Retro-Abenteuer

“Pillars of Eternity”: Rollenspiel-Hit im Test

Spiele
16.04.2015 10:14
Man kann von Crowdfunding-Projekten halten, was man will, aber zumindest in den Spielemarkt bringt die Vorabfinanzierung von Projekten durch die Community frischen Wind. Sie ermöglicht Games, die große Konzerne wegen ungewisser Erfolgsaussichten nicht finanzieren würden. Ein solches Projekt ist das kürzlich erschienene "Pillars of Eternity", eine Art schwarmfinanzierter Nachfolger für klassische Rollenspiele à la "Baldur's Gate" und "Icewind Dale". Was von dem Retro-Rollenspiel zu halten ist, hat krone.at getestet.

Wer zur Jahrtausendwende gerne Rollenspiele gespielt hat, wird sich an die großartigen Werke von Bioware und Black Isle erinnern: "Baldur's Gate", "Planescape Torment" und "Icewind Dale" galten als Rollenspiel-Referenz und zogen mit ihren packenden Geschichten, liebenswürdigen Charakteren und taktisch fordernden Kämpfen Millionen Spieler in ihren Bann. Erzählt wurden die Geschichten damals in isometrischer 2D-Grafik mit Textboxen, gekämpft wurde nach "Dungeons & Dragons"-Regelwerk.

"Pillars of Eternity" knüpft an diese Tradition an, verzichtet auf spektakuläre 3D-Grafik und filmreife Inszenierung und setzt stattdessen auf die alten Tugenden des Genres. Es ist eine Art Anti-"Dragon Age" geworden: ein Werk ohne 3D-Bombast, das die erzählte Geschichte und die Welt, in der sie spielt, in den Vordergrund rückt und sich spielerisch nicht an die breite Gamer-Masse, sondern explizit an Genre-Fans richtet.

Epische Handlung, lebendige Spielwelt
Aber der Reihe nach, zunächst zur Handlung: Die spielt im mittelalterlich angehauchten Fantasy-Reich Eora, einer Welt voller Magie und einem ständigen Kreislauf der Wiedergeburt. Jede Seele, so der Glaube der Bewohner Eoras, wird nach dem Ableben in einem neuen Körper wiedergeboren – ohne dass sie sich an ihr früheres Leben erinnern könnte. Beim Protagonisten, den der Spieler steuert, ist das eigentlich auch so – bis er in einen magischen Sturm gerät und plötzlich die Seelen Fremder lesen kann.

Die Suche nach dem Grund für die Wandlung führt den Protagonisten quer durch Eora, wo er nebenbei noch einer anderen mysteriösen Plage auf den Grund gehen muss: Hohlgeburten, also ohne Seele geborene Kinder, die von einem eigenen – moralisch fragwürdigen – Berufsstand, den Beseelern, mit den Essenzen anderer Lebewesen erfüllt werden. Dass das nicht immer gut ausgeht, versteht sich von selbst.

Und dass die Spurensuche vorbei an unzähligen Nebenquests und Charakteren führt, die alle einen kleinen Teil zur insgesamt sehr gelungenen Atmosphäre der Spielwelt beitragen, sowieso. Erfreulich: Die Spielzeit in die Länge ziehende Sammel-Quests im MMO-Stil, wie sie uns zuletzt in "Dragon Age: Inquisition" gestört haben, sind in "Pillars of Eternity" eine Randerscheinung.

Toll geschriebene Dialoge, viele Möglichkeiten
Erzählt wird all das in ausufernden Dialogen mit den unzähligen NPCs im Spiel, den Begleitern des Helden und in Textbeschreibungen der Umgebung. Das klingt zunächst vielleicht etwas mühsam, die Texte von "Pillars of Eternity" sind aber so gut geschrieben, dass sie nicht langweilig werden. Spätestens nach der ersten Begegnung mit einem auf Wienerisch fluchenden Elfenmagier haben wir uns in den Erzählstil von "Pillars of Eternity" verliebt.

Die vielfältigen Antwortmöglichkeiten, mit denen man dem eigenen Helden in den Dialogen Charakter verleiht, machen sich in der Erzählung ebenfalls sehr gut. Und dass sich die Welt im Spielverlauf verändert, der Spieler nach einer Weile sogar seine eigene Festung samt Mega-Dungeon im Keller beziehen darf, steht dem Game ebenfalls gut zu Gesicht.

Klassisches Gameplay à la "Baldur's Gate"
Spielerisch orientiert sich "Pillars of Eternity" stark an den Vorbildern der "Baldur's Gate"- und "Icewind Dale"-Serie. Zu Spielbeginn wird mit einem mächtigen Baukasten der Charakter des Spielers erstellt, im Spielverlauf gesellen sich zahlreiche witzige Begleiter dazu, die schließlich eine sechsköpfige Party formen, immer mehr übereinander erfahren und – im Fall der Begleiter – sich mitunter auch aktiv in das Tun des Helden einmischen.

Schön: Entscheidungen, die der Spieler während seiner Reise trifft, beeinflussen den weiteren Handlungsverlauf. Wer Streit sucht und über Leichen geht, wird mit der Zeit gefürchtet. Wer gnädig ist, wird mitunter belohnt – oder steht einem Kontrahenten, den er ziehen ließ, später wieder gegenüber.

Umfangreicher Charakter-Baukasten
Bei der Zusammenstellung seiner Heldengruppe hat der Spieler große Freiheit: Es gibt sechs spielbare Rassen – Menschen, die blauhäutigen Aumaua, Zwerge, Elfen, die winzigen Orlan und Halbgötter, die verschiedenen Elementen zugeordnet werden können. Elf verschiedene Heldenklassen gibt es ebenfalls: Klassiker wie Barbaren, Magier, Priester oder Bogenschützen ebenso wie exotischere, etwa Druiden, Barden oder Mönche.

Genretypisch verteilt der Spieler Attributs- und Fähigkeitspunkte an seine Truppe, bestimmt also, welche Spielweise ihr am ehesten liegt. Damit es für Einsteiger nicht gar zu komplex wird, bietet "Pillars of Eternity" in den Menüs zur Charakterentwicklung dankenswerterweise Hinweise, welche Attribute zu welcher Klasse passen, an. Dass jedes Gruppenmitglied nach eigenem Gutdünken bewaffnet und ausgerüstet werden darf und magiebegabte Charaktere mit allerlei Zaubersprüchen um sich werfen, versteht sich von selbst.

Klassisches Kampfsystem mit sinnvollen Neuerungen
Das Kampfsystem von "Pillars of Eternity" erinnert stark an das pausierbare Gameplay von "Baldur's Gate". Die Truppe des Spielers und ihre Gegner treffen in Echtzeit aufeinander und nutzen im Sekundentakt Fähigkeiten, der Kampf darf aber jederzeit unterbrochen werden, um Befehle zu verteilen und den nächsten Schachzug zu planen.

Wer lieber ohne Unterbrechungen kämpft, kann das Kampftempo so weit drosseln, dass seine Truppe auch ohne Pause gut befehligt werden kann. Bei Reisen durch die Spielwelt wird das Tempo dagegen erhöht, damit lange Wege schneller zurückgelegt werden können. Beides sehr praktische Features, die sich Genre-Fans vielfach auch bei den klassischen Vorläufern von "Pillars of Eternity" schon gewünscht hätten.

Für taktische Tiefe sorgt die Notwendigkeit von Ruhepausen, in denen die Charaktere Lebenspunkte regenerieren und ihre magischen Kräfte auffüllen. Magier beispielsweise dürfen zwischen zwei Ruhephasen immer nur eine bestimmte Anzahl Zaubersprüche verwenden. Vergisst man, sie vor wichtigen Kämpfen ruhen zu lassen, stehen womöglich die mächtigsten Zauber gerade dann nicht zur Verfügung, wenn man sie am dringendsten braucht.

Für jeden Spieler der richtige Härtegrad
Scheitert ein Kampf, kann das – je nach (jederzeit änderbarem) Schwierigkeitsgrad – ganz schön herbe Auswirkungen haben. Wer mag, kann Obsidians Retro-RPG im Permadeath-Modus bestreiten. Stirbt der Charakter in diesem Modus, muss man von vorne anfangen. Für Einsteiger stehen freilich auch zugänglichere Schwierigkeitsstufen zur Verfügung – ideal, wenn man sich in erster Linie der spannenden Story zuwenden will und weniger Wert auf allzu fordernde Kämpfe legt.

2D-Grafik mit schönen Texturen und Effekten
Grafisch erinnert "Pillars of Eternity" ebenso stark an seine großen Vorbilder wie spielerisch – sogar die Menüs sehen aus wie in den RPG-Klassikern von Bioware und Black Isle. Hässlich ist das Game deshalb nicht geworden: Die optische Aufmachung der Klassiker wurde behutsam in die Gegenwart übertragen, Texturen sind zeitgemäß scharf, Animationen schön flüssig.

Opulente 3D-Welten wie etwa zuletzt in "Dragon Age: Inquisition" sollte man sich von "Pillars of Eternity" zwar nicht erwarten, die Kombination aus isometrischen, in einzelne Abschnitte unterteilten 2D-Welten voller Details, hübschen Animationen und zeitgemäßen Licht-, Wasser- und Zaubereffekten entfaltet aber trotz moderater Hardwareanforderungen ein insgesamt stimmiges Gesamtbild. Zumal die Vielfalt stimmt: Üppige Wälder durchschreitet der Spieler auf seiner Reise ebenso wie beklemmende Katakomben oder prächtige Städte.

Gut vertont, vereinzelt kleine Übersetzungsfehler
Beim Sound haben sich die Entwickler ebenfalls gut geschlagen: Die nur in englischer Sprache und nicht flächendeckend verfügbare Sprachausgabe erfreut mit bemühten und gut gewählten Sprechern, die den Charakteren sogar verschiedene Dialekte einhauchen. In der deutschen Version sind die Dialog- und Beschreibungstexte allesamt eingedeutscht, wobeisie episch in den Vordergrund – grundsolide und absolut passend für ein Rollenspiel. Die Soundeffekte – Waffen- und Umgebungsgeräusche – wirken realistisch.

Schade, gerade für all jene, die gerne gemeinsam mit Freunden Abenteuer erleben: Einen Mehrspielermodus hat "Pillars of Eternity" nicht, angesichts der packenden Einzelspieler-Erfahrung sei dem Game dieser kleine Schönheitsfehler aber verziehen.

Fazit: Mit "Pillars of Eternity" hat Obsidian bewiesen, dass das Studio weit mehr als nur Auftragsarbeiten wie zuletzt das sehr gute "South Park: Der Stab der Wahrheit" kann. Das Retro-RPG überzeugt mit einer packenden und toll erzählten Handlung, liebenswerten Charakteren, einem genau an den richtigen Stellen überarbeiteten, pausierbaren Kampfsystem und stimmiger Optik. Wer Games à la "Baldur's Gate" gern hatte, findet in "Pillars of Eternity" einen würdigen Nachfolger, wer derlei Kost bislang nur aus den Erzählungen gealterter Genre-Fans kennt, hat dank des neuen Obsidian-Games nun Gelegenheit, klassisches Rollenspiel-Gameplay im zeitgemäßen Gewand zu erleben.

Plattform: PC (Windows, Linux, MacOS)
Publisher: Paradox Interactive
krone.at-Wertung: 9/10

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