"Krone"-Interview

Alice In Chains: “Die Band ist unser Lebenstraum”

Musik
29.07.2014 23:00
Pearl Jam, Soundgarden und Alice In Chains beweisen - der Grunge erfreut sich später Gesundheit und ungebrochener Beliebtheit. Vor ihrem Gig im Vorprogramm von Metallica in der Wiener Krieau haben wir uns die beiden bestens gelaunten Alice-In-Chains-Bandgründer Jerry Cantrell (Gitarre) und Sean Kinney (Schlagzeug) geschnappt, um mit ihnen über das sensationelle Comeback nach 14-jähriger Abwesenheit, die Probleme mit der Erwartungshaltung der Fans und die Eiseskälte in Seattle zu sprechen.
(Bild: kmm)

"Krone": Jerry, innerhalb eines Monats spielten jetzt mit euch, Soundgarden und Pearl Jam im Prinzip die komplette überlebende Riege der Grunge-Zeit in Österreich. Erlebt ihr alle so etwas wie ein großes Revival?
Jerry Cantrell: Na klar, wir haben jetzt genau 20 Jahre lang geplant, zur fast selben Zeit zu euch zu kommen. (lacht) Revival würde ich nicht sagen. Ich freue mich einfach, dass die Leute immer noch auf unsere Musik stehen – wir stehen ja auch darauf, noch live zu spielen. Ich meine, selbst Lynyrd Skynyrd spielen noch immer live. Das Ziel kann nur sein, die Musik zu schreiben, die du liebst, und damit zu touren. Wir können uns glücklich schätzen, dass das bei uns so gut funktioniert. Es ist nicht selbstverständlich, dass man durch solche harte Zeiten geht und noch ein zweites Karrierekapitel aufschlagen darf. Im Prinzip ist es total simpel – wir machen einfach, was uns Freude bereitet, und die Leute goutieren das.

"Krone": Ihr beide seid die letzten übriggebliebenen Gründungsmitglieder…
Cantrell: Ja, die Urväter. Wir lieben unsere grauen Perücken. Sean ist schon mit Holzzähnen ausgestattet. (lacht)
Sean Kinney: Korrekt, die habe ich mir aus einem Kirschbaum geschnitzt.

"Krone": Seid ihr nach mehr als 20 Jahren noch immer gleich motiviert und engagiert, zusammen Zeit zu verbringen und Songs zu schreiben?
Kinney: Es gibt wirklich keinen einzigen Grund, nicht mehr dieselbe Freude daran zu verspüren. Wir verdienen damit unser Geld und kommen an Plätze und Orte, worauf viele Menschen neidisch sind. Das klingt doch nach an einem ziemlich guten Job. Es gibt schon viele Bands, die nach außen hin die heile Welt projizieren und hinter den Kulissen nur mehr Hass verspüren oder sogar schon über Jahre nicht mehr miteinander gesprochen haben. Glücklicherweise blieb uns das immer erspart, wir haben seit jeher eine richtige Passion für unseren Job. Wir haben in unserer Karriere schon so viel erlebt und mitgemacht, dass wir uns auch nicht mehr zum Affen machen müssen.

"Krone": Ihr habt 2009 nach 14 Jahren Pause wieder ein Album veröffentlicht, mittlerweile gibt es mit "The Devil Put Dinosaurs Here" ein weiteres. In beiden steckt sehr viel Leidenschaft und Hingabe. Hättet ihr euch gedacht, dass ihr nach der langen Abwesenheit noch einmal so viel Erfolg haben werdet?
Cantrell: Du kannst niemals irgendetwas erwarten. Du kannst es nur so machen, wie du es für richtig hältst. Wir haben uns damals im Prinzip nur zusammengefunden, um ein bisschen zu jammen und Zeit miteinander zu verbringen, und das hat sich dann wie von selbst ins Schreiben neuer Musik übergeleitet. Wir merkten, dass uns das doch ziemlich gut gelingt. (lacht) Wir haben dann "Black Gives Way To Blue" veröffentlicht und den Leuten hat es zum Glück auch gefallen. Es gibt bei uns keine Botschaft oder auch kein Credo – schreib einfach deine Songs. Du weißt niemals, was passiert oder was dir als nächstes einfällt. Probiere einfach Sachen aus. Ich kann mir echt nicht vorstellen irgendetwas anderes zu machen, zumal ich nirgendwo anders etwas kann. (lacht)
Kinney: Es gab niemals einen Backup-Plan. Wir machen das zusammen jetzt seit mehr als 20 Jahren, was bedeutet, dass das Leben bei Alice In Chains eigentlich länger ist als unsere Leben zuvor ohne die Band. Für mich ist die Band eine Erfüllung eines Lebenstraums, den ich schon als Teenager hatte.
Cantrell: Dass wir niemals einen Plan B hatten, ist wohl auch der Grund, warum wir uns noch immer im Musikgeschäft abmühen. (lacht)

"Krone": Habt ihr anfangs keine Angst gehabt, dass euer neuer Sänger William DuVall von den Fans nicht akzeptiert werden würde? Die Fußstapfen des verstorbenen Layne Stayley waren ja unheimlich groß.
Cantrell: Sie haben ihn von Anfang an akzeptiert, das war wirklich der Wahnsinn. Musik ist für die Menschen etwas Besonderes, sie haben dazu oft eine unheimlich enge Bindung, die über das normale Hören hinausgeht. Es war anfangs auch für uns nicht so einfach, denn William ist eine komplett andere Persönlichkeit und das hat natürlich auch das interne Band- oder sagen wir Familiengefüge durcheinandergewirbelt. Aber solche Sachen dringen nicht nach draußen, die haben dort auch nichts verloren. Ich kann mich da aber selber nicht ausnehmen als Fan. Ich mag von meinen Lieblingsbands auch nicht alle Alben oder Phasen und kann mich darüber richtiggehend ärgern. Es ist nicht so, dass ich etwas gar nicht mag, aber du bevorzugst einfach eine bestimmte Periode.

Ich habe über die Jahre gelernt, wie die Menschen ticken. Viele haben ihre Ehefrau nach einem oder zehn Jahren nicht mehr, aber eine Band begleitet dich meist das ganze Leben lang. Aber am Ende des Tages geht es darum, etwas zu tun, das dich selbst glücklich macht. Wir haben nichts geplant. Zuerst war William in der Band, dann spielten wir Shows, plötzlich hatten wir ein Album – es passierte einfach ein Schritt nach dem anderen. Wir haben zum Glück sehr unterstützende Fans und man muss sie auch verstehen. Aber für uns ist es wichtig, nicht stehenzubleiben. Ich habe keine Lust, dieselben Alben wie 1991 aufzunehmen.
Kinney: Die Leute wollen dich einfach immer dort haben, wo sie dich gefunden haben. (lacht) Sie wollen nicht, dass du alterst, dir die Haare schneidest oder die Musik änderst. Aber würdest du dich immer im Kreis bewegen, dann wären sie im Endeffekt auch wieder nicht zufrieden. Sie entdecken dich an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben und wollen sich – so dieser Punkt ein positiver war – am liebsten immer in diesem Bereich aufhalten. Manche Menschen haben wirklich die Einbildung, wir sollten immer 22 Jahre alt sein und das gleiche verdammte Album aufnehmen. Das ist nun einmal nicht möglich, und damit müssen sie auch umgehen lernen.
Cantrell: Das Schöne ist aber, dass es bei unserem Publikum bei Konzerten eine großartige Durchmischung gibt. Außerdem ist es toll, dass sehr viele Kids zwischen 13 und 15 zu Alice-In-Chains-Shows kommen und die Band im Prinzip nur durch das neue Material kennen. Denen ist oft gar nicht bewusst, dass wir so altes Zeug in petto haben.
Kinney: Es gibt auch Leute, die mögen unsere heavy Rocksongs gar nicht, sondern stehen ausschließlich auf das akustische Material. Das ist doch verdammt noch mal großartig und bedeutet, dass wir einfach in allen Bereichen etwas richtig gemacht haben.

"Krone": Habt ihr beim Songschreiben jemals die Erwartungshaltung eurer Fans einbezogen?
Cantrell: Nicht eine Sekunde. Oder sagen wir – nicht direkt. Es kommt immer auf die Sichtweise an. Wir sind doch selbst riesengroße Fans von Musik. Led Zeppelin, The Beatles oder Pink Floyd – oh mein Gott, da komme ich schnell ins Schwärmen. Der Grund, warum wir Musik machen, sind eben diese Bands. In uns steckt immer noch der Fan und ich denke, wenn wir uns selbst zufriedenstellen können, dann vermögen wir das auch bei anderen Leuten zu schaffen. Du kannst das aber nicht planen oder voraussehen. Wir hatten auch schon Songs, die kamen uns wie richtige Kracher vor und für die Leute waren sie maximal okay. Dann haben wir in unseren Augen Durchschnittsmaterial abgeliefert und es wurde völlig abgefeiert. Natürlich freuen wir uns aber auch darüber.
Kinney: Rund 90 Prozent der Bands, die ich kenne, konzentrieren sich auf ein paar durchschlagskräftige Nummern und die restlichen acht Songs sind einfach nur Füller. Viele Fans mögen auch nicht unsere bekanntesten Lieder, sondern identifizieren sich und auch Teile ihres Lebens mit einem Albumtrack, der allgemein gar nicht so populär ist. Da geht es mir selbst nicht anders.

"Krone": Bei eurer Karriere und den vielen beliebten Songs muss das Wählen einer Konzert-Setlist ja die Hölle sein.
Can da kannst du unmöglich einen richtig schönen Querschnitt auswählen. Natürlich versuchen wir, die Songs zu wählen, die bei der breitesten Masse unserer Fans auf Anklang stoßen, und reichern sie mit ein paar echten Insider-Tracks an.
Kinney: Es kommt immer stark darauf an, wie viel Spielzeit dir zugestanden wird. Je länger, umso angenehmer ist klarerweise die Auswahl, und wir haben den Luxus, dass wir im Prinzip so gut wie alles spielen können, was wir jemals aufgenommen haben. Es scheint so, als ob die Menschen mit allen Songs leben könnten. Wenn du aber Songs schon tausendmal gespielt hast, musst du diese natürlich auch für dich selbst wieder spannender gestalten. Ich motiviere mich da ganz einfach. Ich denke mir immer, es könnte für den einen oder anderen im Publikum das allerletzte Mal sein, dass er diesen bestimmten Song von uns live sieht, deshalb muss ich auch mein Bestes geben. Eine Live-Situation unterscheidet sich ja beträchtlich von der Albumaufnahme, denn live ist der Fan ein wichtiger und direkter Teil der Band. Wir fühlen uns auch geehrt, noch immer vor so vielen Menschen spielen zu dürfen. Es ist unsere Pflicht, uns bestmöglich zu repräsentieren.

"Krone": Mit dem wiedergewonnenen Feuer im Hintern dürfen wir uns doch bestimmt weitere Alben von euch ausmalen?
Cantrell: Irgendwann einmal sicher. (lacht) Wir sind derzeit wirklich sehr stark auf das Livespielen fokussiert, haben Europa jetzt abgeschlossen und sind dann noch einige Zeit in Kanada und den USA unterwegs. Im Winter haben wir dann frei, kommen runter und werden schauen, dass wir mit frischer Motivation ins nächste Jahr starten können.
Kinney: Es ist nicht sonderlich lustig, im Winter zu touren, da können wir gleich zu Hause bleiben. (lacht)
Cantrell: Es ist in Seattle übrigens nicht so kalt und regnerisch, wie viele Leute vermuten. (lacht) Bassist Mike Inez und ich sind aber auch in L.A. zuhause – dort können wir uns versammeln, sollte uns die Kälte im hohen Norden zu viel werden.

"Krone": Abschließend – wo sind die größten Unterschiede beim Touren für euch zwischen heute und 1994?
Cantrell: Ich kann mich heute an wesentlich mehr erinnern. (lacht)
Kinney: Wir können uns wirklich an so gut wie alles erinnern, das ist fast schon beängstigend. Wenn ich Bilder oder Videos von uns sehe, weiß ich noch genau, wann und wo das war.

"Krone": Der gesündere Lebensstil hat also seine klaren Vorteile?
Cantrell: Du musst schon auf die Maschine aufpassen, nicht dass sie dir zusammenbricht. (lacht)

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