Ein Herz aus Wasser

Die neue BMW R 1200 GS: Wo die Liebe hinfährt

Motor
18.02.2013 17:04
"Ich hab mich verliebt", schwärmt ein deutscher Tourist am Cap de Formentor. Aber keine mallorquinische Schönheit bringt sein Blut in Wallung, sondern die brandneue BMW R 1200 GS, die ich am nördlichsten Punkt der Baleareninsel für einen Moment geparkt habe. Ich verstehe den Mann. Sie ist völlig neu konstruiert, erstmals wassergekühlt - und die beste GS ihrer über 30 Jahre zurückreichenden Ahnenreihe.
(Bild: kmm)

Dabei war es durchaus eine Herausforderung, dieses Schweizermesser unter den Motorrädern, den Spitzenreiter der Verkaufshitparaden, den Benchmark ihrer Klasse, neu aufzulegen. Doch obwohl keine Schraube gleich geblieben ist, wie BMW-Motorrad-Österreich-Chef Fritz Reichl betont – als GS ist sie sofort zu erkennen, optisch ebenso wie in ihren Eigenschaften. Nur dass sie in ihren Zügen geschärfter und eleganter geworden ist und sich jederzeit noch besser fährt. Mal ganz abgesehen vom deutlichen Leistungsplus im Vergleich zur Vorgängerin, also jetzt 125 PS und 125 Nm (bei 6.500 Touren).

Eine für alles
Sie ist so vielseitig wie die Insel, auf der ich unterwegs bin, wo ein Temperaturunterschied von 10 Grad von einer Seite zur anderen ganz normal ist. Hier sind die Mandelbäume schon fast verblüht, dort stehen sie noch in voller Pracht. War ich zu Beginn meines ersten Ausflugs in strömendem Regen unterwegs, brennt mir wenig später die Sonne auf den Pelz, der bald darauf schon wieder wassergekühlt wird.

Meine Test-BMW hat für jede Fahrsituation die richtige Einstellung, fünf Modi stehen zur Wahl: Rain, Road, Dynamic und zwei Enduro-Programme. Sie greifen in alle relevanten Parameter (außer in die Leistung) ein, also Traktionskontrolle, ABS, Gaskennlinie und vor allem auch Fahrwerk. Das Dynamic ESA (Electronic Suspension Adjustment) kann viel mehr als das frühere ESA, es passt sich je nach Modus an, reagiert zusätzlich über Federwegsensoren blitzschnell auf Fahrsituationen und regelt selbstständig über elektrisch angesteuerte Ventile die Dämpfung. Ähnlich wie BMWs Supersupersportler HP4.

Auch eine große Enduro gehört ins Gelände
Schade, dass nur ein Bruchteil aller GSen jemals offroad bewegt wird, dieses "saugeile Duttelmonster", wie es ein Leser auf unserer Facebook-Seite bezeichnet hat, ist auch dafür geschaffen. Mit Johannes Pfaff, Chef von Mallorquine Bikes, war ich abseits der gepflegten Straßen Mallorcas unterwegs, über verwinkelte Pfade, die ich ohne ihn im Leben nicht gefunden und schon gar nicht befahren hätte. Und wechselweise auch auf der Vorgänger-GS. Johannes hat Recht, wenn er sagt, "nur weil eine neue GS rauskommt, ist die alte noch kein schlechtes Motorrad".

Und trotzdem fühle ich mich auf der neuen deutlich wohler. Die Sitzposition ist angenehmer, der Sitz besser gepolstert, der Tank schmäler, wodurch ich entspannter sitze und auch mit meinen Füßen besser auf den Boden komme. Das Fahren im Stehen kommt mir auf der neuen weniger anstrengend vor. Besonders unterstützend ist die feine, weiche Gasannahme (E-Gas!) im Enduromodus, dazu die solide Kraft, die der überarbeitete 1.170er-Boxer von unten heraus liefert. ASC und Teilintegral-ABS halten sich angemessen zurück, sind aber auch ganz abschaltbar. Und wenn das ASC eingreift, dann sanft statt wie ein Drehzahlbegrenzer. Nur der Klang der alten Leih-GS, die mit ihren 130.000 Kilometern gerade eingefahren ist, ist besser. Allerdings ist ihr Auspuff auch nicht serienmäßig.

Die um die Winkel wedelt
Tags darauf lerne ich jede Art von mallorquiner Straße kennen. Es ist unglaublich, wie gut hier alles ausgebaut ist, wie sauber asphaltiert sogar das letzte Dorf zu erreichen oder zu umfahren ist. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele EU-Milliarden ich unter die Räder nehme, sonst vergeht mir noch der Spaß an dem tollen Grip der meist tadellosen Bergstraßen, über die ich mit einigen Kollegen wedle. Wir haben auch einige BMW F 800 GT zum Wechseln dabei, aber um die reißt sich irgendwie keiner, obwohl sie sich auch ganz schön fährt. Im Vergleich hat sie aber keine Chance, denn auf der Straße ist die große GS mindestens so, wenn nicht noch mehr in ihrem Element wie abseits davon.

Präzise lenkt sie auf ihren eigens für sie gebauten Metzeler-Reifen ein, bremst tadellos mit ihren Vierkolben-Festsätteln vorne und dem Zweikolben-Schwimmsattel hinten und die neue Antihoppingkupplung verhindert Unruhe beim Runterschalten. Selbst in niedrigsten Drehzahlen ruckelt nichts, sauber beschleunigt sie heraus und herauf, ab 5.000/min. legt sie noch ein Schauferl nach. Fast leichtfüßig schwingt die neue GS mit ihren vollgetankt 238 kg (gleich schwer wie die alte) durch die Wechselkurven. Auf engsten Kehren hinauf zu unserem Mittagsstopp, dem Restaurant "Es Verger" in der Serra Tramuntana, teils beschlaglocht und schotterig, lässt sie sich im Schritttempo spielerisch balancieren.

Wasser Marsch
Während wir die beste Lammschulter der Insel verzehren, tickt der Boxermotor draußen vor sich hin. Er ist erstmals nicht mehr rein luftgekühlt wie früher, sondern wird per Luft-/Wasserkühlung temperiert. Das ist vor allem notwendig, um Abgasvorschriften zu erfüllen, denn "ein luftgekühlter Motor läuft thermisch eigentlich immer in einem ungünstigen Bereich, was schlecht ist für die Verbrennung", erklärt BMW-Motorrad-Chef Reichl. BMW spricht bei der neuen GS von Präzisionskühlung, weil Wasserkühlung genau dort eingesetzt wird, wo sie benötigt wird, also bei besonders belasteten Motorteilen wie etwa den Zylinderköpfen. Der Rest bleibt luftgekühlt, dadurch kommt man mit nur 1,2 Liter Kühlflüssigkeit aus, was wiederum gut fürs Gewicht ist. Kein Wunder, dass dieses Prinzip auch in der Formel 1 eingesetzt wird.

Die Luftkühlungsregulierung des Fahrers per Windschild funktioniert ebenfalls recht effektiv, es ist während der Fahrt stufenlos per Handrad einzustellen. Wenn ich mich mit meinen 1,88 m etwas ducke, sitze ich voll im Windschatten. Einstellbar sind auch Sitzhöhe (850/870 mm, optional mehr Varianten) und Soziussitz (in der Länge). Weitere Neuigkeiten sind das serienmäßige LED-Tagfahrlicht, der optionale Voll-LED-Hauptscheinwerfer mit integriertem Tagfahrlicht und die nun ganz gewöhnliche Blinkerbedienung. Den optionalen Tempomaten würde ich wahrscheinlich bei längeren Autobahnfahrten zu schätzen wissen. Der Auspuff ist jetzt rechts, der Kardanantrieb links - eine Folge davon, dass die Kupplung neuerdings in das Motorgehäuse integriert ist.

Okay, man braucht deshalb neue Seitenkoffer, aber dafür ist der Grundpreis der neuen R 1200 GS um 370 Euro günstiger als bei der alten. Mit ABS kommt sie am 2. März um 16.950 Euro auf den Markt, wobei man sie eigentlich nicht ohne Extras wie Dynamic ESA, Fahrmodi, Heizgriffe usw. bestellen sollte. Das ist jetzt nicht leicht für den verliebten Deutschen von oben. Seine GS "hat erst 30.000 Kilometer drauf, da kann ich doch nicht schon wieder eine neue kaufen. Oder doch?"

Warum?

  • Weil die Neue in allen Belangen besser ist als die Alte – und die war schon Benchmark.
  • Adaptives Fahrwerk und Fahrmodi sind eine feine Sache.

Warum nicht?

  • Die Alte ist auch nicht zu verachten.
  • Vollausgestattet kommt finanziell ganz schön was zusammen – und drunter sollte man es nicht machen.

Oder vielleicht …

… KTM 1190 Adventure, Ducati Multistrada und die anderen großen Reiseenduros.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

(Bild: kmm)



Kostenlose Spiele