Teurer Freund

Mercedes E 350 CDI im Test

Motor
11.09.2009 16:49
Dass die E-Klasse ein Auto für wirklich alle Fälle ist, ein guter Kumpel, der alles mitmacht und auf den man sich verlassen kann, der einen komfortabel bis ans Ende der Welt bringt – das habe ich mit der gerade ausgelaufenen Baureihe der unteren Stuttgarter Oberklasse erfahren, als mich Mercedes-Benz mit einem E 320 CDI quer durch Kasachstan geschickt hat. Den Nachfolger namens E 350 CDI BlueEFFICIENCY stelle ich auf und neben den Straßen Kroatiens auf die Probe, und hier zeigt sich: Auch die neue E-Klasse ist ein teurer Freund.
(Bild: kmm)

Beim Geld hört die Freundschaft auf, bei der E-Klasse beginnt sie bei knapp 42.000 Euro Basispreis für den Vierzylinder-Diesel, im Fall des Testwagens muss man sich die Freundschaft mit 77.000 Euro schon deutlich teurer erkaufen. Dafür steht er auch mit blitzsauberer AMG-Ausstattung in einem Metallic-Braun zum Niederknien und mit einer ganzen Reihe Extras da (nach oben ist dabei noch jede Menge Luft). Und er umarmt seine Insassen zur Begrüßung. Denn beim Anschnallen zieht der Gurt kurz straff, um sich für den Fall des Unfalles ideal auf sein zu schützendes Gut einstellen kann. Höflich ist auch der Kofferraumdeckel, der auf Knopfdruck von selbst weit aufschwingt. Nur einer der beiden elektrisch zu klappenden Außenspiegel grunzt am Testwagen unwillig, wenn er sich bewegt.

Von Oberer Mittelklasse mag ich hier schon gar nicht mehr sprechen; die Optik, das Gefühl, der Sound - das ist viel mehr die Untere Oberklasse. So wie dieser Sechszylinder-Diesel darf ein Selbstzünder in dieser Klasse klingen, mächtig genug für die zwei fetten Auspuffendrohre und dezent genug für die lange Reise. 231 PS leistet er jetzt, und 540 Nm nehmen es ab 1.600/min. locker mit dem 1,8-Tonner auf. Die Siebengang-Automatik überträgt die Kraft harmonisch an die Hinterräder, beim Anfahren mit Vollgas gibt sie dem Fahrer noch einen Moment Zeit, darüber nachzudenken, ob er jetzt wirklich so brachial losstarten möchte. Bleibt das Gaspedal am Bodenblech, dann zeigt die Tachonadel nach 6,8 Sekunden auf 100 (Höchsttempo 248 km/h).

Die Bremse sitzt am Beifahrersitz
Das klingt schon sehr sportlich, und speziell mit dem AMG-Paket und Avantgarde-Ausstattung sieht die E-Klasse auch ziemlich sportlich aus. Doch bei aller Liebe zum Sport: Trotz adaptivem, tiefergelegtem Sportfahrwerk (die Dämpfer passen sich automatisch an die jeweilige Fahrsituation an) ist hier Komfort statt Sport die Devise. Bodenunebenheiten werden so bravourös weggetaucht, dass man an eine optische Täuschung auf der Straße (oder dem Feldweg) glaubt. Die Lenkung wünsche ich mir direkter.

Der Benz verträgt es auch, richtig hart angepackt zu werden (es sind ja auch die Karosserielinien deutlich härter als früher!). Es ist großartig, mit diesem Klasseschiff auf den unasphaltierten Nebenstraßen der kroatischen Insel Krk eine Staubwolke hinter sich herzuziehen und dabei mutig über die Schlaglöcher zu ziehen. Mit schwäbischer Gelassenheit schluckt das Fahrwerk alles weg, was dem Rücken zum Kreuz werden könnte.

Die Kehrseite der Komfort-Medaille: Auf der Landstraße wird der Beifahrerin schlecht. Dadurch kommen wir natürlich nicht so schnell vorwärts, wie es das technische Gesamtpaket zuließe, denn es gibt keine bessere Bremse als eine Beifahrerin mit grünem Gesicht. Zügle dich, Gasfuß!

Die engen, staubigen Nebenstraßen, mag sie aber (schließlich führen sie in die Nähe einsamer Badebuchten, außerdem halten überall Feigenbäume ihre reifen Früchte feil). Der Staub zieht über den glänzenden Lack der windschnittigen Karosserie (cW 0,25!), bleibt kaum kleben, wie aus Respekt vor den Designern, die diese scharfen Kanten ins Blech geschnitten haben. Nur am edlen, aber gewöhnungsbedürftigen Heck (erinnert mich an einen bis zum Nabel hochgezogenen Hosenbund) sammelt sich die Wolke und sorgt für einen gewissen Outlaw-Anstrich. Es muss ein guter Freund sein, wer dich im Boss-Anzug durchs Gelände trägt!

Dieser Freund ist auch ein wachsamer Wächter über die Sicherheit. Serienmäßig serviert er eine Tasse Kaffee aufs Display, wenn Sekundenschlaf droht. Er misst 70 Parameter, vor allem aber erkennt er Müdigkeit an charakteristischen Lenkbewegungen. Trotz langer Fahrt habe ich es allerdings nicht geschafft, die Pausenaufforderung zu provozieren, ich war schon vorher zu müde, um weiterzufahren, und habe mit den Kaffee lieber an einer Autobahnraststätte servieren lassen.

Gut oder gut gemeint?
In der Aufpreisliste stehen Helferlein sonder Zahl, die zum Teil echte Luxusklasse Einzug halten lassen. So stammt der Nachtsichtassistent, der allerdings im Testwagen nicht an Bord ist, aus der S-Klasse. Ich habe ihn nicht so schmerzlich vermisst wie die optionale Sitzkühlung. Beinahe ein wenig lästig ist der Totwinkel-Assistent, der schon piepst, wenn man im Stadtverkehr knapp die Spur wechselt oder sich auf der Autobahn früh darauf vorbereitet. In manchen Situationen lenkt er also mehr ab, als er nützt.

Multikontursitze mit Massagefunktion sind zu haben (aus der S-Klasse); eine Klimaautomatik, der man sagen kann, auf welche Art sie fächeln soll (diffus, direkt usw.); Luftfederung; natürlich das Comand APS System mit Navi, das ziemlich gut zu bedienen ist; ein Fernlicht, das automatisch so leuchtet, dass es niemanden blendet; ein Spurassistent, der das Lenkrad vibrieren lässt, wenn man ohne Blinker seine Fahrspur verlässt; Parkpiepser sowieso. Was fehlt, ist ein sinnvoller Getränkehalter, der herausnehmbare Einsatz im Ablagefach der Mittelkonsole ist eher lästig.

Der Vorfahrts-Stern auf der Motorhaube ist übrigens bei allen Ausstattungsvarianten serienmäßig, anders als in der C-Klasse, die es auch ohne gibt. Dennoch ist jemand am Testwagen vorbeigegangen mit den Worten: „Ui, schau, ein Maybach!“

Ein Wort zum Innenleben. Das Ambiente ist echt edel. Besonders hat es mir die sanfte Beleuchtung des genähten hellen Leders an den Türverkleidungen angetan. Und weil ich mich an Kleinigkeiten erfreuen kann: die so unauffällig zwischen den Instrumenten platzierten grünen Blinkerpfeile. Natürlich sitzt man ausgesprochen bequem, hat vorne wie hinten richtig gut Platz. Der Kofferraum fasst 540 Liter und hat einen flachen doppelten Boden (dessen Griff ziemlich billig wirkt). Praktisch: der Automatikwählhebel am Lenkrad. Perfekt (wie immer): die Bedienung des Tempomaten. Unpraktisch (wie immer): die Bedienung der Scheibenwischer. Anachronistisch: die Fuß-Feststellbremse. In Zeiten, wo sich BMW bei den Motorrädern von der spezialischen Blinkerbedienung verabschiedet, könnte Mercedes tatsächlich auch die Bremse überdenken.

Fazit:
Der E 350 CDI ist ein grundsolides Auto. Der Komfort ist auf hohem Niveau, Sport wird ein E-Klasse-Käufer hier nicht erwarten. Jetzt passt auch der Verbrauch: mit 6,8 l/100 km Normverbrauch 0,5 Liter weniger als beim Vorgänger E 320 CDI bei 7 PS mehr und unveränderten 3 Liter Hubraum. Dem gegenüber steht ein Testverbrauch von knapp unter 9 Litern Diesel (das ganze Sparen ist allerdings dahin, wenn einem jemand an die lackierten Stoßstangen schrammt, die jede Berührung übel nehmen). Man könnte hier wohl blind während der Fahrt erkennen, in einem Auto welcher Marke man sitzt. Das Feintuning passiert über die Aufpreisliste, mit der man sich ganz leicht ein E für ein S vormachen kann.

Stephan Schätzl

Warum?

  • Weil er die zeitgemäßere S-Klasse ist.

Warum nicht?

  • AMG ist hier, wie wenn man mit Sprinterausstattung Nordic Walken geht

Oder vielleicht …

  • … auf die AMG-Optik verzichten?
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(Bild: kmm)



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