osteuropäische Kino der späten 1980er-Jahre erinnert. Es gibt wohl keinen größeren Antipunkt zur "Supergeil"-Einfachheit.

Der ausgebildete Puppenspieler lebt als selbstbetitelter "Eremit" in Berlin Mitte - im Dunstkreis von Kunstgalerien und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Der perfekte Platz für einen Flaneur und Mann von Welt wie Liechtenstein. Sein Debütalbum "Please Have A Look From Above" liegt ein Jahrzehnt zurück- damals war er 48.

Supermarkt-Opa huldigt dem "Monaco der Alpen"
Nun also "Bad Gastein". In den Radonquellen des Salzburger Kurortes haben sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts die gekrönten Häupter Europas erholt: Kaiser Franz Josef und seine Frau Sissi, Kaiser Wilhelm I. oder der russische Zar. Diplomaten betrieben auf tausend Metern Höhe Weltpolitik. Die Hautevolee der Jahrhundertwende machte das Heilbad in den Hohen Tauern zum "Monaco der Alpen".

"Bad Gastein" beginnt als Märchenidylle: Eine betörende italienische Frauenstimme erzählt - untermalt von Streichern und Synthesizern - eine fiktive Entdeckungsgeschichte des Heilbades. Zwei Weise leben zurückgezogen und gottgefällig an den Quellen, bis ein Ritter kommt und die Kraft des Wassers allen Menschen zugänglich machen will.

Nach diesem Romantik-Prolog beginnt ein Dance-Album der außergewöhnlichen Art. "Goldberg & Hirsch" ist trashiger Italopop und Avantgarde in einem: Liechtensteins raue Stimme erinnert an die Electro-Pioniere von Yello; und dennoch haben die Produzenten keine Scheu, ein Sample von Al Bano und Romina Power hineinzupfriemeln.

Coverversionen von Louis Armstrong und Tom Waits
"Elevator Girl" ist ein Synthie-Popsong voller Coolness. Für das etwas schmalzige "Kommissar d'Amour" kramt Liechtenstein seine heißesten Verführungskünste heraus - wird schlussendlich aber nicht belohnt. "Wir sind auf dieser Welt, um die falschen Frauen zu lieben", heißt es in "Das Badeschloss" einmal. "Bad Gastein" ist also ein Album der unerfüllten Sehnsüchte. Auch drei Coverversionen finden sich auf der Platte: "We Have All The Time In The World" von Louis Armstrong, der Burt-Bacharach-Titel "(They Long To Be) Close To You" sowie der Tom-Waits-Songs "Take It With Me".

Liechtenstein konnte sicherlich nicht ahnen, dass um "Supergeil" ein Hype gemacht wird, als habe er ein neues Wort für den Duden erfunden. "Der nächste Job ist, das wieder loszuwerden", hat er schon im Frühjahr gesagt. "Wär schon schön, wenn noch etwas anderes kommt als: 'Sag mal supergeil!'" Könnte klappen - dank "Bad Gastein".

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