"Liken" und "Sharen"

Pornoseiten kopieren Erfolgsrezept sozialer Netze

Web
19.03.2014 16:32
Zu den weltweit meistbesuchten Websites zählen heute Social-Media-Angebote wie Facebook, YouTube, Twitter und LinkedIn. Porno-Websites, früher ebenfalls in großer Zahl vorne mit dabei, verlieren langsam an Relevanz. Doch nun scheint die Pornoindustrie ein Rezept gefunden zu haben, um Boden gutzumachen: Sie setzt auf die gleichen Erfolgsrezepte wie soziale Netzwerke.

Auch wenn Porno-Websites im Netz nach wie vor eine große Rolle spielen - das Streaming-Portal "Pornhub" verzeichnete nach eigener Zählung alleine 2013 14,7 Milliarden Besucher -, verlieren klassische Schmuddelseiten im Aufmerksamkeitskrieg mit sozialen Netzwerken doch langsam an Bedeutung. Wie die britische Zeitung "Guardian" berichtet, bläst die Onlineporno-Szene nun allerdings zum Gegenangriff - mit Schmuddel-Websites, die Erfolgsrezepte sozialer Netzwerke aufgreifen und an die Erfordernisse der Szene anpassen.

So verschwimmen die Grenzen zwischen sozialen Medien und Pornoseiten zunehmend. Einschlägige Websites wie "Fuckbook", "Pornstagram" oder "PornTube" läuten eine Revolution der Online-Pornos ein, machen die Schmuddelseiten zunehmend "sozial". "Liken", "Sharen", Kommentieren und Uploaden sind zentraler Bestandteil dieser neuen sozialen Sexseiten.

Spanier entdeckte soziale Pornos als Geschäftsmodell
Im Zentrum des neuen Booms bei sozialen Pornoseiten steht das Bedürfnis der Internetnutzer, Inhalte zu teilen – und zwar auch pornografische. Als Twitter vergangenes Jahr mit seinem Videodienst Vine online ging, dauerte es nur wenige Tage, bis die ersten Kurzpornos auf der Plattform die Runde machten. Und auch Facebook und Twitter sind immer wieder gezwungen, eindeutiges Material von ihren Servern zu löschen.

Der spanische Unternehmer Christian Thorn hat daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. "Wenn die Leute dieses Zeug in soziale Medien hochladen, dann wollen sie eine Seite, die ihnen das erlaubt", so Thorn. Er hat so eine Seite erstellt und ist vergangenes Jahr mit dem pornografischen Pinterest-Klon "Pinsex" online gegangen. Wie beim Vorbild handelt es sich auch bei Thorns Website um einen Dienst, mit dem Nutzer Fotos teilen können, die ihnen gefallen. Während bei Pinterest jedoch üblicherweise keine Sexbilder in den Sammlungen der Nutzer auftauchen, gibt's beim Porno-Pendant nichts anderes. Der Erfolg gibt Thorn recht: Im ersten Jahr haben sich bei seinem Dienst 50.000 Nutzer angemeldet, rund 300.000 Mal wird die Website mittlerweile täglich aufgerufen.

"Pinsex"-User diskutieren, teilen und "liken" aktiv
Dem Bericht zufolge werden die sozialen Funktionen der Website intensiv genutzt. Am Beispiel eines Oben-ohne-Fotos wird die Funktionsweise des Dienstes sichtbar. Das Foto eines Uploaders namens Nick wurde nach dem Upload von 124 Nutzern "repinned" und von 382 Nutzern "geliked". Unter dem Foto finden sich Kommentare - großteils nicht zitierfähig, vereinzelt aber auch voll des Lobes. "Besser geht's kaum", schreibt ein Nutzer unter das Foto. Eine Nutzerin schlägt Nick vor, ihm zu folgen, wenn er im Gegenzug auch ihr folgt. Pornografie ist hier Gesprächsstoff. Der Kitt, der die Nutzer der Website zusammenhält.

Das Interesse an sozialen Pornoseiten führt Thorn auf den generellen Trend zum "Liken" und "Sharen" zurück. "Vor ein paar Jahren noch hätte niemand vorhergesagt, dass die Leute Fotos von ihrem Essen machen und sie auf Facebook posten", sagt er. Zigtausende Essensfotos, sogenannter "Food Porn", die täglich auf Facebook landen, beweisen heute das Gegenteil.

Wissenschaftler analysieren neue und alte Porno-Trends
Der Trend zu sozialen Pornoseiten ist auch an der Wissenschaft nicht vorübergegangen. Weltweit befassen sich Forscher mit dem Thema. "Traditionell wurde Pornografie von Menschen alleine 'benutzt', 'konsumiert', oder wie auch immer man es nennen will", erklärt der Soziologe Simon Lindgren von der schwedischen Umea-Universität. Heute handle es sich bei den Konsumenten von Online-Pornos hingegen um eine interaktive und kreative Gruppe kritischer Geister, wie es der Fachmann formuliert. "Isolierte masturbierende Einzelgänger" seien nicht länger die dominierende Gruppe auf Schmuddelseiten.

Der Medienwissenschaftler Sharif Mowlabocus von der britischen Universität Sussex hält den sozialen Charakter mancher neuer Pornoseiten gar nicht für eine Neuheit und verweist auf historische Beispiele für sozialen Pornokonsum. So sei es in den Zwanziger- und Dreißigerjahren durchaus üblich gewesen, sich in der Gruppe Audioaufnahmen von kopulierenden Menschen zu Gemüte zu führen. Und in den Vierzigern sei es gängige Praxis gewesen, Sexkinos zu besuchen. "Es war verborgen, aber es war auch sozial", sagt Mowlabocus. Erst mit dem Aufkommen der Videokassette in den Achtzigern verschwand soziale Pornografie aus dem Alltag – mit Ausnahme mancher Communities, etwa der Homosexuellen- und der SM-Szene.

Demokratisierungsprozess durch soziale Pornos?
Mit dem Aufkommen sozialer Porno-Websites im Netz könnte Pornografie nun auch in der Gesamtbevölkerung wieder zum Thema werden. Manche Forscher sprechen gar von einem Demokratisierungsprozess, der durch die Websites ausgelöst wird. Die Online-Pornolandschaft könnte durch neue soziale Angebote repräsentativer für das Sexleben der breiten Masse werden, glaubt etwa die Medienwissenschaftlerin Susanna Paasonen von der finnischen Turku-Universität. Schon jetzt beobachtet die Forscherin eine zunehmende Vielfalt im Bereich der Online-Pornos. Zumindest, was die "Genres" angeht.

Die Zuschauerschar hingegen ist bei sozialen Pornoseiten meist die gleiche wie bei konventionellen Schmuddelseiten. Auf Thorns Website "Pinsex" etwa sind 80 Prozent der Nutzer männlich, Frauen sind klar in der Unterzahl. Ein Zustand, mit dem sich der "Pinsex"-Erfinder nicht zufriedengeben will. "Wir wollen ein Service für jedermann sein, weil wir ein Service sind, der von den Nutzern erschaffen wird. Früher hätten die Leute gesagt: 'Aber Frauen mögen keine Pornos.' Aber wir sehen mittlerweile, dass das nicht zwangsläufig stimmt", so Thorn.

Forscher erwartet soziale, aber anonyme Pornografie
Dass sich auf "Pinsex" eine florierende Community bildet, die - analog zu "normalen" sozialen Netzwerken wie Facebook - mit echtem Namen und Profilbild postet, ist allerdings trotz Thorns Wunsch unwahrscheinlich. Medienwissenschaftler Mowlabocus: "Es wird interessant zu sehen, ob diese Netzwerke 'durchsickern' und die Nutzer sich über ihre persönlichen E-Mail-Adressen verbinden." Für allzu realistisch hält der Experte das nicht. Wahrscheinlicher sei, dass Pornografie im Netz künftig zwar sozial, aber dennoch unter dem Deckmantel der Anonymität stattfinden werde. Zwar hatten Pornos stets eine soziale Dimension, diese Dimension war aber immer schwer reglementiert.

Dass künftig "Likes" oder "Shares" zu Pornoseiten im nicht-pornografischen Social Web auftauchen, hält der Experte deshalb ebenfalls für unwahrscheinlich. "Letzten Endes wird es, wenn Sie an die Menschen denken, mit denen Sie auf Facebook verbunden sind, eine Menge Leute geben, mit denen Sie ihre sexuellen Wünsche nicht teilen möchten", sagt Mowlabocus. Und auch das ist nichts Neues: Die Pornokino-Besucher der Zwanziger und Dreißiger "haben ihren Bossen und Eltern auch nichts davon erzählt", so der Wissenschaftler.

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