Appetit-Roadster

BMW R 1200 R: Im Kern eine ganz Wilde

Motor
04.12.2014 10:27
"So ein Roadster muss ja heute alles können", sagt BMW-Motorrad-Chefdesigner Edgar Heinrich. Er meint damit einerseits, dass die BMW R 1200 R für so ziemlich alles das richtige Motorrad ist, aber auch, dass er mehr ihr Vorbild steht, seine geliebte Concept Roadster, die ein extrem emotionales Eisen ist. Deshalb hat er auch alles drangesetzt, dass möglichst viel davon in die Serie übernommen wurde.
(Bild: kmm)

Bei der Fahrpräsentation in Alicante hat er sein "bestes Stück" dann auch nach einer spontanen Ehrenrunde um den Platz in ihrem eigenen Reifennebel in Szene gesetzt. Als sich die Schwaden verzogen hatten, erkannte man im direkten Vergleich, dass tatsächlich Ähnlichkeiten bestehen, etwa der Tank, die bullig vorne zentrierte Masse, überhaupt die Linie bis zum Sattel, das hantelförmige Tagfahrlicht sogar der spektakuläre Dreiecksrahmen ist irgendwie da. Vor allem ist auch die Sitzposition extrem ähnlich, abgesehen vom steinharten Moosgummi-Polster des Einzelstücks. Auch das extreme Heck und die aus dem Vollen gefrästen Metallteile sind nichts für die Serie. Da sind andere Dinge gefragt.

Von der Tour nach Sizilien mit vollem Gepäck bis zur ambitionierten Feierabendrunde, vom Alpenmasters-Sieg bis zur gemütlichen Ohne-Stress-Ausfahrt: Die Entwickler waren nicht eher zufrieden, als bis sie sicher waren, dass der neue Münchner Roadster überall glänzen kann. Dazu muss er auch noch die BMW-Geschichte hochhalten, Kunden von anderen Marken in den weiß-blauen Himmel holen und auch noch Jung wie Alt begeistern. All das mit klarer Reduktion auf das Wesentliche.

Aber was ist ein Roadster eigentlich? Beim Auto ist das klar: ein sportlicher offener Zweisitzer, ursprünglich nicht mal mit einem richtigen Dach. Beim Motorrad ist es auch etwas sehr Ursprüngliches, so wie die R 32, vor 91 Jahren das erste BMW-Fahrzeug überhaupt: purer Motor, zwei Räder, Lenker, kein Schnickschnack.

Bisher war die R-Reihe immer ein Ableger der Boxerschwestern und daher optisch ein Kompromiss (trotzdem wurden insgesamt 50.000 Stück verkauft). Die neue wurde hingegen komplett eigenständig entwickelt, quasi als Fels in der Brandung. Schluss mit Telelever, eine fette, klassische USD-Gabel führt das 17-Zoll-Alugussrad, wie es sich gehört. Ist sie golden eloxiert statt silberfarben, erkennt der Fachmann, dass das brandaktuelle semiaktive Fahrwerk ESA an Bord ist. So viel Schnickschnack darf schon sein, wenn es dem Fahrspaß und der Sicherheit dient.

Anders als die R ninety wird die R 1200 R vom neuen vertikal durchströmten Wasserboxermotor angetrieben, der mehr Leistung und Drehmoment bietet, als der alte, luftgekühlte. 125 PS und 125 Nm (bei 6.500/min.) machen einen spürbaren Unterschied. Die Hinterradübersetzung liegt zwischen R 1200 GS und R ninety.

Hightech für das feine Vergnügen
Der blanke Roadster lässt sich auch noch mit weiteren bayerischen Schmankerln bestücken, von der schräglagenabhängigen Traktionskontrolle bis zum Schaltassistenten, der beim Rauf- UND Runterschalten den Griff zur Kupplung obsolet macht. Die Fahrmodi Road und Rain sind Serie, optional kommen Dynamic und der konfigurierbare User-Mode dazu. Außerdem Keyless Ride und LED-Tagfahrlicht.

Und wie fährt sich das? Vorzüglich. Der Zweizylinder schiebt bullig von unten heraus, im Prinzip geht immer ein Gang höher, als man glaubt. Seidenweiche Gasannahme, eine angenehm lineare Kraftentfaltung und ein sogar mit dem dicken Serienauspuff ansprechender Sound tragen gleichermaßen zum Vergnügen bei. Der Akrapovic-Topf ist übrigens nicht wesentlich schlanker.

Leichtfüßig schwingt die 231 kg schwere Bayerin durch die Kurven im Hinterland von Alicante, das Fahrwerk schafft schnell volles Vertrauen, egal ob wir zügig über ebenen, griffigen Asphalt carven oder stellenweise Fahrbahnverwerfungen Aufmerksamkeit verlangen. Man fühlt sich höchstens als wilder Reiter, wenn Gabel und Federbein voll eintauchen und die Fußraste scharrt.

Die Traktionskontrolle regelt sanft, wenn man zu viel Drehmoment angreifen lässt, ihren Einsatz erkennt man vor allem an der wild flackernden gelben Kontrollleuchte. Im Dynamic-Modus lässt sie sogar leichte Slides zu, ohne dass die Stabilität leidet oder ein eventuell überraschter Fahrer Knitterfalten ins Nervenkostüm bekommt. Nur bei sehr langsamer Fahrt lenkt die R hin und wieder etwas ungewöhnlich ein, doch das fällt nicht wirklich ins Gewicht.

Die Sitzposition ist hervorragend, jedenfalls solange man nicht die höchste der vier zur Verfügung stehenden Sitzbänke montiert (840/820/790 Serie/760 mm), weil man dann mehr auf als im Motorrad sitzt. Ergonomie ist ein Punkt, in dem BMW grundsätzlich wenig Fehler macht. Lediglich die Entscheidung für einen analogen Tacho und einen digitalen Drehzahlmesser (beide mäßig ablesbar) statt umgekehrt ist eine eher fragwürdige. Man kann sich auf dem schwarz auf Orange anzeigenden Display zwar das Tempo auch digital anzeigen lassen, dann wird allerdings der Drehzahlmesser ausgeblendet.

15.400 Euro muss man in Österreich für die BMW R 1200 R mindestens anlegen und bekommt dafür serienmäßig zwei Fahrmodi, Traktionskontrolle (ASC, ohne Schräglagensensor), abschaltbares Teilintegral-ABS und einen Bordcomputer. Wie bei den Münchnern üblich sorgt die Aufpreisliste für Begehrlichkeiten, für gute Wiederverkaufbarkeit wird man aber wohl nicht so viel ankreuzen müssen wie etwa bei einer GS, die in der Regel nahezu vollausgestattet vom Hof rollt.

Zwischen drei Styles kann man wählen, vom Basis-Cordobablau (ja, wirklich!) über ein elegantes Schwarz-Grau bis hin zum sportlichen Rot-Weiß samt racingrotem Rahmen und Edelstahl-Tankabdeckung.

Edgar Heinrich ist zu Recht stolz auf die BMW R 1200 R. "Ich werde mir auch eine zulegen", beschließt er seinen launigen Vortrag am Vorabend der Journalisten-Testfahrten. "Aber ich werde sie umbauen." Weil eigentlich schlägt sein Herz fürs Extreme. Wie die BMW Concept Roadster. Wird Zeit, dass so etwas bei BMW auf den offiziellen Speiseplan gesetzt wird. Appetit ist vorhanden.

Warum?

  • Purer Fahrspaß mit bulligem Boxer
  • Feines Hightech, wenn auch großteils aufpreispflichtig

Warum nicht?

  • Nicht der leichteste Roadster

Oder vielleicht …

R ninety, weil sie einfach saucool ist, aber auch Ducati Monster 1200, Triumph Speed Triple & Co.

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(Bild: kmm)



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