Minister belauscht

Nach Twitter auch YouTube in der Türkei blockiert

Web
27.03.2014 17:00
Nach der vorübergehenden Blockade des Internetdienstes Twitter in der Türkei hat die Regierung nun - kurz vor den Kommunalwahlen am Sonntag - die Videoplattform YouTube gesperrt. Die Telekombehörde TIB teilte am Donnerstag mit, es handle sich um eine "administrative Maßnahme". Hintergrund der Aktion ist offenbar ist ein belauschtes Telefongespräch von Außenminister Ahmet Davutoglu (Bild).

Erst am Mittwoch hatte das Verwaltungsgericht von Ankara die Aufhebung der landesweiten Twitter-Sperre angeordnet. Die Regierung kündigte daraufhin an, das Urteil werde umgesetzt. Kritiker erklärten, Premier Recep Tayyip Erdogan habe mit der Sperre seine Gegner mundtot machen wollen.

Mögliche Militärintervention in Syrien besprochen?
Unmittelbar nach der Bekanntgabe der YouTube-Blockade wurde auf Twitter heftig über die Gründe spekuliert. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte zuvor von einem Mitschnitt eines angeblich belauschten Telefongesprächs von Außenminister Davutoglu berichtet, dass auf die Website gestellt wurde. Darin soll dieser mit führenden Mitgliedern der Armee über Möglichkeiten einer massiven Militärintervention in Syrien gesprochen haben. Davutoglu hatte zuvor in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP ein Vorgehen gegen die Islamistengruppe ISIL in Syrien angedroht.

Ministerium: Mitschnitt wurde teilweise manipuliert
Das türkische Außenministerium bestätigte am Donnerstag nach der Bekanntgabe der YouTube-Sperre die Echtheit des Mitschnitts, bekundete aber, er sei teilweise manipuliert worden. Es handle sich um eine "fürchterliche Attacke" auf die nationale Sicherheit der Türkei, und die Verantwortlichen würden bestraft werden. Laut der Tageszeitung "Zaman" bestritt ein Berater von Präsident Abdullah Gül, dass es wegen des angeblichen Telefonats ein eilig einberufenes Treffen des Nationalen Sicherheitsrates gegeben habe.

Davutoglu selbst kritisierte die Veröffentlichung abgehörter Beratungen über Wege zu einem Militäreinsatz in Syrien ungewöhnlich scharf. "Das ist eine Kriegserklärung an die Türkische Republik", zitierte die Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi den Minister. Die Täter würden mit den härtesten Strafen belegt, sollten sie gefasst werden.

EU-Kommissarin Kroes kritisiert YouTube-Blockade
Die für digitale Medien zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes hat die von der türkischen Regierung verhängte YouTube-Blockade scharf kritisiert. "Das ist ein weiterer verzweifelter und deprimierender Zug in der Türkei", schreib Kroes am Donnerstag auf "Twitter". "Wir in Europa stehen für ein offenes Internet und freier Meinungsäußerung darin." Kroes drückte ihre Unterstützung für "alle Anhänger von wirklicher Freiheit und Demokratie aus".

Erdogan soll Baykal-Sexvideo in Auftrag gegeben haben
Indes berichtete "Spiegel Online" am Donnerstag, dass ein Sexvideo, das den türkischen Oppositionschef Deniz Baykal 2010 zu Fall brachte, von Erdogan in Auftrag gegeben worden sein soll. Demnach sollen anonyme Kritiker der türkischen Regierung heimlich mitgeschnittene Gespräche auf YouTube hochgeladen haben, die dies nahelegen. In dem Video war Baykal in einer ehebrecherischen Situation mit einer Abgeordneten zu sehen. Nach der Veröffentlichung des Films musste der damalige Chef der Republikanischen Volkspartei (CHP) zurücktreten.

Baykal hatte seinem Erzrivalen Erdogan schon damals vorgeworfen, ein "Komplott" gegen ihn eingefädelt zu haben. Erdogan wies das zurück. Manche Beobachter mutmaßten auch, innerparteiliche Gegner hätten das Video lanciert, weil die sich sozialdemokratisch nennende CHP unter Baykal erstarrt war, geprägt von nationalistischen, antieuropäischen Parolen.

"Sehr unanständige Dinge - da müssen wir eingreifen"
In dem nun aufgetauchten Gesprächsmitschnitt ist angeblich zu hören, wie Erdogan Anordnungen gibt, Baykal bei einem Treffen mit seiner Geliebten zu filmen und das bloßstellende Material zu veröffentlichen. "Leider geschehen hier sehr unanständige und unmoralische Dinge - da müssen wir eingreifen", sagt die Stimme, die Erdogan zugeschrieben wird. An einer anderen Stelle fragt die Stimme: "Wir haben solche Sachen in der Hand. Wenn ich es euch gebe, wie würdet ihr es anstellen? Stellt ihr das ins Internet?"

Veröffentlicht wurden diese Gespräche am Mittwochabend von einer Gruppe, die sich DLMHACK nennt, das D geformt aus Hammer und Sichel. Die Gruppe behauptet, diese Mitschnitte von einem gehackten E-Mail-Konto eines Beraters von Erdogan bekommen zu haben. Die Gespräche seien also von Vertrauten des Premierministers selbst erstellt worden.

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