Uahhh – Spinnenangst

Rendezvous mit Sissi: Spinne hilft Angst bewältigen

Gesund
26.04.2010 12:17
Schon bevor das Spinnen-Seminar losgeht, das der Tiergarten Schönbrunn seit einigen Jahren Menschen mit Angst vor den Krabbeltieren anbietet, gibt es unter den neun Teilnehmerinnen nur ein Thema: Spinnen und ihre möglichst effiziente Beseitigung.

"Wenn ich eine an der Wand sehe, dann werde ich kreativ und hole einen Besenstiel und stecke einen großen Schuh drauf, um sie zu erwischen." Spinnen zu erschlagen, davor hat hier kaum jemand Hemmungen. Hauptsache, man vollbringt es möglichst weit weg vom Untier. Oder - noch besser - der Partner erledigt das. Auch der Staubsauger ist beliebt. Sogar die Flucht ins Hotel ist schon vorgekommen.

Die Angst vor Spinnen ist nicht rational und schon gar nichts, worüber man sich lustig macht. Ein wohlgemeintes Schulterklopfen und ein belächelndes "Die tut ja eh nichts" ist unangebracht. Wenn die Panik loslegt, dann läuft in uns ein uraltes Programm ab. Dem Steinzeitmenschen einprogrammiert, damit er nicht denkt, sondern flieht, kämpft oder stillhält. Je nach Gefahrenpotential. Es ist also etwas Gutes, dass die Herzfrequenz steigt, die Atmung schneller wird, die Verdauung sich einstellt und die Skelettmuskulatur stärker durchblutet wird. Bei Gefahr zählt jede Sekunde.

Ein typisches Frauenproblem?
Dass hier nur Frauen sind, sei Zufall, erklärt die Therapeutin und Klinische Psychologin Astrid Herbst. Meistens seien immer auch mindestens zwei Männer im Workshop gegen Spinnen-Angst mit dabei. Also kein Frauenproblem. Es ist mehr ein Wahrnehmungsproblem, welche Reize wir als Gefahr interpretieren. Spinnen sind als Gefahrenreiz geradezu prädestiniert. Wie zum Beispiel auch Schlangen. Ihr Körperbau ist fremd - siehe Infobox - sie haben kein Gesicht, keine Mimik. Phobien gegen Lämmer sind daher auch eher selten.

Im Seminar wird man sehr sanft an das Thema herangeführt. Die Tür steht weit offen. Wem es zu viel wird, der kann rausgehen, durchatmen. Mit Gedankenspielen geht es los. Eine itsybitsykleine Comic-Spinne an der Wand. Im Gedanken wird sie größer und immer größer gemacht. Und dann: angezogen. Jetzt trägt sie einen Bikini. Dann eine Latzhose. Jedes der acht Beine steckt in einem Hosenbein. Lustig und gar nicht schrecklich.

Spinnen sind ja auch nützliche Tiere. Ohne sie würde das Ökosystem ganz schön außer Kontrolle geraten. Sie fressen Insekten und dienen selbst als Nahrung.

Erst nach etwa zwei Stunden kommt erstmals eine "richtige", oder besser gesagt, das Foto einer Spinne ins Spiel. Riesengroß an die Wand gestrahlt. Nur ein Bild. Es kann angefasst, verdeckt, ja sogar gestreichelt und gekitzelt werden. Die südafrikanische Rain Spider ist, wenn man sie so groß und nah betrachtet, sogar ganz hübsch. Und ihr vorderer Teil, dort, wo die gruseligen Augen sitzen, erinnert ein wenig an ein Seehundbaby.

Rendezvous mit Sissi
Sissi – Vogelspinne und "Star" der Veranstaltung - macht ihren ersten Gastauftritt gegen Mittag. Desinteressiert und wie eine Diva sitzt sie in ihrem tragbaren Terrarium unter einem Stück Rinde. Wenn sie sich nicht bewegt, ist sie gar nicht so unheimlich. Wenn sie sich bewegt, schon. Die Konfrontation mit dem Angstobjekt gehört dazu. Anton "Toni" Weissenbacher, der Leiter des Aquarien-/Terrarienhauses im Tiergarten Schönbrunn, ist immer dabei und trägt sie dann sehr behutsam wieder raus.

Er ist es auch, der aufklärt, warum Spinnen ausgerechnet auf uns zulaufen, wenn sie vor uns am Boden sitzen. Aus Angst. Nicht, weil sie uns angreifen wollen. Wie sollen wir Riesen auch in ihr Beuteschema passen. "Die Spinne unterscheidet nur Hell und Dunkel", erklärt Toni. Im Dunkeln versteckt sie sich. Das bedeutet Sicherheit für sie – und auf einem hellen Boden sind wir der dunkelste Fleck in ihrer Nähe. Er gibt den Tipp, sich einen Spinnenfänger zu besorgen. Die "Spidercatcher" sind eine nette Art, die Tiere zu fangen und aus dem Haus zu bringen.

Angst dauert nicht ewig
Ein vierstündiges Seminar zum Thema Spinnen-Angst kann eine ausgewachsene Spinnen-Phobie freilich nicht heilen. Für Therapeutin Astrid Herbst ist aber allein die Teilnahme am Spinnen-Seminar der erste und wichtigste Schritt. Denn "Angst geht vorbei", erklärt sie. Genauso wie jedes andere Gefühl auch. Die erste Verliebtheit hält ja auch nicht an. An Angst stirbt man auch nicht. Ein Herzinfarkt ist ein physiologischer Grund. Mit Hilfe einer Therapie könne gelernt werden, besser mit der Angst umzugehen. Fast jede Phobie sei mit Geduld in den Griff zu bekommen.

"Durch in der Therapie gezielte und professionell geführte Exposition mit den angstauslösenden Objekt wird es mit neuen Assoziationen verknüpft, bekommt nach und nach eine neue Bedeutung, die automatische Angstreaktion wird verlernt", schreibt sie in ihrem Skript zum Seminar. "Ziel ist es aber nicht, dass jemand zum Schluss eine Spinne in die Hand nimmt", sagt sie. Wer mag, darf sich am Ende des Seminars mit Sissi, die aus dem Terrarium genommen wird, in einem Raum aufhalten, sich ihr nähern oder sie auch auf die Hand nehmen... Es gibt dabei keine Verlierer. Nur Gewinner. Denn jede Teilnehmerin nimmt viel Wissen mit nach Hause. Über Spinnen. Über Angst. Und besonders auch über sich selbst.

Fast 10% der Österreicher leiden an Spinnenangst. Sie setzen sich auf keine Parkbank, besuchen keine Schanigärten, wagen sich nicht alleine in Keller oder Dachböden und meiden selbst den eigenen Balkon oder Garten, obwohl es bei uns keinen Grund für diese Verhalten gibt. Von den 1.000 Spinnen-Arten in Österreich sind nur drei wenig giftig: die Wasserspinne, die Kreuzspinne und die Dornfingerspinne. Zu Bissen komme es nur, wenn sich das Tier bedroht fühlt. Die Symptome sind ähnlich wie jene eines Wespenstichs.

Termine – auch für Nachfolge-Workshops, in denen es um Hausspinnen/Kellerspinnen geht - und weitere Informationen gibt's auf der Website des Tiergartens Schönbrunn.

Die Idee, solche Seminare anzubieten, stammt aus dem Zoo in Zürich. Dort werden auch Angstseminare zum Thema Schlangen angeboten.

von Pamela Stolz, krone.at

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