"Encanto"

Sergio Mendes im krone.at-Interview

Musik
12.04.2008 16:46
Sérgio Mendes' internationales Comebackalbum „Timeless“ war der Überraschungserfolg im Jahr 2006. Mit Prominenz aus der US-Hip-Hop- und R‘n‘B-Szene und dem Produzenten Will.I.Am brachte der 67-jährige Pianist und Melodienschreiber in der halben Welt wieder brasilianische Musik auf die Tanzflächen. Sein Hit „Mas Que Nada“ aus dem Jahre 1966 erlebte eine Wiedergeburt und schoss mit Unterstützung der Black Eyed Peas in die Top-Ten etlicher Länder. Auf seinem neuen Longplayer „Encanto“ unternimmt der in den USA lebende gebürtige Brasilianer eine Reise von seinen musikalischen Wurzeln bis in die Gegenwart und bleibt seinem Motto treu, sich niemals wiederholen zu wollen. krone.at traf Sérgio Mendes in London.
(Bild: kmm)

„Encanto“ (dt. „Verzaubert“) - beinhaltet im Grunde alles, was Sérgio Mendes jemals gemacht hat. Von klassisch-brasilianischer Folklore und natürlich dem Bossa nova, teils instrumental mit Elementen aus Jazz und Funk, den er mit seiner legendären Truppe Brasil ‘66 und später ’77 weltweit zelebriert hatte, bis hin zum trendigen Latin/R'n'B-Mix, der ihm den Welterfolg mit „Timeless“ bescherte.

Ein Wiedersehen mit den Black Eyed Peas respektive Will.I.Am gibt es auf vier der insgesamt vierzehn Tracks, wobei nur Sängerin Fergie als Vertreterin des Hip-Hop-R‘n‘B-Kollektivs die Vocals zur ersten Single „The Look Of Love“ beisteuerte, ein großer Mendes-Hit mit Brasil ‘66.

Die übrige Liste der Kollaborateure, die durch Mendes‘ Eigenselektion und auf Empfehlungen seiner A&Rs bei Universal Music zustande kam, kann sich sehen lassen: Italo-Rapper Jovanotti, Latinobarde Juanes, der deutsche Flügelhornist Till Brönner, die amerikanische Sängerin Natalie Cole, die französische Band Zap Mama und aus Brasilien, Mendes‘ langjährige Gefährten Lani Hall, Herb Alpert und Carlinhos Brown, die junge Popsängerin Vanessa Da Mata sowie Mendes‘ Ehefrau Gracinha Leporace.

Bis auf die vier Tracks mit Will.I.Am, den Mendes‘ bei den Aufnahmen zu „Encanto“ mit auf eine Reise nach Brasilien nahm, hat der Meister diesmal alles selbst produziert und pendelte zwischen uralten Studios in Brasilien und den renommiertesten Schuppen rund um L.A.

krone.at: Sie haben bei Ihrem letzten Konzert in Wien ziemlichen Eindruck hinterlassen…

Sérgio Mendes: Ich liebe Wien! Das Konzert, das ich letztes Jahr bei euch (in der Wiener Staatsoper, Anmk.) gab, war einer der ganz großen Momente meiner Karriere. Es war ein magischer Abend.

krone.at: Wenn Sie auf den Erfolg von „Timeless“ zurückblicken – hat es Sie überrascht, dass brasilianische Musik so eine erfolgreiche, weltweite Renaissance erlebt hat?

Sérgio Mendes: Als wir mit den Aufnahmen zu „Timeless“ begannen, hatte ich meine Erwartungen bewusst niedrig gehalten. Es hat mich dann ganz schön überrascht, mit anzusehen, wie „Mas Que Nada“ plötzlich wieder zu einem Hit wird und eine neue Generation begeistert. Das gab mir letztendlich auch die Motivation „Encanto“ zu machen. Ich ging dafür zurück nach Brasilien, weil ich mich nicht wiederholen und keinesfalls erneut ausschließlich in Amerika produzieren wollte. Ich finde das Album ist bodenständiger, brasilianischer – und es herrscht wiederum der Gedanke, eine neue Generation an die brasilianischen Klassiker heranzuführen.

krone.at: Sie haben auch diesmal viele Gaststars eingeladen. Mich überraschte, dass mit Jovanotti und Till Brönner auch zwei Europäer dabei sind. Wie sehen Ihre Auswahlkriterien aus?

Sérgio Mendes: Als ich in Brasilien die Tracks zusammenstellte, kam mir der Gedanke, einmal Gastmusiker einzuladen, die nicht entweder Englisch oder Portugiesisch singen würden. Das hatte ich ja schon mein ganzes Leben lang gemacht. Ich hatte Jovanotti in Italien bei einer Fernsehshow kennengelernt und es traf sich dann gut, dass er sein neues Album in L.A. aufnahm, als ich gerade an „Encanto“ arbeitete. Er hat den Song perfekt gemacht! Auch bei Zap Mama hat es wunderbar geklappt – zum ersten Mal gibt es zu einem Sergio-Mendes-Song französische Lyrics.

Bei „Somewhere in the Hills“, das Natalie Cole singt, wollte ich statt einer Trompete ein Flügelhorn. Meine Plattenfirma schickte mir Aufnahmen von Till Brönner und es hat mich sofort erwischt. Ich ließ ihm dann den Track zukommen und er spielte in einem Studio in Deutschland seine Parts ein. Perfekt! Auch mit Juanes hatte ich Glück. Ich rief ihn im Sommer 2007 an, er war sofort begeistert, aber er hatte nur noch genau einen Tag frei – den 25. Dezember. ER sang seine Vocals dann tatsächlich am Weihnachtstag in Kolumbien ein! Mit all diesen Musikern… Es ist wie ein Traum, der wahr wird. Deswegen auch der Titel „Encanto“, verzaubert.

krone.at: Wie reagieren die Leute, wenn sie einen Anruf von Sérgio Mendes bekommen?

Sérgio Mendes: Na, hoffentlich freuen sie sich! (lacht) Bis jetzt hat mich zumindest noch niemand abgewiesen.

krone.at: Ich kann mir vorstellen, dass viele Künstler aus dem Hip-Hop-Geschäft nach dem Erfolg von „Timeless“ bei Ihnen Schlange standen. Trotzdem produzierten Sie den Großteil von „Encanto“ diesmal selbst und luden Ihre alten Kumpanen aus Brasilien ein. Haben Sie die amerikanischen „Big Names“ bewusst gemieden?

Sérgio Mendes: Na ja, es gab da natürlich sehr viele Angebote. Aber ich habe sie nicht bewusst alle abgelehnt. Ich wollte schlicht nicht „Timeless Nummer zwei“ machen, obwohl einige Elemente meiner vorigen Platte auch in „Encanto“ zu finden sind. Aber ich hasse Formeln und Gesetze, ich male gern mit vielen Farben. Und diesmal sollte es brasilianisch, farbenfroh, jazzig sein. Ich habe für „Encanto“ eine ganze Runde gedreht. Ich war bei meinen langjährigen Gefährten Lani Hall und Herb Alpert (mit denen er lange zerstritten war, Anmk.) in Brasilien – aber ich traf mich auch wieder mit Will.I.Am.

krone.at: War es damals bei „Timeless“ nicht auch ein Risiko, amerikanische Genres in Ihren Trademarksound zu verpacken. Es hätte ja jemand als „Verrat“ ansehen können…

Sérgio Mendes: Ich habe mein ganzes Leben brasilianische Musik gespielt und ich lebe in Amerika. Der Rhythmus und die Melodien fließen in meinem Blut. Das Ganze mit Hip-Hop zu mischen war ein ganz natürlicher Schritt für mich. Es machte einfach Sinn, die urbanen Genres zu vermischen – es passte auf Anhieb hervorragend, deshalb hatte ich überhaupt keine Angst vor den Reaktionen. Ich wusste natürlich nicht, was herauskommen würde – aber die Neugier ist mir immer die stärkere Motivation als die Vernunft. (lacht)

krone.at: Will.I.Am, Ihr Produzent und „Partner in crime“ auf „Timeless“ hat diesmal nur drei Tracks auf „Encanto“ produziert. Aber er war mit Ihnen in Brasilien. Haben Sie dem „jungen Spund“ diesmal ihre Seite der Musik gezeigt?

Sérgio Mendes: Genau so war es. Beim letzten Mal durfte er sich austoben, diesmal zeigte ich ihm meine Wurzeln, woher ich komme, und wie man in Brasilien Musik produziert. Ich nahm ihn mit in diese alten Studios, wo wir unsere Songs aufnahmen, wir trafen viele meiner alten Gefährten. Und es war sichtlich eine Bereicherung für ihn, er hatte danach einen viel besseren Zugang zu meinen Songs.

krone.at: Ist ihr Verhältnis wie eine Art Vater-Sohn-Beziehung?

Sérgio Mendes: Jein, wir sind Musiker, die einander respektieren.

krone.at: Was mich an den Songs auf „Encanto“ überraschte, war, dass es viele positive Emotionen versprüht, viel Freude, Glücklichkeit und Ausgelassenheit, jedoch niemals Trauer oder Melancholie. Und ich dachte mir: Was, wenn das in brasilianischer Musik gar nicht vorgesehen ist?

Sérgio Mendes: Mmmh. Es gibt auf „Encanto“ wirklich nur einen Song, der traurig oder melancholisch ist. Meine Frau singt ihn, er heißt „Catavento“. Sie haben in gewisser Weise Recht. Andererseits soll „Encanto“ ein fröhliches Album sein, das Hoffnung und Freude versprüht. Aber Sie haben schon Recht, meine Musik ist für die Freude gemacht. Selbst bei „Catavento“ fühlt man sich gut, obwohl der Song sehr nachdenklich stimmt.

krone.at: „Encanto“ heißt verzaubert - woher kommt die Magie?

Sérgio Mendes: Ich glaube, es ist der kulturelle Mix, den wir in Brasilien haben. Wir haben Rhythmen aus Afrika, wir haben die Portugiesen mit dem Fado, Holländer und Franzosen hatten unser Land besetzt, Brasilien hat die größte japanische Minderheit außerhalb Asiens… Wir sind einfach ein riesiger „Melting Pot“.

Interview: Christoph Andert

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