Meinungsmache im Web

Konzerne und ÖVP tricksten mit gekauften Postings

Web
06.11.2014 11:09
Die öffentliche Meinung über österreichische Banken, Parteien, Firmen und staatsnahe Betriebe wird im Internet im großen Stil von – offenbar teils mit Steuergeld bezahlten – Posting-Söldnern manipuliert, die für eine große Wiener PR-Agentur arbeiten. Wie aufgedeckt wurde, sollen sie in den vergangenen Jahren unter gefälschten Identitäten hunderttausendfach in Foren und sozialen Medien Lobhudelei für ihre Auftraggeber betrieben haben.

Man sollte nicht alles für bare Münze nehmen, was in Internetforen und sozialen Medien als Privatmeinung verkauft wird – es könnte sich nämlich um die gekauften Auftragsarbeiten der Wiener PR-Agentur Modern Mind Marketing handeln, berichtet das Monatsmagazin "Datum" unter Berufung auf Insider.

"Online-Reputationsmanagement"
Gegen Bares will die Agentur im Sinne ihrer Kunden "Online-Reputationsmanagement" betreiben. Eine harmlos wirkende Umschreibung für die massive Manipulation der öffentlichen Meinung im Netz. Besonders pikant: Zu den Kunden zählen neben der Bank Austria, dem Pharma-Riesen Bayer und den österreichischen Lotterien auch staatsnahe Betriebe wie ÖBB und Postbus, die ehemalige Mobilkom Austria und sogar politische Parteien wie die Wiener ÖVP. Es liegt also nahe, dass die Berufs-Poster von Modern Mind Marketing zumindest zum Teil mit Steuergeld bezahlt wurden.

PR-Hilfe bei Online-Banking-Skandal
Genutzt wurden die Dienste der Agentur immer dann, wenn bei einem Kunden Wogen zu glätten waren. Die Bank Austria soll die Dienste von Modern Mind Marketing – auch unter dem Namen "Mhoch3" bekannt – etwa im Herbst 2012 in Anspruch genommen haben, als die Bank von Problemen mit ihren Online-Banking-Servern gebeutelt wurde und Kunden im Netz ihren Unmut äußerten.

Um die Wogen zu glätten, verbreiteten Mitarbeiter der PR-Agentur im Netz Postings à la "Solche Sachen können passieren!". Die Bank Austria hat die Zusammenarbeit mit "Mhoch3" bestätigt, angesichts des nun aufgedeckten Posting-Skandals aber auf Eis gelegt.

ÖVP soll Hahn-Lobhudelei bestellt haben
Der ehemalige Wissenschaftsminister und jetzige EU-Kommissar Johannes Hahn und die Wiener ÖVP sollen die Dienste der Agentur ebenfalls in Anspruch genommen haben. Konkret sollen Posting-Söldner die Meinung zu den Studentenprotesten im Jahr 2009 manipuliert haben. Das Resultat waren Postings wie dieses: "Ich finde es toll, dass Hahn, obwohl er selber anscheinend nicht so protestieren würde, doch Verständnis für die Proteste und die Besetzung hat."

Obwohl dem Magazin Verträge, Berichte und Postings vorliegen sollen, bestreiten die Wiener ÖVP und "Mhoch3" die Existenz einer Pro-Hahn-Kampagne. Wiens ÖVP-Chef Manfred Juraczka zur "Krone": "Die Wiener ÖVP hat letztmalig mit dieser Agentur vor sechs Jahren zusammengearbeitet. Im Rahmen des Gesamtauftrags wurden offenbar auch diese Postings verschickt. Außerdem erscheint mir das ohnehin seltsam, wenn jemand annimmt, mit einigen Postings eine vorherrschende Meinung im Web umdrehen zu können."

Neben Parteien und Banken sollen auch ÖBB und Postbus zu den Kunden von "Mhoch3" zählen. Die ÖBB sollen von 2007 bis 2011 mit der Agentur zusammengearbeitet und zahlreiche Jubelpostings gekauft haben, die noch heute im Netz herumgeistern. Die ÖBB bestätigte die Zusammenarbeit, nennt sie jedoch gegenüber dem Magazin einen "Schatten der Vergangenheit".

Schwere Vorwürfe gegen "Mhoch3"
Die bezahlten Propaganda-Postings, die nicht als solche gekennzeichnet wurden, haben der verantwortlichen Agentur viel Kritik eingebracht. Renate Skoff vom PR-Ethikrat gibt an, dass man diese Praxis "eindeutig verurteilt", der Medienanwalt Thomas Höhne hält das Vorgehen sogar für "wettbewerbswidrig".

Martin Kirchbaumer, der Geschäftsführer von "Mhoch3", ist hingegen davon überzeugt, dass alles korrekt abgelaufen ist. Er gibt gegenüber dem Magazin zu, dass seine Agentur Posting-Söldner beschäftigt, welche die öffentliche Meinung im Netz im Sinne ihrer Auftraggeber manipulieren, nennt diese Berufs-Poster selbst aber "Online-Journalisten". Dem Kunden Bank Austria gegenüber bezeichnete man sie offenbar als "Blogger".

Dass sie im Auftrag von Unternehmen agieren, verschweige man laut Kirchbaumer, "weil einem Firmenvertreter nichts geglaubt wird". Eine Antwort auf die Frage, was bezahlte Propaganda-Postings mit objektivem Online-Journalismus zu tun haben, bleibt er schuldig.

Bezahlte Postings sind auf krone.at verboten
Übrigens: Die Postings auf krone.at unterliegen strengen Richtlinien und werden von einer eigens geschulten "Forenpolizei" überwacht. Sie trägt dafür Sorge, dass Spam-Postings gelöscht und die Forenregeln eingehalten werden. Eine dieser Regeln: Jegliche gewerbliche Nutzung der krone.at-Kommentarfunktion ist untersagt, also auch die bezahlte Meinungsmache durch PR-Agenturen.

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