"Krone"-Interview

Jan Delay: “Bon-Jovi-Rock ist der Feind”

Musik
23.04.2014 17:00
Viele Jahre hielt sich Deutschlands nasalste Stimme aus dem Rampenlicht fern - nun kehrt der "Absolute Beginner" Jan Delay überraschend mit einem Rockalbum ins Scheinwerferlicht zurück. Auf "Hammer & Michel" huldigt er den Größen des Rockzirkus und bringt auch Gesellschaftskritik an. Im "Krone"-Interview sprach Delay über die nettesten Menschen auf den wildesten Festivals, warum Schlager und Musicals nichts mit Kultur zu tun haben und weshalb seine Tochter nicht mit Cherry Cola in Berührung kommen wird.
(Bild: kmm)

"Krone": Jan, mit deinem neuen Album "Hammer & Michel" bist du jetzt in die Rockschiene gerutscht. Ich finde es etwas befremdlich, dass sich so viele Menschen über diesen Stilwechsel wundern, da du ja ohnehin immer zwischen den Genres gehüpft bist.
Jan Delay:(lacht) Mich wundert das auch total. Die dachten ja immer, wenn der jetzt Reggae und Funk macht, klingt das ja ohnehin wie Hip Hop. Aber jetzt wagt er es, sich an unserem weißen Rock ranzumachen, der hat doch keine Ahnung davon. Das wird immer etwas missverstanden, denn ich habe weder reine Reggae- noch reine Funk-Platten gemacht. Es waren immer Jan-Delay-Alben, in denen ich einfach meine Einflüsse aus den Stilrichtungen eingebaut habe. Das ist jetzt bei der Rock-Platte nichts anderes. Ich konnte ganz naiv an die Sache herangehen, weil ich ja keine Ahnung von dieser Ecke hatte. Als Hip Hopper wäre ich viel zu verbissen, weil ich mich viel zu gut auskenne. Ich finde es einfach komisch, dass es jetzt so einen Aufschrei gibt.

"Krone": Die Szenepolizei wird fragen, ob ein Hip Hopper überhaupt rocken darf?
Delay: Welche Szenepolizei und wo war sie in den letzten 15 Jahren, als ich schon andere Genres vermischt haben? (lacht)

"Krone": Bist du mit Rockmusik aufgewachsen?
Delay: Jein, es gab immer ein paar kleine Berührungspunkte in der Plattensammlung meiner Eltern, die im Prinzip sehr schwarz und Groove-lastig war. Geprägt haben mich damals die Ramones und Udo Lindenberg, der ja auch ein bisschen mit Rock zu tun hat. In meinen Teenagerjahren war dann Hip Hop das große Ding und blieb es auch – allerdings gab es in meiner Erziehung auch Guns N' Roses, Rage und Nirvana. Bis heute hat mich auch Lenny Kravitz begleitet, den fand ich immer großartig. Das war es dann aber auch, ansonsten war Rock im Sinne von Bon Jovi oder Brian Adams eher der Feind. Erst Mitte der Nullerjahre kamen von Queens Of The Stone Age, Wolfmother, Jet, The Hives, System Of A Down oder Mando Diao richtige geile Platten raus. Da wurde ich Fan und seitdem hatte ich die Idee, so etwas zu machen.

"Krone": Was war im Endeffekt ausschlaggebend, dass du diese Platte gemacht hast?
Delay: Einerseits wollte ich für mich und meine Band einen neuen musikalischen Input finden und auf der anderen Seite die Energie. Ich wusste, dass wenn ich das mit meiner Band mache, der Groove und der Funk drinnenbleiben und es kein komischer anderer Rock wird. Ich will ja keinen weißen Rock machen. Zusätzlich hatten wir einfach eine Schippe Energie, die unsere vorherige Musik nicht hatte.

"Krone": Wollte dir im Vorfeld jemand weismachen, dass du mit deiner Stimme kein Rock-Album machen könntest?
Delay: Ja, Stefan Raab (lacht). Da habe ich gesagt: "Hallo? Axl Rose? Was ist los?" Der meinte dann nur mehr: "Okay, ja, stimmt ja."

"Krone": Die erste Singleauskoppelung war "Wacken", das größte Heavy-Metal-Festival Europas. Für das Video hast du das Event im weißen Anzug besucht. Wie war diese Erfahrung für dich?
Delay: Ich war zum ersten Mal da und mir war bewusst, dass ich ob meines provozierenden Äußeren auffallen würde. Das war auch so gewollt. Es war aber total cool, denn dort waren die liebsten Menschen der Welt – sowohl vor als auch hinter den Kulissen. Nur als ich dann das Video rausgebracht habe und das Wacken es auf Facebook geteilt hat, gab es eine Art von Hass-Shitstorm. Damit kann ich aber leben.

"Krone": Hast du dir beim Produktionsprozess Grenzen gesteckt? Gesagt, so und so hart will ich sein, aber weiter gehe ich dann nicht mehr?
Delay: Ich hatte wirklich Bock auf Härte. Der härteste Song von der Musik und vom Text her ist "Dicke Kinder", und davon hatte ich anfangs noch vier oder fünf Nummern. Ich wollte dann aber nicht zwölfmal so hart klingen und dann habe ich den Fuß etwas vom Gas genommen. Ich mag so viele andere Facetten im Rock, die ich auch liebe und ausprobieren wollte. Ich bin ja zudem ein Pop-Schwein. Ich habe auch weichere Songs zugelassen, typische Jan-Delay- und Disko-No.-1-Songs, die auch auf dem letzten Album hätten stehen können. Es gab nie den Gedanken, es wäre etwas zu hart – nur, dass es zu viele harte Stücke sein würden.

"Krone": Du hast das Album ohnehin mit sehr vielen politischen und sozialkritischen Botschaften bestückt – das war bei dir nicht immer so.
Delay: Das ist ganz einfach: Weil Rock so dankbar dafür ist. Ich wurde immer gefragt, wo bei meinen Platten die Kritik bleibt, aber wenn du so eine leichtfüßige Dance-Platte mit Funk-Grooves machst, dann erdrückst du mit einer kritischen Textschwere das Instrumentale und das wird dann platt. Im Rock ist das ganz anders. Selbst bei vermeintlichen Tanz- oder Pogo-Nummern kannst du super Kritik anbringen und Sachen rausschreien. Die Musik unterstreicht das ja und das ist für mich auch ein dankbares Argument, eine Rock-Platte zu machen. Beim Reggae geht das interessanterweise auch, dort kannst du auch besser Kritik reinbringen.

"Krone": In "Dicke Kinder" prangerst du die Essgewohnheiten der Eltern an und wie das Bewusstsein zur richtigen Ernährung den Bach runtergeht. Du bist selbst Jungvater einer Tochter – wie kannst du es verhindern, dass sie sich nicht auch ungesund ernähren wird?
Delay: Das schaffe ich schon, wenn du neben mich schaust, siehst du auch Paprika und Bananen. Das kostet doch nichts und man kann sich auch im Stress gut ernähren. Ich werde bei meinem Zwerg genauso drauf achten. Ich werde bestimmt kein Nazi-General, der seinem Kind vorschreibt, jetzt Dinkel essen zu müssen (lacht). Wenn es mal Weizentoast will, dann kriegt es den auch – es muss sich aber die Waage halten. Es muss aber allen von vornherein klar sein, dass so ein kleines Kind, das viel sensibler ist als wir selbst, einfach keine Scheiße zugeführt bekommen soll. Selbst zu der Zeit als ich kein Kind hatte, tat mir das weh, so etwas zu beobachten. Ich weiß noch genau, wie ich letzten Sommer zu meinen Eltern vor Hamburg gefahren bin und dort in so einem Doppeldecker-Regionalzug bei 40 Grad Mutter mit Kind sah, beide sehr voluminös. Das Kind hatte Durst und die Mutter holte eine Zwei-Liter-Cherry-Cola-Flasche heraus, um sie ihrem Kind als Durstlöscher zu geben. Das macht nur noch durstiger und man bekommt Lust auf Zucker. Das Kind kann aber nichts dafür, denn es kennt es nicht anders und weiß es nicht besser. Dafür sind solche Songs da. Es ist vielleicht naiv zu glauben, damit würde sich etwas ändern, aber funktioniert es bei ein paar Fallbeispielen, hat sich der Aufwand schon gelohnt.

"Krone": Problematisch wird es bei deiner Tochter, wenn sie in die Schule geht und sich vielleicht den schlechteren Essgewohnheiten der anderen anpasst.
Delay: Klar, meine Mutter hat bei mir auch sehr stark auf die richtige Ernährung geachtet. Meine Rebellion damals war, jedes Geld, das ich mit 13 auf dem Flohmarkt verdiente, zu McDonalds zu tragen, um mir Burger zu kaufen. Wenn man aber bis zum zwölften Lebensjahr nie Cola trinken und McDonalds essen durfte, dann ist das schon auch ok, wenn man sich mal für eine kurze Zeit den Magen damit verdirbt (lacht).

"Krone": Dein Album beginnt mit dem Song "Liebe" – ein Titel, der auf Rockalben normal nicht so dastehen würde.
Delay: Das kann sein, aber das ist auch diese Art von Naivität gewesen, dass ich mir darüber keine Gedanken gemacht habe, was zu Rock passt oder nicht. Für mich hat der Song einen Intro-Charakter und eigentlich auch das wichtigste Statement auf der Platte. Bei all den Mittelfingern und all dem Geschrei geht es doch um die Liebe.

"Krone": Wo enden bei dir Liebe und Toleranz?
Delay: Ähm… genau beim Spiegelbild, der Intoleranz. Dort, wo Rassismus und Ausgrentendlich auch Leute in meinen Texten ausgrenze, deshalb ist es vielleicht nicht ganz richtig. Es ist ein blödes, langweiliges und oft gehörtes Sprichwort, aber man sollte andere immer so behandeln, wie man selbst behandelt werden will. Ich will auch nicht von allen Leuten geliebt oder in den Arm genommen werden, aber einfach meine Ruhe haben. Das ist ja auch schon mal was (lacht). So lasse ich die anderen Leute auch in Ruhe. Funktioniert das nicht, endet meine Toleranz und ich bin dann immer auf der Seite der Leute, die nicht in Ruhe gelassen werden.

"Krone": Die Single "St. Pauli" hingegen ist eine Hommage an deine Heimat?
Delay: Eine Hommage an ein bestimmtes Hamburger Viertel in meiner Jugend, in dem eigentlich jeder Jugendliche übers Wochenende aufgewachsen ist. Mein Text beruft sich aber auf ein St. Pauli, das es so nicht mehr gibt. Ein St. Pauli aus den 90er-Jahren. Ich musste im Text aber keine Wehmut ausstrahlen, es ist einfach nur ein schöner Song. Man muss, wenn man über Liebe singt, ja auch nicht immer über Liebeskummer singen. Leider gibt es St. Pauli aber so nicht mehr, weil sie es immer weiter weg gentrifizieren.

"Krone": Wie wird man eigentlich als Hamburger Werder-Bremen-Fan?
Delay: Das ist eigentlich ganz einfach passiert. Als kleiner Junge war ich beim HSV im Volksparkstadion und da gab es zum Anpfiff einen Hitlergruß von den HSV-Löwen. Das fand ich sehr eklig, schließlich war der Klub damals ein richtiger Nazi-Hooligan-Verein. Meine Großeltern waren in Oldenburg und das ist ja quasi Bremen. Ich war dort oft zu Besuch und dann gab es noch Rudi Völler und Otto Rehhagel und somit war es um mich geschehen. Den FC St. Pauli gab es für mich so nicht. Da der Klub nicht in meinem Panini-Album war, fand er nicht statt (lacht).

"Krone": Was kann man unter einem "Dicke-Titten-Sound" verstehen? So bezeichnest du den Klang von "Hammer & Michel".
Delay: Es ging um Verstärker, das war ein richtiges Nerdgespräch. Ich habe die ganze Gitarrentechnik gelernt und sogenannte "Blind Auditions" gemacht. Das gleiche Riff vom gleichen Gitarristen auf verschiedenen Verstärkern. Dabei bin ich draufgekommen, dass ich Marshall schrecklich finde, weil der so einen Penis-Sound hat, und dass ich Orange-Verstärker liebe, weil die so einen warmen und analogen Sound haben. Das ist für mich so rund und schön und daher der Titten-Sound (lacht). Das ist kein bisschen sexistisch – eher das Gegenteil. Eine Lobeshymne an die Titte und den Orange-Amp.

"Krone": Wird der Anzug bei deinen künftigen Liveauftritten beibehalten, obwohl du jetzt rockst?
Delay: Die einzige Alternative ist so ein L.A.-1992-Style. Wie von Bands wie den Suicidal Tendencies oder Body Count. Ich habe die Vans an und die Tube-Socks drüber. Das geht natürlich nicht bei der ganzen Band. Meine Bläser würden als Ice-T gekleidet etwas lächerlich aussehen (lacht). Ich habe dann entschlossen, dass die Band im Anzug auftritt und rockmäßig alles rausholt, was geht. Also schon mal Lederanzüge oder Nieten statt Knöpfe. Ich selbst werde eher diesen Ami-Style praktizieren und mich nur nach den großen Shows umziehen. Nach jedem Song (lacht).

"Krone": Mit dem Songmaterial kannst du irrsinnig gut spielen – du hast von Rock, über Funk, Reggae und Hip Hop alles im Repertoire.
Delay: Du kannst alles miteinander verweben, das ist der Wahnsinn und macht Riesenspaß. Da unser Album neu ist, kommen wir natürlich mit zwei Rocknummern rein, schießen dann aber gleich "Türlich, türlich" hinterher und verweben auch neue Medleys rein. Es existieren alle Stile von mir nebeneinander und trotzdem ist es eine geschlossene Disko-No.-1-Show. Die Bläser dürfen bei den Rocksongs auch mal Riffs einstreuen und die Ladys singen ein paar mehr Refrains – wir sind die Band und das ist die Show.

"Krone": In der "Scorpions-Ballade" kritisierst du die politische Landschaft Deutschlands.
Delay: Ich merke nur an, dass überall die Ideale und Haltungen flöten gehen, weil die Grenzen verschwimmen. Ich komme damit nicht mehr klar und mir fällt es schwer, mich zu orientieren. Es geht darum zu überlegen, wo man überhaupt noch hingehört. Ich bin doch auch Atomkraftgegner, aber ich bin nicht in der CSU.

"Krone": Du hast unlängst gesagt, dass Andrea Berg und Helene Fischer Musik für Leute machen, die sonst keine Musik hören würden. Da gab ein kleines Rauschen im Blätterwald.
Delay:(lacht) Im Moment gibt es viel Rauschen bei mir.

"Krone": Stimmt, da gab es noch dein Statement, dass Bio-Eltern eine Generation von Weicheiern heranzüchten würden.
Delay: Ich gebe irgendwo irgendwem ein Interview und so Tageszeitungen, die sich auf Sensationsmeldungen raufhängen, nehmen sich einzelne Sätze heraus, bauen ihre eigene Überschrift drüber und hauen das auf ihre Gesellschaftsseiten. Auf einmal steht da: "Jan Delay rechnet mit Öko-Eltern ab." Ich gab einer Frauenzeitschrift einfach einmal ein Interview und die fragten mich, wie das so mit meinem Kind werden wird. Ich sagte, dass sie so aufwächst wie ich. Sie soll rausgehen und sich das Knie aufschlagen und nicht zum Sport gefahren und wieder geholt werden. Die Kinder dürfen nicht in Watte gepackt sein, sie müssen raus gehen, aufs Maul fallen und ihre eigenen Erfahrungen sammeln. Bei diesen Eltern heutzutage frage ich mich oft, was für Weichlinge ihre Kinder werden. Das habe ich gesagt und das wurde dann verändert. Ich würde mir als Leser auch denken, was nimmt sich der heraus, sich zu jedem Thema zu äußern. Aber das sind die Zeitungen, die meine Interviews zerfleddern und irgendwelche Hasstiraden gegen Andrea Berg oder Öko-Eltern bauen.

"Krone": Im Gegensatz zu Rammsteins Till Lindemann würdest du also keine Texte für Schlagerstars schreiben?
Delay: Nein, zu diesem Statement stehe ich auch. Das ist für mich einfach Musik für Leute, die nichts mit Musik zu tun haben. Genauso wie Musicals. Da sind Leute für Kultur und Musik dort, die sich sonst niemals um Kultur und Musik kümmern würden. Bei den Modedesignern dasselbe: Dieser Guido Maria Kretschmer macht Mode für Leute, die mit Mode nichts am Hut haben.

Wer Jan Delay und die Disko No. 1 mit dem neuen Rockprogramm live sehen will, hat die Möglichkeit dazu am 2. Oktober im Wiener Gasometer. Tickets für die Show erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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