Das Attentat

Schüsse, die die Welt veränderten: “Sarajevo”

Kino
16.05.2014 13:24
Der Anschlag auf Franz Ferdinand hat die Welt verändert wie kaum ein anderes Ereignis der Geschichte: 70 Millionen Mann kämpften im Ersten Weltkrieg, 17 Millionen Menschen starben. Kurt Mündls Film "Sarajevo" (Kinostart: 22. Mai) zeigt dank revolutionierender Technik neue, authentische Bilder vom Thronfolger.

"Sopherl, Sopherl stirb nur nicht. Bleib mir für meine Kinder", ruft der Thronfolger verzweifelt. Obwohl selbst von einer Kugel unterm Kinn getroffen, denkt er nur an seine geliebte Frau, an seine Familie. Im Schock blickt Franz Ferdinand geistesabwesend wie versteinert auf die blutroten Fingerspitzen seiner feinen weißen Seidenhandschuhe. Was ist passiert? Wie um Himmels Willen geht es nun weiter?

Während dieser Todesgedanken färbt sich sein blauer Waffenrock rot. Sophie stirbt neben ihm im Auto. Zehn Minuten später ist auch der 51-jährige Habsburger verblutet - er und seine Frau Sophie sind die ersten Opfer des folgenden, grauenhaften Weltkrieges, in dem 17 Millionen Menschen aus 40 Ländern auf den Schlachtfeldern, in den Schützengräben oder auf der Flucht verbluten.

Obwohl er ein schlechter Schütze war, hatte Attentäter Gavrilo Princip (19) in Sarajevo zweimal gefeuert und zweimal tödlich getroffen: Franz Ferdinand am Hals und Sophie in die Bauchschlagader.

Ein fataler Augenblick
Und genau dieser Moment, dieser fatale Augenblick, der die Welt in einen apokalyptischen Abgrund stürzen sollte, hat auch Regisseur Kurt Mündl gepackt. Anhand von Originalaufnahmen wollte er die Szenen rund um das wohl folgenschwerste Attentat der Menschheit verfilmen, sprich die Bilder laufen lassen. "3D-Animation könnte man es nennen. Anhand historischer Fotos und Filme haben wir neue Aufnahmen erstellt", erklärt Mündel.

Kurzum: Dank innovativer Technik kann der Meister einen Film präsentieren, dessen Szenen die Welt noch nie gesehenen hat! Momente aus dem Leben und Sterben des Thronfolgers: geschichtstreu, authentisch und absolut unverfälscht. 

Dabei hatte dieser 28. Juni 1914 als sonniger Sonntag so vielversprechend begonnen. Ideal für eine Repräsentationsfahrt des Thronfolgers durch Sarajevo mit seiner motorisierten Equipage: sieben noble Cabrio-Karossen im Konvoi. Der Inbegriff neuer, moderner Technik in einer unruhigen Zeit. Sechs Jahre nach der Annexion durch die k.u.k-Monarchie sollten die Leute in Bosnien deutlich sehen, welchen Aufschwung, welch Wohlstand versprechende Zukunft ihnen die Habsburger bringen würden. Der Tross rollt vom Defensionslager langsam Richtung Rathaus. Entlang des Apple-Kais, Tausende säumen die Straßen und jubeln. Aber nicht alle...

Attentäter wollen "Tyrannen der Besatzungsmacht" töten
Denn auch eine Gruppe von knapp zehn jungen Schülern und Studenten, Mitglieder der Protestorganisation "Mlada Bosna" (Junges Bosnien), hat sich entlang der Route positioniert. Sie haben nur eines im Sinn: den Thronfolger, den "Tyrannen der Besatzungsmacht", zu töten.

Und sie lauern an den strategisch besten Plätzen. "Für heutige Begriffe völlig unverständlich, wurde ein genauer Zeitplan des Besucherprogrammes schon Tage zuvor in allen Zeitungen veröffentlicht", so Christian Ortner, Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien.

Die Burschen, die sich selbst für Revolutionäre halten, agieren wie Terroristen. Von der serbischen Geheimpolizei manipuliert und vom Verschwörungsring "Schwarze Hand" in Belgrad trainiert, stehen sie da. Mit Waffen, Bomben und Gift ausgestattet, zum Letzten bereit. Sie wollen sich als Märtyrer für ihr Land opfern. Deshalb auch das Zyankali. Nach dem Anschlag wollen sie Selbstmord begehen.

Um 10.25 Uhr ist es dann so weit: Der 20-jährige Nedeljko Cabrinovic schleudert eine Bombe - eine Art Handgranate - in Richtung des Thronfolgers! Doch er wirft ungenau. Die Höllenmaschine prallt vom Verdeck des Cabriolets ab. Erzherzog Franz Ferdinand kann den Sprengkörper sogar etwas ablenken und Chauffeur Leopold Loyka gibt Gas, um rasch aus der Gefahrenzone zu kommen. Sekunden später detoniert die Bombe: Oberstleutnant Graf von Merizzi und Graf Alexander von Boos-Waldeck im folgenden Wagen werden verletzt.

"Meine Herrschaften, fahren wir mit dem Programm fort"
Auch der Wagen des Thronfolgers, ein "Gräf-&-Stift-Phaeton" - laut griechischer Mythologie der "Sonnenwagen" - wird von sechs Schrapnellen getroffen. Doch das in Wien-Döbling gefertigte Automobil bleibt fahrtüchtig. "Das war irgendein Irrer. Meine Herrschaften, fahren wir mit dem Programm fort", soll Franz Ferdinand relativ unerschrocken, aber umso verärgerter angeordnet haben. 

Und so trifft der Habsburger Tross im Rathaus, dem Konak, ein. Unwirsch fällt die Begrüßung des Thronfolgers aus: "Das ist ja hübsch! Da kommt man zu Besuch in diese Stadt und man wird mit Bomben empfangen." Danach folgt eine Entscheidung, die wohl nur wenige verstehen, die aber ein weiterer Grund dafür war, weshalb  Universum-Regisseur Kurt Mündl darauf brannte, der Geschichte auf den Grund zu gehen und sie mit neuen Bildern versehen zu echtem Leben zu erwecken.

Allen Warnungen zum Trotz beschließt der 51-jährige Habsburger, durch die Stadt zurückzufahren, "um die verletzten Opfer des feigen Anschlags im Spital zu besuchen". Kein Abgang durch die Hintertür, um das Rathaus und Sarajevo in Sicherheit zu verlassen. Der Erzherzog will seine "Mission" erfüllen. Er hat Kaiser Franz Joseph versprochen, ihn zu vertreten. "Ein Knackpunkt der Geschichte! Franz Ferdinand hätte ja nicht erschossen werden müssen. Man legte ihm Evakuierungspläne vor. Doch er sagte Nein", so Mündl, "sein Ehrenkodex, sein Offiziersehrenwort hinderten ihn offenbar daran, still und heimlich zum Rückzug zu blasen."

Der letzte, blutige Akt
Nun beginnt der Tragödie letzter, blutiger Akt: Obwohl die Route von Offizieren geändert wurde, verabsäumten sie es, die Chauffeure darüber zu informieren. Grotesk: Sophie, die in Wien nicht einmal neben ihrem geliebten "Franzl"  dinieren  durfte und in der Oper eine eigene Loge zugewiesen bekam, sitzt nun, auf ihrem letzten Lebensweg, neben dem Thronfolger: ebenbürtig, aristokratisch - keine Spur von Zurückstellung. Hier in Bosnien gilt das gestrenge Wiener Hofzeremoniell eben nicht.

30 Minuten nach dem ersten Bombenanschlag fällt der Vorhang zur Schlussszene des Habsburger Dramas. Chauffeur Lojka biegt versehentlich erneut Richtung Apple-Kai ein. "Der fährt ja falsch! Reversieren", brüllt Gouverneur Oskar Potiorek, der eine Reihe hinterm Fahrer sitzt, noch. Zu spät! Ein Automobil anno 1914 kann nicht binnen Sekunden zurücksetzen. Es dauert: Einbringen, Vorzündung zurücknehmen, Handbremse ziehen, auskuppeln, vierten Gang herausnehmen, Stillstand abwarten, Retourgang - so das  zeitraubende Prozedere. 

Und genau in diesem Moment macht der serbischstämmige Bosnier Gavrilo Princip einen Schritt Richtung Weltgeschichte: Er, der im angrenzenden Kaffeehaus nach dem ersten, fehlgeschlagenen Anschlag schon an Selbstmord dachte, wird nun zum Todesschützen: Seine Schüsse sollten die Welt verändern...

Sophies Schicksalbrosche, ein mit Smaragden und Brillanten besetztes Schmuckstück in Form eines Automobils, wurde für sie zum apodiktischen Todesgeschenk. Doch die Brosche ist nur ein Detail aus einer Fülle neuer Bilder und Einblicke, die der Film bietet. Anita Hohenberg, Urenkelin der historischen Mordopfer, eröffnete dem Regisseur einen völlig neuen Zugang zur Lebensgeschichte ihrer Vorfahren.

"Als Schlossherrin von Artstetten, der Sommerresidenz Franz Ferdinands, machte sie mir eine wahre Schatztruhe auf. Sie präsentierte mir mit Packpapier und Rebschnur zusammengebundene Packerln: Originalgerichtsakte, seit 100 Jahren verschlossen - und mit noch nie gezeigten Fotos", strahlt Kurt Mündl.

Damit gelang es ihm, mit authentischen Rückblicken ein facettenreiches, umfassendes Porträt des Thronfolgers von dessen Kindheit über seinen manischen Jagdwahn (270.000 Abschüsse) bis zum tragischen Attentat zu zeichnen.

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