"Krone"-Rezension

Holly Johnson entführt zurück in die 80er-Jahre

Musik
12.12.2014 17:01
Wenige Jahre ein Top-Star - viele Jahre in der Versenkung verschwunden. Frankie-Goes-To-Hollywood-Sänger und Electro-Pop-Kultifigur Holly Johnson hat ein in vielerlei Hinsicht bewegtes Leben hinter sich und nach 15-jähriger Pause auch wieder zur Musik gefunden. Auf "Europa" klingt der mittlerweile 54-Jährige jedenfalls so motiviert und frisch wie eh und je.
(Bild: kmm)

Vor genau 30 Jahren wurde die Pop-Welt in ihren Grundfesten erschüttert. "Welcome To The Pleasuredome" nannte sich das Debütalbum der Electro-Pop-Combo Frankie Goes To Hollywood, die mit einem Hang zu überbordender Exzentrik, Posterboy-Image und den drei Welthits "Relax", "The Power Of Love" und "Two Tribes" innerhalb kürzester Zeit die Charts aufrollten. Vor allem die sexuellen Anzüglichkeiten und das provokante Gebahren von Sänger Holly Johnson waren damals noch nicht "State of the Art". Darüber kann der mittlerweile 54-Jährige lachen: "Wenn wir in die Stadt kommen, dann sollten die Eltern ihre Töchter und Söhne wegsperren. Ich wollte immer eine konzeptionelle Popband, die sämtliche Grenzen der sexuellen Politik durchbricht."

Niemals Bono sein
Mission ausgeführt, doch das Ende nahte schnell. Bereits 1987 war das Zerwürfnis zwischen Johnson und dem Rest der Band so groß, dass eine mögliche Top-Band aus dem musikalischen Kosmos verschwand. "Die anderen waren sicher mehr an Stadionrock interessiert als ich", bilanziert Johnson, "ich wollte niemals Bono sein. U2 sind heute doch auch nichts anderes als eine Rock-Kooperation, die Leute haben schon genug davon." Johnson konzentrierte sich fortan auf eine Solokarriere, verzweifelte aber an den sich stetig ändernden Mechanismen des Pop-Business und schrieb sich für ein paar Jahre auf einem Kunst-College ein, um sich der Malerei zu widmen.

Nach Jahren in der Versenkung tauchte Johnson unlängst mit einem neuen Soloalbum auf. "Europa" kam so unerwartet wie überraschend und integriert beide Kunstfertigkeiten des Exzentrikers. Das Cover-Artwork ist ein von Johnson gefertigtes Bild, "United Kingdom After The Rain", und wurde in einem alternativen Uni-Workshop anlässlich des goldenen Thronjubiläums der englischen Queen gefertigt. Ja, er ist durchaus politisch interessiert und trägt auch im feinen Zwirn mit maßangepasster Krawatte die Wut nach außen. "Es ist ein Statement für Europa, denn ich fühle mich selbst nicht als 'Inselaffe', sondern als Europäer. Xenophobie ist gefährlich und ich hoffe, dass die englische Rechtspartei UKIP diese Ressentiments Immigranten gegenüber abstellt."

Zeitloser Zeitgeist
Was hinzugefügt werden muss – der Song ist 24 Jahre alt und wurde einst mit Vangelis in einem Pariser Bunker aufgenommen. Obwohl Holly Johnson stets bemüht war, den Zeitgeist zu treffen, macht gerade die Zeitlosigkeit seiner Kompositionen den Reiz des Hörgenusses aus. Auch wenn Johnson drei Jahre an "Europa", dem ersten Soloalbum nach 15 Jahren Pause, bastelte, das Material aus dem Album entstammt aus drei Dekaden und wurde auch soundtechnisch der jeweiligen Gegenwart angepasst. Der kleinste gemeinsame Nenner? Natürlich Electro-Pop. Nur dass Johnson auf Songs wie "Dancing With No Fear" oder "Follow Your Heart" frischer und unverbrauchter an die Sache geht als die vielgerühmten Pet Shop Boys.

Trotz der kritischen Stimmen auf dem Album klingt "Europa" im Gesamtkontext grundpositiv und spiegelt damit das Seelenleben des fest in der Gegenwart verwurzelten Protagonisten wieder. 1991, fast zeitgleich mit dem Aids-Tod seines Freundes Freddie Mercury, wurde Johnson positiv auf HIV diagnostiziert. "Freddie und ich wohnten in London nur 15 Minuten voneinander entfernt und hatten teils sogar dieselben Ärzte, das war wirklich unheimlich." Im Gegensatz zur Queen-Sängerlegende lebt Johnson bereits 23 Jahre mit der Krankheit.

Wichtige Stütze
"Die Medikamente erinnern mich täglich daran und ich muss auch meinem Partner Wolfgang Kuhle danken, der so gut auf mich aufpasst. Ich bin einfach nur dankbar für mein Leben, auch an regnerischen Scheißtagen", fügt er schmunzelnd hinzu. Diese Sicherheit manifestiert sich mitunter in den teils hervorragenden Songs seines neuen Studioalbums "Europa".

Ob es weitere 15 Jahre dauert bis Holly Johnson seine immer noch zahlreichen Fans mit neuen Electro-Pop-Hymnen begeistern wird, wagt er selbst nicht zu beantworten. Wenn dem aber so sein sollte, wird es sicher auf keinem großen Major-Label passieren, sondern in einer vertrauten Umgebung, die Johnson Geborgenheit und Kreativität verleiht. Schließlich ist es falsch, Bono zu sein.

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