Finanzbranche 2.0

Bieten Internetgiganten bald auch Bankdienste an?

Wirtschaft
18.06.2014 11:47
Für die Banken sieht es aus wie eine sanfte Woge am Horizont. Aber Matthias Kröner ist sich sicher: Technologieriesen wie Google und kleine Start-ups wie seine Internetbank Fidor werden Umwälzungen auslösen, die wie ein Tsunami über die Finanzbranche hereinbrechen. "Der geht zuerst als kleine Welle über das Meer", sagt der Fidor-Chef. "Aber wenn er auf Land trifft, dann wird es furchtbar."

Kröner zählt zu den Pionieren des Online-Bankings in Deutschland. Von 1993 bis 2002 hat er die Direktbank DAB aufgebaut, dann widmete er sich Fidor. Nach der Finanzkrise hätten die meisten Institute so getan, als wäre nichts passiert, sagt Kröner. "Bei uns reifte die Erkenntnis: Ein neues Banking muss her."

Überweisungen an E-Mail-Adressen und Handynummern
Bei Fidor werden Kunden deshalb nicht in Filialen beraten, sondern diskutieren online über die beste Anlagestrategie. Außerdem leihen sie sich gegenseitig Geld ("Social Lending") oder finanzieren Projekte ("Crowdfunding").

Fidor-Kunden können mit ihrer Bankkarte ganz traditionell Geld am Automaten abheben. Sie können es aber auch an E-Mail-Adressen oder Handynummern verschicken - der Betrag wird dann auf dem Fidor-Konto des Empfängers gutgeschrieben.

Banken reagieren oft spät auf neue Mitbewerber
Die etablierten Banken reagierten auf neue Ideen immer gleich, hat Kröner beobachtet. "Ignorieren, schlecht reden, kopieren. Das war 1994 schon so, als wir die DAB Bank auf den Markt gebracht haben." Heute haben Online-Broker wie DAB, Comdirect und ING-DiBa in Deutschland Millionen von Kunden und setzen den alteingesessenen Geldhäusern schwer zu. Die Beratungsfirma Accenture schätzt, dass Banken bis 2020 weltweit mehr als 30 Prozent ihrer Erträge an neue Wettbewerber verlieren könnten.

Experten und Bankmanager zerbrechen sich deshalb den Kopf, wie die nächste Angriffswelle aussehen wird. Welche Geschäftsfelder attackieren branchenfremde Anbieter in den kommenden Jahren? Bieten sie künftig auch Kredite an oder bringen Unternehmen an die Börse? Und am wichtigsten: Müssen die etablierten Großbanken ihr Geschäftsmodell nur anpassen oder komplett auf den Kopf stellen?

Digitale Revolution führt zu schneller Veränderung
Gerade die letzte Frage wird in den Vorstandsetagen vieler Institute heiß diskutiert. Eine besonders radikale These vertritt dabei Theodor Weimer, der Chef der Münchner HypoVereinsbank. "Die digitale Revolution ist kein Trend mehr, sondern eine fundamentale Umwälzung", sagt er. "Wie wir im 19. Jahrhundert eine Veränderung durch die industrielle Revolution hatten, haben wir jetzt eine Veränderung durch die Digitalisierung." Da immer mehr Menschen ihre Bankgeschäfte im Internet erledigen, will Weimer in den nächsten Jahren die Hälfte der rund 600 HVB-Filialen schließen.

Francisco Gonzalez, Chef der spanischen Großbank BBVA, ist überzeugt, dass Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon in absehbarer Zeit die Finanzbranche aufmischen werden. "Banken, die auf solche Wettbewerber nicht vorbereitet sind, sehen dem sicheren Tod entgegen." In einem angestammten Bankgeschäft ist ein Eindringling bereits heute Marktführer: In Deutschland wird mittlerweile gut ein Viertel aller Internet-Einkäufe über die eBay-Tochter PayPal bezahlt, schätzt die Unternehmensberatung Bain. Weltweit benutzen den Online-Bezahldienst 148 Millionen Menschen - so viele Einwohner haben Deutschland und Frankreich zusammen.

Banken arbeiten an PayPal-Konkurrenten
Die Größe und der Erfolg der eBay-Tochter haben die Finanzbranche aufgeschreckt. Die deutschen Banken basteln unter dem Dach des Branchenverbands Deutsche Kreditwirtschaft an einer Alternative zu PayPal, wie mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen berichten. "Wir glauben, dass wir ein besseres Angebot als PayPal hinbekommen", sagt ein mit dem Thema vertrauter Manager. Er setzt darauf, dass die meisten Deutschen beim Bezahlen im Internet lieber einen Service ihrer Bank nutzen als das Angebot eines Internetkonzerns aus Kalifornien.

Die Debatte über PayPal verdeutlicht, wie groß die Sorgen bei vielen Geldhäusern inzwischen sind. "Das Thema Digitalisierung ist auf den Agenden der Vorstände weit nach vorne gerückt", erzählt Holger Friedrich von der Firma CORE, die deutsche und Schweizer Großbanken berät. Vor zwei Jahren hätten die Institute Start-ups im Finanzbereich noch als Exoten abgetan. Mittlerweile habe sich das grundlegend geändert, da immer mehr Kunden in die Online-Welt abwandern.

Tausende Start-ups bedrängen die Banken
Weltweit versuchen nach Schätzungen von Bain & Company rund 3.500 Jungfirmen, den Banken Geschäft abzujagen. Investor Marc Bernegger glaubt an sie. Im Handel und im Verlagswesen sei vor zehn bis 15 Jahren ein Umbruch eingeleitet worden, sagt der Verwaltungsrat der Beteiligungsgesellschaft Next Generation Finance Management. "Wenn man als Unternehmer heute nach ähnlichen Opportunitäten sucht, dann wird man in der Finanzbrache fündig."

Bernegger ist zwar erst Mitte 30, blickt aber schon auf eine lange Karriere als Web-Unternehmer zurück. 2008 verkaufte der Schweizer die Party-Plattform usgang.ch an den Berliner Axel-Springer-Verlag, zwei Jahre später den Ticket-Anbieter Amiando an XING. Nun setzt Bernegger auf Start-ups wie die Devisenhandelsplattform Oanda oder die Internetseite Ayondo, auf der Privatanleger die Handelsstrategie erfolgreicher Trader kopieren können.

Finanz-Start-ups: Investoren sehen große Chancen
Auch andere Risikokapitalgeber wittern in der Finanzbranche das nächste Eldorado. Der Investor Union Square Ventures, der zu den ersten Geldgebern von Twitter zählte, ist an LendingClub beteiligt. Die US-Firma vermittelt Kleinkredite von privat an privat. Zu den Aufsichtsräten der Firma, die bereits mehr als vier Milliarden Dollar (rund drei Milliarden Euro) an Krediten arrangiert hat, zählt John Mack, der Ex-Chef von Morgan Stanley und Credit Suisse. In Deutschland setzen die Brüder Samwer, die bereits beim Online-Schuhhändler Zalando eine gute Nase bewiesen, auf die Plattform Lendico, die ein ähnliches Konzept verfolgt wie LendingClub. Zudem sind sie am Unternehmen Zencap beteiligt, das Darlehen an Mittelständler vermittelt.

Viele der neuen Anbieter versuchen, sich zwischen Kunden und Bank zu schieben, beobachtet Ben Robinson, der Chefstratege der Bankensoftwarefirma Temenos. Für die Geldhäuser sei das brandgefährlich. Am verwundbarsten sind die Banken aus Sicht von Robinson in Geschäftsbereichen, in denen die Gewinnmargen hoch und die Auflagen der Aufsichtsbehörden vergleichsweise gering sind. "Dort sieht man die größten Umwälzungen." Das gelte beispielsweise für den Währungshandel im Internet oder kleinere Kredite, etwa für den Kauf eines Fernsehers.

Angreifer im Vergleich zu Großbanken noch klein
Bisher ist das Geschäftsvolumen der Angreifer im Vergleich zu Großbanken noch verschwindend gering - die Beratungsfirma Bain & Company schätzt deren Marktanteil weltweit auf weniger als zwei Prozent. Das könne sich allerdings schlagartig ändern, wenn Internetgiganten wie Google oder Facebook massiv ins Bankengeschäft einsteigen. "Wir sprechen über Konzerne mit großen Muskeln und tiefen Taschen - da sollte man auf alles gefasst sein", sagt Urs Rüegsegger, der Chef des Schweizer Börsenbetreibers und Bankkartenanbieters SIX.

Google, Apple und Facebook wollen sich zu ihren Plänen in der Finanzbranche nicht äußern. Allerdings verdichten sich die Anzeichen, dass die US-Giganten bald zum Angriff blasen. Apple hat das neueste iPhone laut Konzernchef Tim Cook auch deshalb mit einem Fingerprint-Sensor ausgestattet, weil das Unternehmen Interesse am Bezahlen über das Handy hat. Erste Erfahrungen mit Geldüberweisungen hat der Konzern bereits auf seiner Musikplattform iTunes gesammelt.

Google bietet bereits elektronische Geldbörse an
Google hat in den USA schon vor einiger Zeit eine elektronische Geldbörse auf den Markt gebracht, das Google Wallet. Damit können Nutzer im Internet bezahlen und Geld senden und empfangen. Auch in Europa verfügt die Suchmaschine bereits über eine Banklizenz und könnte jederzeit loslegen. Da Googles Betriebssystem Android auf zahlreichen Smartphones läuft, hat das Unternehmen nach Einschätzung von Boston Consulting beste Voraussetzungen, um das Angebot in den nächsten Jahren auch in Deutschland und derin Irland zu erhalten. Damit dürfte das weltgrößte Online-Netzwerk in ganz Europa Bankgeschäfte anbieten. Millionen von Nutzern könnten dann beispielsweise Geld auf Facebook-Konten aufbewahren und es an andere Kunden überweisen. Angeheizt wurden die Spekulationen über eine bevorstehende Banking-Offensive kürzlich, als Facebook PayPal-Chef David Marcus verpflichtete.

Maßgeschneiderte Angebote für die Nutzer
Internetriesen wie Google und Facebook haben Millionen von Kunden und kennen deren Einkaufsverhalten genau. Ihren Nutzern könnten sie folglich maßgeschneiderte Finanzierungsangebote machen - und Geldhäusern damit im großen Stil Geschäft abnehmen. "Die Unternehmen könnten die Bankenwelt alleine schon mit ihren Daten verändern", betont Dirk Müller-Tronnier von der Beratungsfirma EY.

Bisher konzentrieren sich die meisten Internetkonzerne noch auf Angebote, mit denen ihre Nutzer online bezahlen oder Geld überweisen können - und verlängern damit quasi ihre Wertschöpfungskette. "Durch PayPal bindet eBay die Kunden noch stärker an sich und vermeidet es, Provisionen an Banken zahlen zu müssen", erklärt Müller-Tronnier. "Ich gehe davon aus, dass sich Internetkonzerne auf absehbare Zeit auf Bereiche konzentrieren werden, die nahe an ihrem Kerngeschäft liegen."

Bald Kredite bei Facebook und Konsorten?
Der EY-Experte und viele Banker gehen deshalb davon aus, dass die Angreifer als nächstes groß ins Geschäft mit Konsumentenkrediten einsteigen. Wenn jemand online einen Fernseher kauft oder eine Urlaubsreise bucht, könnten ihm die Internetunternehmen auch gleich das passende Darlehen anbieten. Konsumentenkredite sind relativ einfach strukturiert, und das Ausfallrisiko könnten die Konzerne dank ihrer Kundendaten relativ gut kalkulieren.

Dass Google oder Facebook eine vollwertige Bank aufbauen und auch in komplexere Geschäfte wie Projektfinanzierung oder Investmentbanking einsteigen, hält Müller-Tronnier dagegen für unwahrscheinlich. Alleine der administrative Aufwand dafür wäre enorm, betont der Berater. Zudem schrecke die strenge Regulierung Internetfirmen ab.

Banken kennen Regulatorik besser als Internetfirmen
Viele Banker, die sonst gerne über die Aufsichtsbehörden schimpfen, sehen das ähnlich. "Im Wettbewerb mit neuen bankfremden Anbietern ist die Regulatorik für uns ein Vorteil", sagt DZ-Bank-Vorstand Thomas Ullrich. "Wir kennen uns schließlich damit aus." Ullrich ist beim Spitzeninstitut der meisten Volks- und Raiffeisenbanken für IT-Projekte zuständig - und offen für Veränderungen. Er schätzt Querdenker und hat deshalb bereits mehrere Mitarbeiter von Internetkonzernen abgeworben. "Da prallen unterschiedliche Kulturen aufeinander." Neue Online-Anwendungen lässt Ullrich regelmäßig bei einzelnen Volksbanken testen. "Wenn so etwas zum Beispiel in der Lüneburger Heide funktioniert, können wir das später in der gesamten Gruppe übernehmen."

Einen Abgesang auf das klassische Bankgeschäft will Ullrich aber trotz aller Online-Euphorie nicht anstimmen. Es gebe schließlich gute Gründe dafür, warum Google und PayPal trotz Banklizenz bisher kein klassisches Konto anbieten. "Die neuen Wettbewerber lassen auch deshalb die Finger vom Konto, weil sie sich sonst fragen müssen, was sie mit der Liquidität machen, die dann auf ihren Konten liegen würde", sagt der DZ-Bank-Vorstand. Dieses Geld müssten Google und PayPal irgendwo anlegen und dem Kunden eine Verzinsung gewähren - "das ist im derzeitigen Niedrigzinsumfeld nicht einfach".

Ullrich ist zudem sicher, dass nicht alle Geschäfte ins Internet abwandern werden. Über wichtige Lebensentscheidungen wie eine Baufinanzierung oder die Altersvorsorge würden sich Menschen zwar verstärkt online informieren, diese dann aber nach wie vor in der Filiale abschließen. "Die Kunden vertrauen ihrer Bank in der Regel mehr als einem Internetunternehmen."

Banken verbinden Online- und Offline-Dienste
Ganz auf die Bank um die Ecke verzichten wollten die meisten Menschen nicht, bestätigt auch Banken-Forscher Bernd Nolte. Er erinnert daran, dass vor einigen Jahren viele Deutsche Geld bei der Kaupthing-Bank angelegt haben. Als das isländische Institut 2008 zusammenbrach, war der Schock groß. "Der Internetzugang zu ihrem Konto war gesperrt und sie konnten sich an niemanden wenden." Bei Filialbanken könne das nicht passieren, schließlich treffe man deren Mitarbeiter auch im Kindergarten oder beim Bäcker. "Dieser soziale Kontrollmechanismus wird in einer alternden Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen", sagt Nolte. "Wenn Menschen älter werden, sind sie erfahrungsgemäß misstrauischer und vorsichtiger."

Die meisten Banken sind deshalb derzeit dabei, die Angebote in den Filialen und im Internet enger miteinander zu verzahnen. Die UBS bietet Kunden ab einem Vermögen von 250.000 Franken (rund 205.000 Euro) seit einem Jahr an, jede Nacht 50.000 Szenarien durchzurechnen, wie sich ihre Anlagen entwickeln könnten. Wenn ein Portfolio ungünstig zusammengesetzt ist, werden die Kunden darüber ab 2015 auf Wunsch nicht mehr vom Kundenberater informiert, sondern direkt vom Computerprogramm per E-Mail oder SMS. "Danach legt das Programm gestützt auf die Empfehlungen von Hunderten von UBS-Analysten Vorschläge für die Umschichtung des Portfolios vor, die der Kunde ab 2015 ebenfalls elektronisch erhalten wird", sagt Andreas Kubli, der bei der Schweizer Großbank für Digitalisierungsprojekte zuständige ist.

Die deutschen Sparkassen, die vorwiegend weniger vermögende Kunden haben, fahren ebenfalls zweigleisig. "Auch in einer immer stärker online dominierten Welt brauchen wir Menschen aus Fleisch und Blut", sagt Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon. Er will deshalb Beratung auf allen Kanälen bieten. Manche Sparkassen-Mitarbeiter sprechen mit ihren Kunden heute nicht mehr nur in der Filiale, sondern verabreden sich mit ihnen am Abend zu Video-Konferenzen im Internet. Ganz ähnlich macht das in Österreich beispielsweise auch die Bank Austria.

Online-Beratung nicht für alle Banken sinnvoll
Aus Sicht von EY-Experte Müller-Tronnier kann dieser Ansatz für einige Banken Sinn machen, aber nicht für alle. "Wenn sechs oder sieben Institute Online-Chats mit Beratern anbieten und auch sonst ein ähnliches Angebot haben, wird sich das nicht für alle rechnen." Die meisten Kunden wollten sich schließlich nicht Tag für Tag beraten lassen, sagt Müller-Tronnier, der aus privaten Gründen seit vielen Jahren in keiner Bankfiliale mehr war. "Da klaffen Angebot und Nachfrage weit auseinander."

Fidor-Chef Kröner hält grundsätzlich nichts von den Empfehlungen der Bankberater. Sie seien Vertriebsmitarbeiter, die nie gegen die Interessen der Bank handeln könnten, sagt der Unternehmer. Er findet es deshalb sinnvoller, wenn Kunden über Bankprodukte im Internet genauso diskutieren wie über Handys oder Autos. "Die Menschen tauschen im Netz Meinungen und Erfahrungen aus", sagt Kröner: "Das greifen wir auf und sagen: Macht das beim Geld genauso."

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